Die Heirat Richard Kinseles 1860 mit Franziska Kapeller (1835 bis 1891) war sicherlich hinsichtlich mehrerer Aspekte ein guter Zug, war sie doch die Tochter des Bozner Bürgermeisters Anton Kapeller, welcher von 1851 bis 1861 im Amt war. Wenn man der deutlich liberal eingestellten “Inn-Zeitung” vom 26. Oktober 1864 Glauben schenken kann, hat Richaed Kinsele konkrete Ambitionen hinsichtlich des Bürgermeistesessels gehabt. Die geschilderte Vorgangsweise klingt recht gefinkelt und das Ränkespiel zeigt deutliche Parallelen zur heutigen Politik auf (früher war eben nicht alles besser, nur so nebenbei bemerkt). Kapeller hätte also 1864 wieder kandidieren sollen und Richard Kinsele wäre ihm als Sekretär beigestellt worden. Nachdem der Bürgermeister aber wegen seines fortgeschrittenen Alters immer mehr auf die Hilfe Kinseles angewiesen gewesen wäre, würde Letzterer immer mehr zum De-facto-Regierenden und das nächste Mal als logischer Nachfolger gewählt werden.
Die angeführte Zeitung schildert sehr detailreich die verschiedenen Wahlgänge. Kinsele und Kapeller hatten sich zu diesem Zweck mit den Gegenspielern der Liberalen, den Klerikalen, zusammengetan. Die Wahlvorgänge scheinen aus heutiger Sicht sehr komplex gewesen zu sein, Tatsache ist, dass die Rechnung für beide nicht aufgegangen ist.
Bürgermeister wurde also der Liberale Dr. Josef Streiter, nach dem die heutige Gasse im Zentrum Bozens benannt ist.
Besser geklappt hat es vorher mit der Wahl zum Landtagabgeordneten. Richard Kinsele wurde 1864 von den Mitgliedern der Bozner Handelskammer dorthin entsandt. Eine gute Presse, wie man so sagt, scheint er weiterhin nicht gehabt zu haben. Die nämliche Inn-Zeitung (7.3.1864), wirft Kinsele, “für den keine großen Sympathien herrschen”, vor, von Franz v. Kofler protegiert zu sein. Hätten die anderen namhaft gemachten Kandidaten ihr Interesse bekundet, wären wohl diese gewählt worden, so die Zeitung. Im zweiten Wahlgang erhielt er dann die notwendige Mehrheit. Er versprach im Vorfeld “liberal zu sein und die Interessen des Handelsstandes auf das nachdrücklichste zu fördern”. Warum er dann schon 1866 von diesem Amt zurücktrat, entzieht sich meiner Kenntniss.
Aktiv war er auch in der von Franz von Kofler gegründeten, inzwischen zu einer Aktiengesellschaft umgewandelten “Baumwoll- und Filosell-Spinnerei” in St. Anton bei Bozen. Zusätzlich dazu spielte er eine Rolle bei den “Augsburger Gaswerken”, welche auch in Österreich und damit Bozen, aktiv waren. Bei der “Sparkassa zu Bozen” war er als Zensorenstellverter im Vorstand.
1849 trat Richard Kinsele zusammen mit seiner Mutter und seinen anderen sechs Geschwistern die umfangreiche Erbschaft des Alois Kinsele (geb. 1796) an. Gemeinsam mit seinem Bruder Franz kaufte er 1869 die Villa Kinsele den Miterben ab, 1873 überließ er dem Bruder Franz seinen Anteil am Haus. 1866 schon hatte er jenes Sommerfrischhaus in Maria Schnee, welches vorher im Eigentum der Wilhelmine Witwe Kofler geb. Grätzl war, ersteigert. Stammt die von uns zugemauert vorgefunden Verbindungstür vom Balkonzimmer zum Nachbarhaus etwa aus der Zeit des gemeinsamen Miteigentums?
Es verwundert nicht, dass er als bekannter Oberbozner Sommerfrischler auch für zwei Perioden Oberschützenmeister am dortigen Schießstand war. Ob er auch für die Kultur viel übrig hatte, weiß man nicht. Interessant wäre zu erfahren, was aus der Gemäldesammlung seines Onkels Josef von Kinsele zu Eckberg geworden ist. Diese soll ja zu dessen Lebzeiten die größte weit und breit gewesen sein.
Der Ehe mit Franziska Kapeller entsprossen zwei Kinder, Anton Kinsele (1865 bis 1946) und Franziska (Fanny) Kinsele (1869 bis 1956). Beide blieben unverheiratet und ohne Nachkommen. Sie verkauften das Haus in Oberbozen 1921 und lebten als Optanten für das Deutsche Reich schlussendlich in Hall in Tirol.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Braitenberg, Carl von / Andergassen, Leo / Walther, Franz von / Kofler, Oswald and Braitenberg, Carl von (1994). Die Schützenscheiben von Oberbozen: Symbole eines ritterlichen Exercitiums (Völlig umgearbeitete und ums Doppelte erw. Neuaufl.). Bozen: Edition Raetia.
Anonym (1865, March 10). Rechnungs-Abschluß der Sparkassa zu Bozen für das Solarjahr 1864. In: Beilage Der Bozner Zeitung, pp. 5–12.
Richard Kinsele (1) und Adolf Pichler
Category: Menschen,Zeitschiene
geschrieben von Armin Kobler | 9. Januar 2022
… oder wie sich die große Zeitgeschichte auch in der Provinz bemerkbar macht.
Richard Kinsele (1829 – 1900) war der Sohn von Aloys Kinsele und Anna Vittorelli. Als Jurist war seine Haupttätigkeit jene des “öffentlichen Agenten“. Über seinen Beruf hinaus war er sehr umtriebig, was besonders durch die damaligen, schon recht detallierten Zeitungsmeldungen recht gut dokumentiert ist. Die Todesnachricht (hier in den “Neuen Tiroler Stimmen”) fällt hingegen recht kurz aus, einen zu erwartenden ausführlicheren Nachruf habe ich leider nicht gefunden.
Richard Kinsele hat in Wien studiert, gerade auch 1848, also in jenem Jahr, wo die Revolution nach Frankreich endlich auch andere Länder Europas erfasste und bestehende Herrschaftsysteme in ihren Grundfesten erschütterte. Es waren allerdings auch jene Jahre, in denen die Nationalstaatenidee mit ihren verhängnisvollen Auswirkungen immer mehr Fuß fasste. Umsonst warnte Franz Grillparzer schon 1849 “Der Weg der neuen Bildung geht von Humanität durch Nationalität zur Bestialität”. In Wien wird der Studiosus Kinsele den aus Erl bei Kufstein gebürtigen frischgebackenen Mediziner, Schriftsteller und späteren Naturwissenschaftler Adolf Pichler kennengelernt haben. Dieser Liberale, später Deutschnationale, muss zu dieser Zeit eine starke Ausstrahlungskraft gehabt haben, gelang es ihm doch, ein Freiwilligencorps von Tiroler und Vorarlberger Studenten in Wien zusammenzustellen, welches mithelfen sollte, die zu der Zeit bedrohte Südgrenze Tirols zu verteidigen. Richard Kinsele war einer der 127 Studenten in dieser “Erste freiwillige akademischen Tiroler Schützenkompanie in Wien”, welche ins Feld zogen, um “die welschen Eindringlinge gebührend zurückzuweisen”.
Richard Kinsele kam vom zweimonatigen Einsatz gesund zurück, die Kompanie löste sich auf. Der Dank des Vaterlandes blieb den Studenten aber verwehrt, sie wurden “sofort wegen angeblich revolutionärer Gesinnung unter geheime Polizeiaufsicht gestellt”. In einem Zeitungsartikel der “Innsbrucker Nachrichten” vom 9. 1. 1932 sind alle Mitkämpfer namentlich aufgelistet. Die Fahne der Kompanie, ganz dem deutschnationalen Zeitgeit verpflichtet in schwarz, rot und gold gehalten, wurde auch beim Begräbnis Richard Kinseles mitgetragen. Er starb am 9. November 1900, sein Hauptmann Adolf Pichler wenige Tage später, am 15. November.
Ein paar offen Frage möchte ich demnächst klären: Befindet sich die Kompaniefahne immer noch im Bozner Museum? Wird sie dort oder in einem Versteck die Wirren insbesondere der faschistischen Zeit überlebt haben? Warum hat sich der sonst so volksnahe Erzherzog Johann (wie im obigen Adolf-Pichler-Wikipedia-Artikel ersichtlich) so negativ über die Studentenkompanie geäußert? Hielt er nichts von deren Kampfkraft oder war ihm das Deutschnationale an ihr so zuwider? Als Mitregent hätte er eigentlich über deren Einsatz froh sein müssen, aber als übernationaler Habsburger konnte er natürlich dieses Gedankengut nicht teilen.
Granichstaedten-Czerva, Rudolf von (1932, January 9). Die Tiroler Studenten der Adolf-Pichler-Kompagnie in Wien 1848. In: Innsbrucker Nachrichten, pp. 7–8.
Schönn, Alois and Litzbarski, Ireck Andreas (2014, April 16). Haspinger segnet auf dem Wiener Südbahnhof die zur Landesverteidigung ausziehenden Tiroler Studenten 1848.