… oder war es doch der Wille der Sommerfrischgesellschaft?
Mit dem Aufkommen des Interesses am westlichen Ausläufer des Rittnerberges durch die Bozner Patrizier – zuerst durch den Sandsteinabbau, danach durch die Möglichkeit des sommerlichen Aufenthalts – wurde dieser in der Folge Oberbozen (auch Oberbotzen, Oberpozen) genannt. Vorher bildeteten die verstreut liegenden Bauernhöfe der Gegend die St.-Jakob-Malgrei. Die namensgebende, den Heiligen Georg und Jakob geweihte, gotische Kirche auf dem schon in der Vorzeit besiedelten Hügel war lange Zeit das einzige Gotteshaus der Gegend.
“… das 4. [Viertel] ist Ober Pozen, ein sehr schons, lustiges ort von ebne wisn und larchenen Woltung; die kirh da rast bey San Jörgen; “ (Wolkenstein v. M.S., 1600)
Im Zuge der Besiedelung durch die Sommerfrischlerfamilien ab 1609, als Balthasar Heisserer am Karlerhof das erste Hitzerefugium errichten ließ, wurden von diesen auch vier Kirchen in unmittelbarer Nähe der Behausungen errichtet. Es sind dies von Westen nach Osten: Maria Einsiedeln (privat), Maria Himmelfahrt (die größte, öffentlich), Maria Magdalena (privat) und Maria Schnee (früher privat, jetzt öffentlich). Um die neu erbauten Häuser zu verorten, wurden die Namen der drei letztgenannten Kirchen verwendet. Am meisten Villen entstanden rund um die spätere Pfarrkirche Maria Himmelfahrt, etwas weniger in St.Magdalena und gar nur zwei im Ortsteil Maria Schnee.
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Abb. 1 bis 5: die historischen Kirchen Oberbozens (aus Rampl 2007).
Die Einteilung hat sich offensichtlich bewährt, wurde sie doch in den jeweiligen Landesbeschreibungen (Abb. 6) und mit dem Aufkeimen eines zaghaften Tourismus auch in den allmählich erscheinenden Fremdenführern (Abb. 7 und 8) verwendet.
Bemerkenswerte Ergebnisse hat die Recherche im historischen Teil des Grundbuches zu Tage gebracht. Und zwar werden für den westlichen Ausläufer des Rittner Mittelgebirges nur zwei Flurnamen verwendet: Oberbozen und Maria Schnee. Zwischen 1907 und 1910, als das Grundbuch in der heute bekannten Form angelegt worden ist, gab es schon, wenn auch nur seit kurzem, die Rittnerbahn. Besonders der parallel dazu entstandene Oberbozner Grund- und Bauverein (dessen Tätigkeit wird in Zukunft ein eigener Beitrag gewidmet), hatte schon in diesen ersten Jahren des Umbruchs die bauliche Entwicklung des Ortes in beträchlichem Ausmaß vorangetrieben; vom Ortsteil mit den wenigsten Behausungen sollte er bald der an Anzahl bedeutendste werden.
Abb. 6: ausgewählte Ausschnitte aus dem historischen Teil des Grundbuchs Ritten I, 1909. Abgebildet ist jeweils das A1-Blatt, weil es u.a. die Benennung des Riedes (Ortsteil, Lage) enthält.
Alle anderen den Grundbuchskörper bildenden Parzellen der Gegend wurden mit der Verortung Oberbozen eingetragen, seien es die im Westen wie die im Osten von Maria Schnee gelegenen, z.B. steht bei allen Häusern in Maria Himmelfahrt und Sankt Magdalena aber auch bei den Höfen Wieser, Köck und Geyrer Oberbozen in der Spalte Benennung des Riedes. Die Abbildung 7 veranschaulicht zum besseren Verständnis auf der heutigen Orthophotokarte die ungefähre Abgrenzung der Bezeichnungen.
Ich kann mir diese Eigentümlichkeit damit erklären, dass schon in den Jahren rund um die Errichtung der Rittnerbahn geplant war, – die Rolle des Oberbozner Grund- und Bauvereins ist auch diesbezüglich deutlich sichtbar – die Gegend um Maria Schnee als zukünftiges Zentrum der baulichen Entwicklung schlussendlich auch namentlich hervorzuheben. Doch gekommen ist es dann doch ganz anders…
(Fortsetzung folgt)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Wolff, Karl Felix (1909). Führer durch Bozen-Gries: unter besonderer Berücksichtigung der vier neuen Bergbahnen und der großen Dolomitenstraße. Eigenverlag.
Wenn man die Bau- und Eigentumsgeschichte ab ca. 1907 erforschen will, dann sind die Grundbucheintragungen ein unerlässliches Hilfsmittel. Grafisch kann man Situationen mit Hilfe der ersten umfassenden Katasterkarte sehr übersichtlich sogar bis zur 1858 zurückverfolgen. Und das Gute dabei ist, dass man dabei ist, auch die historischen Teile der beide Institutionen zu digitalisieren, womit der Zugriff der Bürger weiter erleichtert wird.
Grundbuch und Kataster in Südtirol sowie in den anderen Provinzen Italiens, welche nach 1918 zu Italien geschlagen wurden, stammen noch von der österreichischen Verwaltung und wurden wohlweislich von den neuen Machthabern, begrenzt auf die obgenannte Gebiete, übernommen. Das österreichische Grundbuchssystem hat sich nach allgemeiner Meinung ab dem 12. Jahrhundert bzw. seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus dem Institut der “Landtafeln”, das in einigen Gebieten der Habsburger Monarchie – nämlich in Böhmen, Mähren und Oberschlesien – bestanden hat, entwickelt. Dort hatte sich nach und nach der Grundsatz durchgesetzt, dass Rechte an Liegenschaften nur nach erfolgter Kundmachung und zwar durch Eintragung in bestimmte Verzeichnisse (Tabulae, Tafeln) erworben werden. Die Eintragung in das Verzeichnis hatte demnach nicht nur bloße Beweiskraft, sondern auch substantielle, rechtsbegründende Wirkung: der Inhalt des Verzeichnisses konnte nicht bestritten werden und die mangelnde Kenntnis der Eintragungen des Verzeichnisses war irrelevant. (Landesverwaltung 2024)
Das Kataster gibt hingegen Auskunft über die Lage und die Größe sämtlicher Grundstücke und Gebäude sowie deren Nutzung. Auf unserem Gebiet – sowie in Teilen anderer Provinzen Norditaliens, die früher ebenso zum alten Kaiserreich gehörten, wie Trient, Belluno, Trieste usw. – ist noch heute der österreichische Grundkataster in Kraft, der von Kaiser Franz I. von Österreich mit allerhöchstem Patent vom 23. Dezember 1817 zum Zweck des Grundsteuerausgleiches eingeführt wurde: “… In Erwägung der Missverhältnisse, welche bey der Umlegung der Grundsteuer nach dem bestehenden Maßstabe der Verteilung für ganze Provinzen, Kreise, Distrikte und Gemeinden, wie für einzelne Contribution hervorgehen …”. So wollte man einen geometrischen parzellenbezogenen Kataster aufbauen, gestützt auf die Vermessung und die “stabile” Schätzung. Für jede einzelne Parzelle musste mittels direkter Schätzung der ständige steuerpflichtige Wert bestimmt werden, d.h. der Nettoertrag mit Bezug auf die Jahre mit durchschnittlicher Produktivität. (Landesverwaltung 2024)
Es ist daher ausreichend, die Parzellennummer zu kennen, um mehr über die Geschichte und den gegenwärtigen Status der Liegenschaft zu erfahren und mittels der Einlagezahl alle Informationen, die die Immobilieneinheit betreffen, zu erhalten. Die Applikation GeoBrowser MapView der Südtiroler Landesverwaltung ist ein probates Hilfsmittel, das die Vorteile der Digitalisierung sehr gut ersichtlich macht. Sicherlich stand nicht die Hilfestellung für Hobbyhistorikern im Vordergrund, aber ohne ihr würde ich für meine siedlungsgeschichtlichen Nachforschungen zehn Mal mehr Zeit brauchen.
Im GeoBrowser MapView stehen vielfältige Daten zur Verfügung. Neben den Daten der Landeskartografie, sind auch Daten der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz, der Landesagentur für Bevölkerungsschutz, des Landesamts für Geologie und Baustoffprüfung, der Landesabteilungen Denkmalpflege, Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Straßendienst, Mobilität, Grundbuch und Kataster, des Landesinstituts für Statistik (ASTAT), des Landesamts für Industrie und Gruben und auch des Südtiroler Gemeindenverbandes. (Landesverwaltung 2024)
Von jedem mit dem Internet verbundenem Computer kann darauf zugegriffen werden, die einzelnen Schichten können aktiviert werden, wodurch der Informationsfluss nochmal intensiviert wird und zeitliche Vergleiche z.B. möglich werden. Man kann in den Karten Abstände und sogar Umfänge und Flächen von unregelmäßigen Polygonen berechnen lassen. Die Verwendung bedarf keiner Registrierung und Anmeldung, einzig der Zugriff auf die Katastermappe von 1858 setzt einen SPID-Zuganges voraus (warum gerade dies entzieht sich meiner Kenntnis).
Alles, was mit den Grundstücken und Gebäuden vor der Eröffnung des Grundbuches (am Ritten 1907) passiert ist, ist hingen in der Vergängerinstitution, den Verfachbüchern zu finden. Dort wurden alle Verträge registriert, also “verfacht”. Sie liegen im Landesarchiv auf und können dort konsultiert werden. Sich in den Verfachbüchern auskennen und daraus Informnationen zu beziehen gehört dann schon zur der mir verwehrten Königsklasse in der Recherche.
Für die wertvolle Hilfe und die Geduld möchte ich Hr. Wolfgang Winkler vom Grundbuchamt Bozen herzlich danken.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Zuerst einmal möchte ich erklären, wieso ich das Gebäude so nenne. Unter Villa stellt man sich heute weiß Gott was für einen Luxus vor, der heute sicherlich nicht vorhanden ist. Insofern könnte man meinen, die Bezeichnung sei übertrieben. Früher aber, als ein Sommerfrischhaus den “Herrischen” vorbehalten war, strahlte es sicherlich Luxus und Begehrlichkeit aus. Ausschlaggebend war aber, dass Georg Baron Eyrl in seiner Arbeit über die Sommerfrischhäuser auf dem Ritten (Schlern 6/1925), diese immer als Villa bezeichnet.
Meines Wissens ist die Villa Kinsele das östlichste Haus der historischen Sommerfrischsiedlung , welche um den gleichnamigen Schießstand als gesellschaftlichen Mittelpunkt gruppiert ist. Auf dem abgebildeten Ausschnitt des Geobrowsers sind auch die Nummern der Grund- und Bauparzellen angeführt; letztere haben einen Punkt vor der ersten Zahl (wie immer werden die Abbildungen durch Daraufklicken vergrößert). Die Villa Kinsele hat die Bauparzellennummer (BP) 361, leicht erkennbar mit dem grauen Dach, in der Mitte des Fotos. Dazu gehören eine Grünfläche an der Südseite vor dem Gebäude, Grundparzelle (GP) 3197/2, sowie zwei Wiesen, welche das Gebäude halbkreisförmig umschließen (GP 3196 und 3197/1). Nordseitig schließt sich das Kirchlein Maria Schnee BP 360), im Eigentum der Pfarre Oberbozen, an. Das zweite Gebäude dieses Komplexes ist das nach den langjährigen Eigentümern benannte Wegerhaus (BP 359). Dazu gehörten schon immer der ehemaliger Park (GP 3194 und 3200) und der darin befindliche historische Pavillon (BP 864/2), welchen übrigens Eleonore Kinsele für ein Exlibris ihres Cousins Anton Kinsele abgezeichnet hat.
Dass die heute so genannten Villa Kinsele und Wegerhaus eine zumindest teilweise gemeinsame Geschichte haben, lassen mehrere Hinweise vermuten. Der obgenannte Georg Baron Eyrl führt nämlich nur die “Villa Kinsele mit Maria Schnee” an, was bedeutet, dass das Wegerhaus damals ein Teil davon war. Zudem konnte man vor dem Umbau im Jahre 1970 im Balkonzimmer der Villa Kinsele gut eine zugemauerte Tür erkennen, welche direkt in das angebaute Wegerhaus führte. Andrerseits unterscheiden sich architektonisch die beiden Baulichkeiten. Als Laie der ich bin, vermute ich, dass die Villa Kinsele ihr ursprüngliches barockes Aussehen bewahrt hat, während das Wegerhaus – wahrscheinlich im 19. Jahrhundert – sichtbar umgebaut wurde.
Das dritte Gebäude diese Komplexes ist das ehemalige Wohngebäude eines Bauernhofes, dem “Hofer” (BP 362). Seine Wirtschaftsgebäude standen dort, wo sich das heutige Gastlokal “Babsi” (BP 3093) befindet und im Park des Hotel Post; an jener Stelle, wo bis vor ein paar Jahren ein Pavillon von der örtlichen Musikkapelle genutzt wurde. Der Bauernhof wurde am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts an den Nordrand des Dorfes verlegt, die Gebäudlichkeiten verloren daraufhin ihre landwirtschaftliche Nutzung. Auf dem Luftbild kann man den markant großen Stall/Stadel des Hoferbauern noch erkennen und Ortskundige werden bemerken, dass das großzügig erbaute Hofensemble angrenzend an die Bäckerei Hackhofer noch fehlt. Die Villa Kinsele ist von ihren Bäumen ziemlich zugedeckt, die darunter befindlichen Hotels Post (damals Friedl) und das Viktoria sind hingegen leicht erkennbar.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Eyrl, Georg Baron von (1925). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. In: Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 6, 183–186.