aber im Sinn der längerfristigen Erhaltung unausweichlich.
Was ist eigentlich der Sinn der Renovierung bzw. des Umbaus der Villa Kinsele? Zusammengefasst: Das Haus soll auch unter veränderten Rahmenbedingungen weiterhin das ganze Jahr bewohnbar bleiben, Infrastrukturen aus den 70ern, welche immer weniger funktionsfähig sind, ersetzt und Bausünden und Stilbrüche aus den vorigen Jahrzehnten so weit wie möglich korrigiert werden.
1971 haben meine Eltern das Haus umgebaut. Sie wollten es winterbewohnbar machen und allgemein den damaligen Anforderungen anpassen. Dafür wurden die historischen Fenster durch Holzfenster im sogenannten Wagnersystem ersetzt, die Türen und Jalousien ausgetauscht, eine ölbefeuerte Zentralheizung mit Heizkörpern in allen Räumen und ein zusätzliches Bad eingebaut, Teppichböden in den Schlafräumen über die Holzböden geklebt, einen Wandtäfelung entfernt, die alten Sandsteinböden auf den Gängen und im Außenbereich durch pflegeleichtere Klinker bzw. Porphyrplatten ersetzt, die alte Küche mit einer Einbauküche ausgetauscht.
Der damalige Zeitgeist war verständlicherweise nach den vielen Jahren der Entbehrungen auf gesteigerte Bequemlichkeit getrimmt, maß aber der Erhaltung historischer Bausubstanz nur eine untergeordnete Rolle zu. Auch wenn das Projekt von Ingenieur Kajetan Piller (1911 bis 1991) stammt und das Gebäude schon damals unter Denkmalschutz stand, hat das Haus durch den Umbau an Charakter eingebüßt, es mehrere Eigenheiten, welche es als Teil der ersten Oberbozner Sommerfrischsiedlung ausweist, verloren. Heute frage ich mich, ob dies dem Bauherrn, dem Planer oder beiden anzulasten ist. Zugutehalten möchte ich aber den Eltern, dass sie die Täfelung, die alten Fenster samt Putzenscheiben sowie die Jalousien und Türen nicht entsorgt, sondern am Dachboden eingelagert haben. Wer weiß warum…
Beim Einbau der Zentralheizung vor 50 Jahren wurden die Metallleitungen komplett unisoliert in den Mauern und Böden verlegt. Nicht nur, dass der Energieaufwand zum Heizen sei es finanziell wie umweltmäßig nicht mehr akzeptabel war, auch wurden die Leitungen mit der Zeit immer mehr undicht. Der Umstieg auf eine Fußbodenheizung in allen Räumen hat sich angeboten, ist diese doch raumklimatisch besser und kommt sie auch ohne die unschönen Heizkörper und ihren Mauernischen aus. Und das Erdreich unter den Böden im Erdgeschoss muss sowieso ausgetauscht werden, da von der Nordseite her Wasser unter das Haus gelangt ist. Das hat über die Jahre das Mauerwerk relativ stark angegriffen, eine gezielte Drainage und die Konsolidierung der Mauernbasis – von Fundament kann man nicht sprechen – ist unbedingt notwendig. Die Isolierung der Dachbodendecke sowie neue Fenster sollen die Energiebilanz weiter verbessern.
Endlich begonnen!
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Am 13. Oktober haben die Arbeiten konkret angefangen, und zwar mit der Errichtung der Baustellenzufahrt. Freundlicherweise lässt uns dazu Erwin Mayr vom Hotel Post/Viktoria über seinen Grund fahren. Die ansonsten verwendete Einfahrt ist grundbücherlich auch für Bauzwecke verbürgt, die Lastwagen würden sie aber sehr beanspruchen, wodurch aufwändige Instandsetzungsarbeiten notwendig würden und voraussichtlich auch unangenehme Reibungspunkte mit dem Nachbarn entstünden.
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Der Baubeginn naht, es gilt aus- und aufzuräumen
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Für Anfang Oktober ist der Baubeginn geplant, bis dorthin muss alles, was nicht niet- und nagelfest ist, aus dem Haus sein. Ein Möbelpacker wird Ende September kommen, um mit seinen Leuten das Mobiliar zwischenzeitlich in sein Depot zu bringen. Bilder, Haushaltsgegenstände, Textilien und andere kleinere Sachen müssen wir in Umzugskartonen bis dorthin bereitstellen.
Einen der wenigen noch freien Tage vor dem Beginn der Weinlese haben wir genutzt, um mit dieser für mich unangenehmen Arbeit anzufangen, beginnend am Dachboden. Was behalten wir, was werfen wir weg? Dass man sich dann auch noch oft untereinander nicht einig ist, macht das ganze nicht unbedingt einfacher. Wenn man die Gegenstände einzeln in den Händen hält, fallen zahlreiche Details erstmals auf.
Dieser große Lederkoffer scheint viel in der Welt herumgekommen zu sein. Und nein, er hat nichts mit den Kinseles zu tun. Er ist Teil einer anderen, großen Geschichte. Aber darüber ein anderes Mal. Inzwischen möchte ich die wertvollen Einpacktips, gefunden in einem Schrankkoffer, der geschätzten Leserschaft nicht vorenthalten:
Der Veduten-Schwindel
Category: Hausgeschichte,Oberbozen
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Es ist wahrlich ein Trugschluss zu meinen, früher, ja früher, hätten es die Leute mit der Wahrheit viel genauer genommen. Ein salopper Umgang mit Tatsachen oder z.B. geistigem Eigentum war anscheinend gang und gäbe. Ein typisches Beispiel für eine Ansicht, wo deutlich nachgeholfen wurde, ist diese kolorierte Postkarte. Der Schlern ist zwar richtig dargestellt, was die Blickrichtung betrifft, aber er ist von unserer oberen Wiese nicht ersichtlich, weil er viel niederer ist als hier dargestellt. Aber so ist die Postkarte halt viel interessanter. Und wenn man tatsächlich an vielen Orten des Rittens den Schlern recht eindrucksvoll zu sehen bekommt, dann muss dies eben überall dort möglich sein, auch in Maria Schnee. Wäre noch schöner!
Was ich an dieser Aufnahme zusätzlich bemerkenswert finde, ist, dass man bei diesem Blickwinkel endlich genau sehen kann, wo der zweite Rosskastanienbaum, der wahrscheinlich in den 50ern entfernt wurde, wirklich stand: genau zwischen den Fenstern der vorderen und der hinteren Stube. Dass er ordentlich Schatten gespendet hat, steht auch außer Frage. Ich hoffe schon, dass das wenigsten stimmt.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Anonym. (1900). Maria Schnee mit Schlern. Sammlung A. Kobler.
Patrozinium Maria Schnee am 5. August
Category: Oberbozen
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Der Tradition entsprechend wurde auch heuer am 5. August das Patrozinium “Unsere Liebe Frau vom Schnee” auch bei uns in Oberbozen gefeiert. Die Teilnahme steht natürlich jedem Interessierten offen und wird zudem publik gemacht, weswegen sich auch heuer zwei Dutzend Gläubige einfanden. Was es mit dieser Art der Marienverehrung und dem Schneewunder auf sich hat, erklärt Wikipedia recht gut.
P. Theobald Obkicher (OT) zelebrierte die Messe am Abend, die Pfarrgemeinderätinnen Bettina Holzner und Renate Rottensteiner organisierten u.a. den folgenden gut angenommenen Umtrunk, der witterungsbedingt in unsere Sommerstube verlegt wurde. Musikalisch wurde die Messe von Hermine Treibenreif und Manuela Zelger meisterlich gestaltet. Ein Danke an alle für ihre Bemühungen!
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Herrn Johann Bergmeister als solchen zu bezeichnen ist eigentlich reduktiv, denn über das Transkribieren von alten Schriften hinaus hat er sich im Laufe der Jahre viel Wissen über die zielgerichtete Suche in Archiven insgesamt angeeignet. Zahlreichen Personen hat der pensionierte Mittelschullehrer im Laufe der Jahre geholfen, Stammbäume zu erstellen und besonders beim Rekonstruieren der Geschichte von Bauernhöfen bis zurück ins Mittelalter wurde er als Fachmann beigezogen.
Mich hat Herr Bergmeister bei der Vervollständigung der Kinsele-Ahnentafel und bei der Suche nach den Erbauern der Villa Kinsele unterstützt. Leider kann er aus gesundheitlichen Gründen, welche das Alter mit sich gebracht hat, mich bei meiner Recherche-Arbeit nicht weiter begleiten, ich bin sein letzter Kunde, hat er mir bei unserem letzten Treffen gesagt; sehr schade. Dabei ist es auch interessant gewesen, ihm hinsichtlich der Herangehensweise zuzuhören. Immer mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, sich seines Wissensvorteils bewusst, erzählte er von alten Wörtern und Abkürzungen, welche schon lange nicht mehr im Gebrauch sind, berichtete von Veränderungen der Schriftbilder und konnte sich auch lautstark über die verminderte Papierqualität im 19. Jahrhundert oder über die Saukrallen in den Matriken so mancher Pfarrer auslassen.
Ich wünsche dem Hagestolz (Eigendefinition) noch viele Jahre in bestmöglicher Gesundheit und viel Freude bei den Privatrecherchen, eben ohne den gefühlten Druck der Auftraggeber.
Tilia cordata, die Winterlinde
Category: Oberbozner Sommerfrische,Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Diese Baumart muss zur Zeit der Errichtung der Oberbozner Sommerfrischhäuser sehr beliebt gewesen sein, sind doch alle Gärten und das Gelände des Schießstandes hauptsächlich mit Linden bepflanzt. Diese edlen Schattenspender treten besonders in der langen Allee in Erscheinung, welche am Ortnerhof beginnt und mit der Menz’schen Gloriette endet.
Die Villa Kinsele verfügte meines Wissens nur über eine Linde, dafür aber über zwei gleich alte Rosskastanienbäume (Aesculus hippocastanum). Einer von diesen beiden stand an der Westseite des Hauses, so dass dieses in laubtragenden Zeit den ganzen Tag in dichten Schatten gehüllt war. Ein Beleg dafür, dass damals die Sommerfrischhäuser nicht vorwiegend sondern auschließlich als solche benutzt wurden und wie wenig der Aufenthalt in der direkten Sonne erwünscht war. Letzterer Grund wird auch dadurch belegt, dass es zahlreiche Sitzgelegenheiten ums Haus und unter den Bäumen gab, wodurch bei jeder Sonnenstellung schattige Orte zum Aufenthalt genutzt werden konnten.
Die Rosskastanie im Westen ist zum letzten Mal auf einem Aquarell von 1945 zu sehen. Ihre Rodung ist wahrscheinlich im Zusammenhang mit der im Musiksalon entstandenen Wohnung zu sehen, da diese ganzjährig vermietet wurde und damit der lang andauernde Schatten nicht mehr erwünscht war. Das verbliebene Linden-Rosskastanien-Paar an der Südseite haben wir 2021 sanieren lassen und der Austrieb dieser beiden Jahre zeigt uns, dass die Eingriffe eine positive Wirkung gehabt haben.
Die Wegverbreitung vor dem Maria-Schnee-Kirchlein mit seinen Parkbänken wird im Sommer gerne als Ruheplätzchen von den Ausflüglern genutzt. Der besonders um der Mittagszeit willkommene Schatten wird von den Rosskastanien des angrenzenden “Wegerparks” gespendet. Nachdem sich ihre Vitalität in letzten Jahren deutlich verschlechtert hat, war es naheliegend, sich bei Zeiten um einen Ersatz zu kümmern. Was lag näher, als an unserer Grundstücksgrenze drei Linden zu setzen? Peter Spinell vom gleichnamigen Gartenbaubetrieb hat unser Anliegen sehr kompetent umgesetzt.
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1939 stirbt Robert Kinsele. Johanna und Eleonore erben von ihrem Bruder die Villa Kinsele. Aloisia von Rehorovszky, die Stiefmutter bzw. Mutter der beiden Halbschwestern, bekommt das entsprechende Recht auf Fruchtgenuss. Als sie 1941 stirbt, leben Johanna und Eleonore aber schon seit etlichen Jahren nicht mehr in ihrer Heimatstadt Bozen. Erstere ist mit dem Arzt Josef Lartschneider in Linz verheiratet, letztere lebt hingegen zuerst in München und später in Hall in Tirol. 1943 verkaufen sie über einen Notar das Haus an meine Großtante Antonie von Menz, sie selbst können oder wollen zum Vertragsabschluss gar nicht anreisen. Damit enden unspektakulär mehr als 150 Jahre Kinsele in Maria Schnee, es bleibt der Name der Villa.
Bei der langen Suche nach Nachkommen der damaligen Besitzerfamilie bediene ich mich natürlich des Internets und als ich u.a. ohne große Hoffnungen nach Lartschneider in Oberösterreich suchte, kam doch wirklich ein älterer, aber doch schon digitaler Telefonbucheintrag zum Vorschein: TanjaLartschneider, Kremsmünster. Natürlich habe ich die Chance ergriffen und die Dame angerufen. Zum Glück hat sich Fr. Tanja Kastler, geborene Lartschneider, nicht belästigt gefühlt, sie war eher angenehm überrascht wie mir schien, und sogleich sehr kooperativ. Es ergaben sich interessante Gespräche und ein reger Emailverkehr. Ihr verdanke ich z.B. die Fotos der Familie Kinsele-Lartschneider, der Eleonore Kinsele, deren Mutter Aloisia von Rehorovszky und von Richard Kinsele und seiner Frau Franziska Kapeller. Tanja ist die Urenkelin der Johanna Kinsele, welche den Arzt Josef Lartschneider aus Bozen geheiratet hat, danach mit der Familie nach Linz gezogen ist und später, wie oben schon erwähnt, zusammen mit ihrer jüngeren Halbschwester Eleonore (Lori) die Villa verkauft hat.
Im April ist es endlich gelungen, uns in Südtirol zu treffen, logischerweise am Ritten in Maria Schnee. Mit dabei war Tanjas Mann Robert Kastler und die jüngste in dieser Linie, Tochter Franziska. Es war zumindest für mich ein sehr bewegender Moment, nach den vielen Jahren, wo doch die vergangene Familie Kinsele während der Sommeraufenthalte in Oberbozen immer im Hintergrund irgendwie präsent war (siehe die Seite Was und wieso? dieses Blogs), und besonders jetzt, wo ich mich doch schon recht intensiv mit der Familie und ihrer Zeit auseinandergesetzt habe. Wir hatten uns viel zu erzählen und Monika und ich hoffen, dass wir diese Freundschaft auch über die Kinsele-Beziehung hinaus ausbauen können.
Ein Mann will nach oben
Category: Hausgeschichte,Menschen
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Franz Xaver Kinsele, der Aufsteiger
Er hat die Bozner Kinsele groß und reich gemacht, als Franz Xaver Kinsele getauft, in den Publikationen aber immer als Franz Sales Kinsele (20.1.1737 bis 5.1.1812) benannt. Doch schon sein Vater war für die Zeit überdurchschnittlich unternehmungslustig: Vitus Kinsele, aus Morter im Vintschgau stammend, war Bäckermeister (“Pistor”) zuerst in Rom und dann in Bozen.
Anfänglich war Franz bei den Augsburger Kaufherren Perinet und Provino angestellt, bis er als Handlungsdirektor in die Großhandlung Georg Anton Menz berufen wurde. Zuvor aber musste er um die Verleihung des Bozner Bürgerrechts ansuchen. Am 12. Dezember 1771 erhielt er es, nachdem sein zukünftiger Arbeitgeber 200 Gulden dafür bezahlt hat. Elf Jahre stand er der Firma erfolgreich vor und war mit einem Viertel gewinnbeteiligt. Als 1783 Anton Melchior von Menz in die Großhandlung einstieg, blieb Franz Kinsele Gesellschafter zu einem Viertel. Noch unter Josef II erhielt er einen Wappenbrief. 1810 stieg er gänzlich aus und gründete sein eigenes Handelshaus. Er hat auch das Sommerfrischhaus in Oberbozen käuflich erstanden, und zwar aus der Konkursmasse des Andre Lan(n)ers, und somit den heute verwendeten Namen der Villa begründet.
1776 heiratete er die Brixnerin Anna Helene von Stickler, welche einer alten Tiroler Bortenwirkerfamilie entstammte. Der Ehe entsprangen fünf Töchter und zwei Söhne, wobei die Vermählungen der Kinder durchwegs der Konsolidierung der Stellung der Familie dienlich waren. Das Handelshaus der Kinsele wurde vom Sohn Josef (1785 bis 1839) weitergeführt.
Womit die Kinsele gehandelt haben und warum genau auch sie die Handelstätigkeiten eingestellt haben, wäre zu eruieren. Dazu werde ich das Archiv des Merkantilgebäudes kontaktieren müssen. Die Informationen über Franz Sales Kinsele stammen größtenteils aus zwei Quellen: Evi Pechlaner: Anton Melchior von Menz (1757–1801), ein Bozner Kaufherr und Musikmäzen. Tiroler Heimat, 81. Band, 2017. Rudolf Granichstaedten-Czerva: Bozener Kaufherren: (1550 – 1850); ihre Geschichte und ihre Familien. Verlag für Sippenforschung und Wappenkunde Starke, 1941. Als ich begonnen habe, den Beitrag zu schreiben, fiel mir sogleich der Titel ein. “Ein Mann will nach oben” ist der Name einer Fernsehserie, welche meiner Generation, sofern sie deutschsprachige Sender konsumierte, bleibende Erinnerungen hinterlassen hat.
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Hans von Hoffensthal, der fast vergessene “Dichter des Rittens”
Category: Oberbozner Sommerfrische
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
“Wieder einmal kann der jauchzende Ruf durch alle Lande gesandt werden: Wir haben einen Poeten! Einen Poeten!“
So überschwänglich klang es in der der Rezension der Neue Hamburger Zeitung anlässlich Hoffensthals Erstroman Maria Himmelfahrt. Und tatsächlich genoss der Autor zu Lebzeiten ein derartiges Renommee, dass er sogar Hermann Hesse einmal vorangestellt wurde und seine Romane sich mit jenen von Rainer Maria Rilke und Arthur Schnitzler in einer Bestenliste der damaligen Zeit wiederfanden. Sein der Tuberkulose geschuldete allzu früher Tod 1914 – er wurde nur 37 – , das Waffengeklirr des ersten Weltkrieges, welches die Klagelieder über den Verlust schnell übertönten sowie die Tatsache, dass das Genre des Gesellschaftsromans danach auf wenig Wertschätzung stieß, ließen das Interesse an seinem Werk bald schwinden.
Frau Beatrix Unterhofer, als Wirtstocher des Schluff in der Oberbozner Sommerfrische aufgewachsen und im steten Kontakt mit deren Bewohnern, hat das Leben und Wirken Hoffensthals zum Inhalt ihrer Diplomarbeit gemacht. Es war eine glückliche Fügung, dass Edition Rætia diese, angereichert mit den gewohnt einfühlsamen Fotos Oswald Koflers, in Buchform herausgegeben hat. Hans von Hoffensthal – Ein Leben in der Sommerfrische, auch dieses Werk ist leider nur mehr im Buchantiquariat erhältlich.
Zum 125. Geburtstag des Dichters hat Georg Kierdorf-Traut ihn in der volkskundlichen Zeitschrift Der Schlern gewürdigt. Ein sehr lesenswerter Beitrag, der u.a. einen schönen Kurzauszug aus Lori Graff beinhaltet und auch treffend das sein Œvre durchwirkende Naturverständnis erklärt.
Um das Wirken Hoffensthals wieder mit der Sommerfrische und damit auch der Villa Kinsele und deren Bewohnern in Verbindung zu bringen, erlaube ich mir, einen Textauszug aus der Arbeit von Beatrix Unterhofer direkt zu übernehmen.
Der Ritten als Schreibstube
Auch der Dichter Hoffensthal erlebte die Zeit von Mitte Juni Anfang September zum Großteil im vertrauten Umfeld seiner Familie, Vettern und Tanten im Rittner Feriendomizil am Anglerhof, den der Vater um 1885 erworben und zu einem bequemen Sommerhaus nach altem Bozner Brauch umgestaiten ließ. In all seinen Romanen gibt es eine ausgeprägte Bezogenheit auf den konkreten Rittner Raum. In der Nähe und doch abseits des urbanen Raumes, im Schutz der Sommerfrische, begegnen sich Stadt und Land, und dort weilte und schrieb Hoffensthal. Fast alle Romanhelden kommen mit der Sommerfrische und den dort praktizierten Bräuchen in Berührung, Durch die künstliche Siedlung erfährt das Bürgertum Nobilitierung, die Landschaft wird zum inszenierten Erlebnis: Parkhafte Hochgebirgsszenerie, pittoreske Schluchten und Tälerromantik, Umgestaltung des Parks zu Kulissen, verbunden mit einem Reglement an Bildung und Verhalten, werden zu Themen mit alltäglichem oder exotischem Charakter. In dieser theatralisch maroden Isolation wurden die Alleen unter genau eingespielter Regie zu Kommunikatiunszenlren. Es entsteht ein Korso am Berg. Durch lange, ebene, künstlich geschaffene Wege sind die einzelnen Häuser miteinander verbunden, und es entsteht eine Korso-Situation: Aus städtischer Gewohnheit pflegt die »Gesellschaft« nun zwischen den einzelnen Mahlzeiten auch auf dem Berg zu promenieren. Ruheplätze, eine sogenannte »Bankerl-Landschaft«, trägt zur Höhentherapie und der Ritten als Dependance des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens des Bozner Patrizier- und aufsteigenden Bürgertums bei.
Ich habe noch zu wenig vom Autor gelesen, um mir bekannte Personen möglicherweise in seinen Texten wieder zu erkennen. Die Villa Kinsele aber hat Hoffensthal sehr wohl zumindest im Roman Marion Flora verwendet, ganz eindeutig ist sie dort wiederzufinden, auch wenn er nicht ihren Namen nennt. Sogar die damalige Bepflanzung der Nachbarhöfe Hofer und Doppelbauer stimmen zur Gänze.
Schlussendlich gibt es auch noch einen verwandschaftlichen Zusammenhang: Maria Antonia Anna Kinsele, die Tochter des Franz Sales Kinsele und Gemahlin des Bozner Bürgermsteisers Anton Hepperger, war die Großmutter des Hans von Hoffensthal.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Anonym (1961). Gruppenbild am Ortnerhof [Fotografie].
Und wieder Frühlingsbeginn, auch in Maria Schnee!
Category: Verschiedenes
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
“Abschied von Oberbozen”
Category: Menschen,Oberbozner Sommerfrische
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Hans von Hoffensthal hatte leider recht.
Vor 115 Jahren, zur Eröffnung der Zahnradbahn auf den Ritten, veröffentlichte der unter dem Pseudonym Hans von Hoffensthal schreibende Bozner Arzt und Schriftsteller Johann Nepomuk Anton Josef Maria von Hepperger zu Tirschtenberg und Hoffensthal diesen Beitrag in den Innsbrucker Nachrichten vom 14. August 1907. Es ist das einzige seiner Werke, welches auch in jüngerer Zeit noch einmal gedruckt wurde.
Von der Rückseite: «Der “Abschied von Oberbozen” gehört zu den schönsten Prosastücken, die der Bozner Arzt und Romancier Hans von Hoffensthal geschrieben hat, Der Essay entstand, als im Jahre 1906 die damals hochmoderne Zahnrad- und Straßenbahn von der Stadt aus hinauf zur klassischen Bozner Sommerfrische auf der Rittner Hochfläche geführt wurde. Der Dichter trauerte um das Versinken einer archaischen Idylle und die Entwicklung hat ihm in einem gewissen Maße recht gegeben, wenngleich heute das technische Monstrum von damals von Freunden des Rittens wie ein liebes altes Erbstück in Teilen behütet und erhalten wird. — Der mit dem Ritten eng verbundene Maler und Lichtbildner Oswald Kofler hat in seinen Meisteraufnahmen viel von jener Rittner Idylle verlebendigt, wie sie zu Hoffensthals Zeiten war und zu einem guten Teil auch heute noch ist.»
Auch dieses Buch ist vergriffen und inzwischen nur mehr im Antiquariat erhältlich. Wer den ursprünglichen Text in den Innsbrucker Nachrichten lesen will, kann sich hier das dementsprechende Textdokument herunterladen.
Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum ich hier über Hoffensthal schreibe. Zum einen weil der “Abschied von Oberbozen” leider weiter anhält. Die neuzeitlichen Segnungen technischer und ökonomischer Natur haben unglücklicherweise Kollateralschäden verursacht, welche für jeden augenscheinlich sind; und desto mehr schmerzen, je sensibler das Auge und das Empfinden in dieser Hinsicht sind. Besonders die durch die Straßenverbindung zuerst und den Ausbau der Schwebebahn danach immer bessere Anbindung an die Stadt ließ die Begehrlichkeit wachsen, den Ritten als dauernden Aufenthaltsort zu wählen. Der Zuzug von Einwohnern bewirkte eine ungebremsten Bautätigkeit, welche ihresgleichen sucht und lokalpolitisch gewollt oder zumindest nicht verhindert wurde. Logischerweise kann es nicht beim Bau von Wohnhäusern bleiben, mehr Einwohner bewirken auch mehr und größere Infrastrukturen, welche wiederum den Flächenfraß und die autogerechte Bodenversiegelung vorantreiben. “Die Stadt rückt näher”, sagte treffend ein Freund letztlich, als wir ob der rezenten Entwicklungen sinnierten. Wie auch sonst vielerorts sind viele lauschige Plätze den neun Erfordernissen geopfert worden und identitätsstiftende Baulichkeiten wurden oft zu Tode saniert. Wenn man bedenkt, dass eine langsame Zahnradbahn und ein paar Hotels Hoffensthal in tiefe Melancholie stürzen ließen, wie würde er heute reagieren? Positiv kann nur vermerkt werden, dass westlich von Maria Schnee seit langem ein weitestgehendes Neubauverbot herrscht und wenigstens in Maria Himmelfahrt die Kultur- und Baulandschaft mit einigen Ausnahmen erhalten geblieben ist.
Der zweite Anlass, Hoffensthal zu behandeln, besteht darin, dass er in seinen Romanen den Bozner Adel und das dortige Bürgertum, zudem ja auch unsere Kinsele-Familie gehört, eingehend skizziert. Oberbozen ist häufig der Ort der Geschehnisse und in “Marion Flora” kommt sogar die Villa Kinsele vor. Aber darüber in einem nächsten Beitrag.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Lintner, Paul (2022, March 17). Baugenehmigung Nr. 27 vom 17.03.2022. Gemeinde Ritten.
Ein Etappensieg
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Gestern ist es angekommen, das heißersehnte Gutachten des Denkmalamtes. Und es ist positiv im Hinblick auf die von uns angestrebten Arbeiten! Die Auflagen hinsichtlich Materialien, Oberflächen, Dacheindeckung, Fenster, Türen, Gauben usw. decken sich mit unseren Vorstellungen. Das Haus soll ja schonend renoviert und nicht zu Tode saniert werden. Auch dass wir von bestimmten Teilen im Vorfeld zu genehmigende Detailzeichnungen einzureichen haben und vor Baubeginn ein Lokalaugenschein durchzuführen ist, passt in unser Verständnis von Vorgehensweise im historischen Kontext.
Der nächste Schritt ist die Behandlung in der Kommission für Raum und Landschaft in der Gemeinde Ritten. Dieses Gutachten ist sicherlich eine gute Grundlage für eine positive Bearbeitung unseres Gesuches.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Dalla Torre, Karin and Scolari, Luigi (2022, February 21). Ermächtigung mit Auflagen. Landesdenkmalamt.
“A schians Reasl”
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Hat der Tischler und Restaurator Walter Alber aus Unterinn anerkennend gemeint, als wir beide diese Holzverzierung erstmals gesehen haben. Heute hat er nämlich eine Täfelung abgeholt, welche sich im Schlafzimmer meiner Eltern befunden hat, von diesen aber anfangs der 70er Jahre im Laufe der damaligen Umbauarbeiten entfernt und am Dachboden eingelagert wurde. Sie wurde bei der Demontage zum Glück nicht allzu sehr beschädigt und hat auch die über fünfzig Jahre am Dachboden recht gut überstanden. In den nächsten Monaten wird sie renoviert werden und steht dann für einen Wiedereinbau am ursprünglichen Ort zur Verfügung.
Mit diesem Abtransport ist die Renovierung der Villa Kinsele in die Umsetzungsphase getreten. Die Planungen sind weitestgehend abgeschlossen und das Genehmigungsverfahren in der Gemeinde und im Denkmalamt haben begonnen. Auch wurden schon die meisten notwendigen Handwerkerfirmen kontaktiert. Lokalaugenscheine mit diesen zur Abschätzung des Arbeitsvolumens wurden auch schon durchgeführt. Von der Einstellung der Bauherren und der Kompetenz des Planers Franz Kosta her müsste das Projekt eigentlich gut bei den Behörden ankommen, wir hoffen sehr auf keine negative Überraschungen in dieser Hinsicht, aber man weiß bekanntermaßen nie…
Errare humanum est
Category: Verschiedenes
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
sed in errare perseverare diabolicum.
An dieser Stelle, etwas mehr als ein Jahr seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen von meiner Seite, ist es Zeit, einen wichtigen Grundsatz zu wiederholen: die Blogbeiträge sind größtenteils wie ein Recherche-Tagebuch zu lesen, welches den momentanen Fortschritt dokumentiert, wo ich Beobachtungen und Vermutungen äußere, aber nur selten definitive Ergebnisse darstellen kann. Dass es dies wieder klarzustellen gilt, ist mir gerade beim letzten Beitrag, und zwar jenen über die drei Höfe der Nachbarschaft, aufgefallen. Würde man zufälligerweise nur beim ersten Posting bleiben, wo ich u.a. über den an uns angebauten Bauernhof geschrieben habe, würde man glatt falsches Wissen mitnehmen. Deshalb bitte bei Interesse zu einem bestimmten Thema alle Beiträge dazu lesen.
Hofer, Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer?
Category: Nachbarschaft
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Der Versuch, die Höfe endlich eindeutig zu bestimmen.
Auch wenn die Villa Kinsele im Mitttelpunkt der Häusergeschichte bleibt, ist es naheliegend, auch die Geschichte der umgebenden Gebäude etwas zu beleuchten. Besonders, wenn unser Sommerfrischhaus mit diesen zusammengebaut ist. Vielleicht finden wir noch den Grund heraus, warum hier – anders als in Oberbozen sonst üblich – zwei Sommerfrischhäuser an ein nachweislich älteres Bauernhaus angebaut sind; vielleicht bleibt es aber auch ein Geheimnis. Von den drei Höfen, welche den Kern Maria Schnees bilden, hat nur mehr einer eine zudem teilweise landwirtschaftliche Funktion. Einer wurde in ein Hotel umgewandelt und einer in Wohnungen, später zusätzlich zu einem Gasthaus umgebaut.
“… grenzend gegen Osten an die Oberhoferwiese und den Oberhoferplatz, gegen Süden an die Behausung des Oberhofer und der Alois Kinsele’schen Erben, gegen Abend an die Wiese des Doppelbauern und die Kirche von Maria Schnee, gegen Norden an die Wiese des Oberhofer.”
Beilage zur Bozner Zeitung 9.6.1866
Das ist natürlich ein Hinweis, welcher ob seiner Präzision sehr hilfreich ist. Es ist das Versteigerungsedikt, mit dem die Verlassenschaft der Frau Wilhelmine Witwe Kofler geborenen Grätzl feilgeboten wird (das spätere Wegerhaus). Interessant, dass der Stadel des Oberhofers an dem Ort stand, wo später eine kurze, urban wirkende Häuserzeile entstand, genau gesagt die Metzgerei Baumgartner. Fotos von genau dieser Situation habe ich (noch) keine.
Deutlich schwieriger war die Verortung der Höfe Hofer und Unterhofer. Zuerst einmal ist es naheliegend zu denken, dass wenn ein Oberhofer existiert, es zumindest auch einen Unterhofer geben wird. Ein Hofer – zwischen den beiden – ist ebenfalls denkbar. Bestärkt wurde ich in letzterer Annahme von der Tatsache, dass die drei Höfe höhenversetzt sind, der Hofer als landwirtschaftliches Anwesen samt Gastwirtschaft immer wieder beschrieben wird und die Eigentümer des untersten Hofes Unterhofer hießen.
Doch es kamen bald auch Zweifel an der These auf: Denn der Unterhofer’sche Hof wird immer wieder als Doppelbauer (siehe unten) bezeichnet. Doppelbauer bedeutet Besitzer zweier Höfe? Und wenn das nicht der Unterhofer ist, wer in Maria Schnee ist er dann?
Meine ursprüngliche Hypothese habe ich endgültig verworfen, als ich letztlich die Meldung fand, dass der Oberbozner Grund- und Bauverein 1921 dem Karl Ramoser den Ober- und Unterhofer verkauft hat (siehe Zeitungsausschnitt). Unmöglich nämlich, dass der Doppelbauer einmal auch dem späteren Hoferbauer gehört haben konnte! Aber zum Glück sind in der Meldung auch die Einlegezahlen des Grundbuchs vermerkt.
Ein Besuch im Grundbuchsamt in Bozen und das Durchblättern der ledergebundenen schweren historischen Bücher hat dann endlich Klarheit geschafft: Offiziell gab es den Oberhofer, Unterhofer und Doppelbauer. Mit der verwirrenden Eigenheit, dass der Unterhofer immer wieder einfach nur Hofer genannt wurde.
Dieser schlampige Umgang mit den Hofnamen hat mich die längste Zeit im Dunkeln tappen lassen. Gelernt habe ich in der Sache, dass es in diesen Fällen besser gewesen wäre, das Grundbuch von Anfang an in Anspruch zu nehmen, in den Einlagen der betroffenen Katastergemeinden systematisch zu blättern und für die Verortung der Höfe die BP-Nummern der Hofstelle zu notieren. Meine Lernkurve in dieser Recherche zeigt also immer noch steil aufwärts.
In der nächsten Zeit werde ich die drei Höfe und deren Entwicklung detaillierter darstellen.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Julius Perathoner (1849 bis 1926) war nicht ein Teil der Kinseleverwandschaft aber doch sehr zumindest mit einem von ihnen sehr verbunden: Anton Kinsele (1865 bis 1946) arbeitete zusammen mit Perathoner in der gemeinsamen Anwaltskanzlei am Bozner Obstmarkt. Anton Kinsele war auch unter Perathoner Stadtrat in Bozen und blieb sogar nach der Machtergreifung der Faschisten im Rahmen der Möglichkeiten ein politisch agierender Mensch (ihm werden noch einige Beiträge gewidmet werden).
Nachdem Julius Perathoner ganz stark ein (Vorzeige-) Kind seiner Zeit war, das Umfeld der vorletzten Kinsele-Generation auch am Ritten wesentlich beeinflusst hat und zudem erst vor ein paar Tagen der bemerkenswerte Beitrag im RAI Sender Südtirol ausgestrahlt wurde, wollte ich die dessen Aufzeichnung der geschätzten Leserschaft nicht vorenthalten.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Kainrath, Peter Paul (2017). Julius Perathoner. Media Art im Auftrag von Rai Südtirol.
Richard Kinsele (3), der Weinexperte
Category: Menschen,Zeitschiene
geschrieben von Armin Kobler | 12. November 2022
Für einen vermögenden Bozner Patrizier gehörte es zu der Zeit natürlich dazu, auch über Weingüter zu verfügen. Richard Kinsele beließ es nicht nur beim Eigentum, er soll sich auch bei der Weinbeurteilung dementsprechend gut ausgekannt haben, so dass er in die Jury der Weinprämierung anlässlich der “Früchten-Ausstellung” berufen wurde (Bozner Zeitung vom 24.9.1867).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte sich das segensreiche Wirken Erzherzog Johanns von Österreich der vorangegangen Jahre stark bemerkbar, insbesondere was die Aktivitäten der von ihm gegründeten landwirtschaftlichen Gesellschaften angeht. Alle interessierte Personen, unabhängig von ihrem Stand, konnten sich dort einbringen und am landwirtschaftlichen Fortschritt mitwirken. Es wurden neue Rebsorten, Anbaumethoden und Verarbeitungstechniken ausprobiert und nach einigen Jahrzehnten erblühte der tirolische Weinbau wieder. Herr Helmut Scartzezzini hat darüber publiziert, in meinem Wein-Blog kann man diese interessante Abhandlung nachlesen: Erzherzog Johann und der Weinbau in SüdtirolTeil 1, Teil 2.
Immerhin wurde schon damals blind verkostet, eine Voraussetzung für ein möglichst objektives Urteil. Und auch die Probleme mit den Verschlüssen sind nicht neu. Der Gebrauch von Siegellack über den Flaschenhals scheint übrigens damals durchwegs üblich gewesen zu sein.
Richard Kinsele war nicht der erste seiner Familie, der an der Weiterentwicklung und Verbesserung des Weinbaus in Tirol beteiligt war. “In der Versammlung des Zentralvereins (der K. K. Landwirtschaftsgesellschaft von Tirol und Vorarlberg) von 1840 berichtet die Filiale Bozen über die von Herrn von Kinsele eingeleiteten und vom Freiherrn Ignaz von Giovanelli fortgesetzten Rebenanpflanzungen mit Edelreisern von Frankreich, vom Rhein und anderen.” berichtet Scartezzini. Es muss sich dabei um den Onkel von Richard gehandelt haben. Josef von Kinsele zu Eckberg (1765 bis 1839) war nämlich der einzige adelige Kinsele.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Die Heirat Richard Kinseles 1860 mit Franziska Kapeller (1835 bis 1891) war sicherlich hinsichtlich mehrerer Aspekte ein guter Zug, war sie doch die Tochter des Bozner Bürgermeisters Anton Kapeller, welcher von 1851 bis 1861 im Amt war. Wenn man der deutlich liberal eingestellten “Inn-Zeitung” vom 26. Oktober 1864 Glauben schenken kann, hat Richaed Kinsele konkrete Ambitionen hinsichtlich des Bürgermeistesessels gehabt. Die geschilderte Vorgangsweise klingt recht gefinkelt und das Ränkespiel zeigt deutliche Parallelen zur heutigen Politik auf (früher war eben nicht alles besser, nur so nebenbei bemerkt). Kapeller hätte also 1864 wieder kandidieren sollen und Richard Kinsele wäre ihm als Sekretär beigestellt worden. Nachdem der Bürgermeister aber wegen seines fortgeschrittenen Alters immer mehr auf die Hilfe Kinseles angewiesen gewesen wäre, würde Letzterer immer mehr zum De-facto-Regierenden und das nächste Mal als logischer Nachfolger gewählt werden.
Die angeführte Zeitung schildert sehr detailreich die verschiedenen Wahlgänge. Kinsele und Kapeller hatten sich zu diesem Zweck mit den Gegenspielern der Liberalen, den Klerikalen, zusammengetan. Die Wahlvorgänge scheinen aus heutiger Sicht sehr komplex gewesen zu sein, Tatsache ist, dass die Rechnung für beide nicht aufgegangen ist.
Bürgermeister wurde also der Liberale Dr. Josef Streiter, nach dem die heutige Gasse im Zentrum Bozens benannt ist.
Besser geklappt hat es vorher mit der Wahl zum Landtagabgeordneten. Richard Kinsele wurde 1864 von den Mitgliedern der Bozner Handelskammer dorthin entsandt. Eine gute Presse, wie man so sagt, scheint er weiterhin nicht gehabt zu haben. Die nämliche Inn-Zeitung (7.3.1864), wirft Kinsele, “für den keine großen Sympathien herrschen”, vor, von Franz v. Kofler protegiert zu sein. Hätten die anderen namhaft gemachten Kandidaten ihr Interesse bekundet, wären wohl diese gewählt worden, so die Zeitung. Im zweiten Wahlgang erhielt er dann die notwendige Mehrheit. Er versprach im Vorfeld “liberal zu sein und die Interessen des Handelsstandes auf das nachdrücklichste zu fördern”. Warum er dann schon 1866 von diesem Amt zurücktrat, entzieht sich meiner Kenntniss.
Aktiv war er auch in der von Franz von Kofler gegründeten, inzwischen zu einer Aktiengesellschaft umgewandelten “Baumwoll- und Filosell-Spinnerei” in St. Anton bei Bozen. Zusätzlich dazu spielte er eine Rolle bei den “Augsburger Gaswerken”, welche auch in Österreich und damit Bozen, aktiv waren. Bei der “Sparkassa zu Bozen” war er als Zensorenstellverter im Vorstand.
1849 trat Richard Kinsele zusammen mit seiner Mutter und seinen anderen sechs Geschwistern die umfangreiche Erbschaft des Alois Kinsele (geb. 1796) an. Gemeinsam mit seinem Bruder Franz kaufte er 1869 die Villa Kinsele den Miterben ab, 1873 überließ er dem Bruder Franz seinen Anteil am Haus. 1866 schon hatte er jenes Sommerfrischhaus in Maria Schnee, welches vorher im Eigentum der Wilhelmine Witwe Kofler geb. Grätzl war, ersteigert. Stammt die von uns zugemauert vorgefunden Verbindungstür vom Balkonzimmer zum Nachbarhaus etwa aus der Zeit des gemeinsamen Miteigentums?
Es verwundert nicht, dass er als bekannter Oberbozner Sommerfrischler auch für zwei Perioden Oberschützenmeister am dortigen Schießstand war. Ob er auch für die Kultur viel übrig hatte, weiß man nicht. Interessant wäre zu erfahren, was aus der Gemäldesammlung seines Onkels Josef von Kinsele zu Eckberg geworden ist. Diese soll ja zu dessen Lebzeiten die größte weit und breit gewesen sein.
Der Ehe mit Franziska Kapeller entsprossen zwei Kinder, Anton Kinsele (1865 bis 1946) und Franziska (Fanny) Kinsele (1869 bis 1956). Beide blieben unverheiratet und ohne Nachkommen. Sie verkauften das Haus in Oberbozen 1921 und lebten als Optanten für das Deutsche Reich schlussendlich in Hall in Tirol.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Braitenberg, Carl von / Andergassen, Leo / Walther, Franz von / Kofler, Oswald and Braitenberg, Carl von (1994). Die Schützenscheiben von Oberbozen: Symbole eines ritterlichen Exercitiums (Völlig umgearbeitete und ums Doppelte erw. Neuaufl.). Bozen: Edition Raetia.