Wie ich bereits in einem früheren Beitrag angedeutet habe, hat die Erschließung des Rittner Hochplateaus durch die Zahnradbahn große bauliche Veränderungen ausgelöst. Sie wären noch viel tiefgreifender gewesen, wenn nicht der Erste Weltkrieg und seine politischen Folgen den Bautätigkeiten eine unerwartete Unterbrechung, die fast bis zur Fertigstellung der Straße im Jahre 1971 dauerte, beschert hätten.
Um das Gebiet vor allem um Maria Schnee und Klobenstein baulich zu erschließen, wurde in Bozen noch während des Bahnbaues der “Oberbozner Grund- und Bauverein” als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet (Abb.1). Für den heutigen Leser besonders interessant: Einige Mitgesellschafter waren gleichzeitig Bozner Kommunalpolitiker, allen voran Bürgermeister Julius Perathoner, die den Bahnbau voller Überzeugung politisch forcierten. Heute wäre eine solche Konstellation völlig unmöglich, die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen zu vordergründig. In den Zeitungen, auch in jenen, die das Wirken des freiheitlichen Bürgermeisters kritisch verfolgten, wurde dies aber nicht thematisiert. Ob nun die Gesellschaft gegründet wurde, um die Bebauung nicht nach dem Gutdünken einzelner Bauherren, sondern gemäß raumplanerisch sinnvollen Grundsätzen durchzuführen, oder ob doch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, oder ob es sich gar um den glücklichen Fall einer Win-Win-Situation handelte, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Sicher ist aber, dass die Bedeutung dieser Gesellschaft für den Ritten noch nicht historisch aufgearbeitet wurde und auch ihre nicht realisierten Pläne, soweit sie noch vorhanden sind, harren noch der Entdeckung. Fest steht auch – das Grundbuch spricht eine eindeutige Sprache – dass der Oberbozner Grund- und Bauverein als unangefochtener Platzhirsch auftrat. Einzig Edmund Zallinger, Grieser Kurdirektor und auch wie die vorigen genannten eifriger Bahnpromotor, war immobilienmäßig in Oberbozen tätig, aber auf einer kleineren Fläche zwischen St. Magdalena und Maria Schnee.
Abb. 1: Bozner Nachrichten vom 20. Dezember 1906.
Mit dem Erwerb der flächen- und gebäudemäßig gut ausgestatteten Bauernhöfe Ober- und Unterhofer hatte sich die Gesellschaft die Filetstücke in und um Maria Schnees gesichert. So wurde der Bahnhof Oberbozen am oberen Rand der Hoferbreiten errichtet, genauso das gleichnamige Hotel. Zum besseren Verständnis sei angefügt, dass der Unterhofer schon damals oft einfach nur mehr Hofer genannt wurde; diese Ungenauigkeit auch im schriftlichen Verkehr hat mir übrigens anfangs die Recherchen sehr erschwert. Um das Beherbergungsangebot in Oberbozen weiter zu verbessern, wurde das Wohnhaus des Unterhofers nun ganz zum Gasthof umgebaut und ein Pächter dafür gesucht (Abb. 2).
Abb.2: Die Annonce in der Bozner Zeitung vom 14. Februar 1907 zeigt uns heute, was einen Gastbetrieb damals attraktiv machte.
Die Umtriebigkeit der Gesellschafter wurde auch medial gewürdigt, wie entsprenchede Zeitungsmeldungen bezeugen (Abb. 3). Mit Davos und St. Moritz als Vorbilder hatte man tatsächlich Großes vor. Während man mit Hans Holzner als anfänglich Pächter, später Eigentümer des Hotel Oberbozen eine kontinuierliche Periode in der Rittner Tourismusgeschichte einläutete – die Familie führt inzwischen den vorbildlich geführten Betrieb in der vierten Generation – , war die Geschichte des heutigen Hotel Post weniger linear.
Abb. 3: Ausschnitt aus einem Bericht in der Bozner Zeitung über die Fortschritte beim Bau der Rittnerbahn vom 16. Februar 1907.
Wie schon beim Hotel Oberbozen 1911 verkaufte die Eigentümergesellschaft auch beim Gasthof Hofer nach einigen Jahren die Liegenschaft an den Pächter und auch hier erhielt der Betrieb den Namen desselben. Die Familie Friedl führte das Hotel bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach übernahm der Hoteldirektor Karl (Carletto) Lang den Betrieb, der in der Folge die bis heute gültige Bezeichnung Hotel Post erhielt. Ausschlaggebend für die Namensänderung dürfte das zwischenzeitlich im Hotel untergebrachte Postamt gewesen sein. Eine Poststation, wie der unbedarfte Gast meinen könnte, hat es hier aber nie gegeben, schon deshalb nicht, weil der Ort an keiner Durchzugsstraße lag.
Abb. 4: Vom Gasthof Hofer (siehe Abb. 5 im vorigen Beitrag) zum Hotel Friedl. Jetzt ist vom vorigen Bauernhof kaum mehr was zu erkennen, eine großzügige Veranda und viele Balkone prägen die Südseite, im Norden ist ein turmartiger Zubau entstanden, die spätere Dependance rechts ist aber noch Wirtschaftsgebäude. Auf Grund der ausschleißlich italienischsprachigen Beschriftung ist die Ansichtskarte der Zwischenkriegszeit zuzuordnen (Ansichtskarte Sammlung Kobler).
Um dem wachsenden Maria Schnee auch eine dörfliche Struktur zu geben, wurden in der Nähe der Kirche zwei Wohnhäuser mit Geschäftslokalen im Erdgeschoss errichtet, welche aneinandergebaut waren und somit den Beginn eines sich weiterzuentwickelnden Straßenzuges ergaben. Heute ist darin das “Tutti Patschenggele” und der “Weissensteiner” untergracht. Dafür musste aber der Stadel des Oberhofers mit seinen Nebengebäuden weichen.
Und wie ging es mit den beiden Höfen weiter? Trotz dass einiges davon verbaut wurde ist durch die Zusammenlegung der Flächen ein bemerkenswert großer Betrieb entstanden. Der Hofer, so sein Name jetzt, wurde gleich nach dem Erwerb 1907 an den Mittelberger Karl Ramoser, einem Schartnerhofsohn und Viehhändler, verpachtet.
Abb. 5: Der Nachruf über Karl Ramoser sen., erschienen in den Dolomiten vom 4. Dezember 1961.
Die Bauersleute nutzten die beiden übriggebliebenen Gebäude, d.h. sie wohnten im alten Oberhofergebäude und als Stadel wurde jener des ehemaligen Unterhofers verwendet. Nachdem das Ende des Ersten Weltkrieges der wirtschaftlichen Expansion ein jähes Ende gesetzt hatte und eine weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs nicht absehbar war, verkaufte der Oberbozner Grund- und Bodenverein 1920 den gesamten Hof an Karl Ramoser. Dieser errichtete in den 1930er Jahren oberhalb der Bäckerei Hackhofer ein großzügiges Bauernhaus und siedelte sich dort an.
Abb. 6: Ganz rechts der in den 30er Jahren neu erbaute Hofer, das Bild dürfte vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein. Zu sehen ist noch der erste Stadel, der 1966 ein Raub der Flammen wurde (Ansichtskarte Sammlung Kobler).
Das alte Oberhofergebäude wurde später aufgestockt und zu einem Wohnhaus mit Mietwohnungen, der Villa Barbara, umgebaut. Zeitweise war im Parterre sogar die Tapeziererwerkstatt Prast untergebracht. Das benachbarte kleinere Wirtschaftsgebäude, heute zum Gasthaus Babsi erweitert, beherbergte neben einer kleinen Wohnung im Erdgeschoss zeitweise die erste Filiale der örtlichen Raiffeisenkasse.
Abb. 7: Villa Kinsele (links) und Villa Barbara (auf dem Foto leider teilweise von unserer Linde verdeckt) von Süden in den 50er Jahren. Nichts erinnert mehr an das frühere Oberhoferhaus (Foto Sammlung Kobler).Abb. 8: Die Ostseite der Villa Barbara – die Inschrift unter der Loggia ist noch erkennbar – und rechts ein Teil des Wegerhauses, 1985. Das Nebengebäude (Abb. 9) ist bereits abgerissen, das Gasthaus Babsi entsteht (Foto Sammlung Kobler).Abb. 9: Nordseite des Nebengebäudes des ehemaligen Oberhofers, Anfang der 80er Jahre. Der schwer zu findende Eingang zur ebenerdigen Raiffeisenkasse befand sich auf der Ostseite, man musste links durch den schmalen Durchgang zwischen dem Gebäude und der Dependance des Hotels Post gehen. Die Wohnung im ersten Stock wurde vermietet.
Der große Unterhoferstadel brannte 1902 und 1913 durch Blitzschlag ab, wurde aber jedes Mal wieder aufgebaut. Schließlich fiel er nach der Aussiedlung des Hofers der Spitzhacke zum Opfer. An seiner ehemaligen Nordseite stand dann jahrzehntelang der hölzerne Pavillon der Musikkapelle Oberbozen, zuerst ohne, dann mit teilweiser Überdachung. Auch der neue Hoferstadel brannte übrigens schon einmal ab, und zwar 1966, wobei die Brandursache laut Zeitungsbericht diesmal nicht festgestellt werden konnte.
Abb. 10: Das im Zuge der baulichen Entwicklung in Maria Schnee entstandene kleine Handelszentrum: die ehemals als Metzgerei, Gemischtwarenhandlung und Pension genutzten Gebäude Baumgartner-Prock. Vorne links der erste, noch nicht überdachte Musikpavillon mit den fixen Notenpulten, welcher dort errichtet wurde, wo früher der Unterhoferstadel nordseits an den Weg grenzte (Ansichtskarte, vermutlich 1950er Jahre. Auch dieses Mal ein krasser Vedutenschwindel, die im Hintergrund dargestellten Dolomiten liegen tatsächlich im Rücken des Betrachters).
Von nun an erinnerte im Zentrum von Maria Schnee nichts mehr an die vergangene bäuerliche Tätigkeit, der Wandel von ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Gebäuden zu Handel, Dienstleistung und Tourismus war vollzogen.
(Schluss)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Foto Fränzl (Zwischenkriegszeit). OBERBOZEN am RITTEN bei Bozen – 3330a SOPRABOLZANO m. 1220 sul RENON VILLA LAURIN [Ansichtskarte].
Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer (1)
Category: Nachbarschaft,Siedlungsgeschichte
geschrieben von Armin Kobler | 7. Januar 2025
Unter Blinden ist der Einäugige König
Als ich vor nunmehr vier Jahren mit meinen hobbymäßigen Nachforschungen begann, hoffte ich sehr, auf die Aussagen älterer, besser informierter Personen zurückgreifen zu können. Für die Geschichte des Weilers Maria Schnee haben sich mir aber bisher leider keine wertvollen Gewährsleute zur Verfügung gestellt. Die von mir vorgestellten bisherigen Ergebnisse sind daher im Wesentlichen nur das Ergebnis von Recherchen in den digitalisierten Zeitungs- und Bucharchiven der Tessmann-Bibliothek sowie in den Sammlungen historischer Fotos und Ansichtskarten und natürlich im Kataster- und Grundbuch. In Gesprächen mit Einheimischen äußerten diese oft ihr Erstaunen ob meiner sicherlich nicht herausragenden Erkenntnisse, während mich ihr geringes Interesse an der Ortsgeschichte ebenso verblüffte wie enttäuschte. Wie so oft gilt auch hier: „Unter Blinden ist der Einäugige König“.
Abb. 1: Die drei zentralen Höfe des Weilers Maria Schnee um 1858 (Geobrowser Südtirol, Franziszeischer Kataster 1858, übermalt durch den Autor).
Es ist durchaus plausibel, dass das Mittelgebirge des Rittner Berges schon früh landwirtschaftlich besiedelt war, eignen sich doch die relativ flachen Hänge und die klimatisch günstige Höhenlage sehr gut für den Anbau verschiedener landwirtschaftlicher Kulturen. Insofern dürften auch die drei – ich nenne sie vorerst so – „Urhöfe“ rund um die spätere Maria-Schnee-Kirche schon lange vor der Errichtung der beiden Sommerfrischehäuser bestanden haben. Wie aber sahen diese drei Höfe mit den zum Teil vergessenen Namen (ich berichtete hier zum ersten Mal darüber) früher aus? Der Franziszeische Kataster von 1858, eine überaus wertvolle Quelle, ergänzt durch das Grundbuch von 1908, zeigt uns den Zustand vor den großen Umwälzungen durch den Zahnradbahnbau (Abb. 1).
Wie in Abb. 1 zu sehen ist, war die heutige Villa Barbara das Wohnhaus des Oberhofers, sein Stall/Stadel befand sich etwa dort, wo heute die Familie Holzner ihr „Patschengele“ betreibt. Leider habe ich bis heute kein bildliches Dokument von ihm gefunden. Das heutige Gasthaus „Babsi“ war hingegen ein zweites, damals etwas kleineres Wirtschaftsgebäude desselben Hofes.
Abb. 2: Rechts ein Teil des Oberhofer-Wohngebäudes. Das rustikale Erscheinungsbild des Bauernhauses im Vergleich zur herrschaftlichen Sommerresidenz wird besonders durch die Dacheindeckung und den Bretterzaun deutlich. (Gugler, Fotografie um 1900). Klicken Sie wie immer auf das Bild, um die Ansicht zu vergrößern.
Abb. 3: In der Mitte der Oberhoferbau mit seinem charakteristischen, dominanten Walmdach, links davon, von den Bäumen ziemlich verdeckt, die Villa Kinsele. Ganz links das Hotel Viktoria (Doppelbauer), ganz rechts das Hotel Post (Unterhofer). Ausschnitt einer Postkarte aus der Zwischenkriegszeit.Abb 4: Die Firsthöhe des Oberhofer-Wohngebäudes entsprach jener der Wegerschen Sommerbehausung, welche bis heute sich so darstellt wie auf dieser Vergrößerung einer Postkarte aus der Zwischenkriegszeit.
Die Bauersleute des Unterhofers hingegen bewohnten den Gebäudekern des heutigen Hotels Post. Auch ohne die Anbauten Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts ein stattliches Gebäude. Der große Stall ist allerdings verschwunden, an seiner Stelle steht inzwischen der hölzerne Musikpavillon, die älteren Semester unter uns werden sich noch daran erinnern. Heute dient das Gelände als kleiner Park für die Gäste des Hotels Post. Das ehemalige hölzerne Nebengebäude, das heute zum Bistro Babsi gehört, ist auf den ältesten Fotos als kleines Wirtschaftsgebäude des Hofes zu erkennen.
Abb. 5: Der Unterhofer, inzwischen als “Gasthof Hofer”auch Gastwirtschaft geworden (rechts) in der frühesten mir vorliegenden Abbildung vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die Bahntrasse darunter gut erkennbar. Das massive Wohngebäude wurde gerade zum Gasthof (Hotel Hofer) umgebaut, erkennbar an der ersten Veranda nach Süden und den zahlreichen Dachgauben. Links das Wohnhaus und der Stadel des Doppelbauern.Abb. 6: Ganz links im Vordergrund der heute verschwundene Stadel des Unterhofers und das Wohnhaus, das heutige Hotel Post. Gut erkennbar das Prockhaus und in der Mitte und rechts der Rittnerhof in seiner ursprünglichen Form. Im Vordergrund der leider zugeschüttete Dorfteich.Abb. 7: Der Unterhoferstadel in einer Luftaufnahme von 1907. Dass er hier anders aussieht als in Abbildung 6 kann daher rühren, dass er in der Zwischenzeit abgebrannt und wieder aufgebaut wurde.
Am wenigsten hat sich der Doppelbauer verändert. Zwar erfuhr das Wohngebäude immer wieder Erweiterungen und Adaptierungen, letztlich zum Hotel Viktoria, er ist aber bis heute im Wesentlich en ein Bauernhof mit Gastbetrieb geblieben (Abb. 8 bis 10).
Abb. 8: Von vorne nach hinten: Stadel, Neben- und Wohngebäude des Doppelbauernhofes um die vorletzte Jahrhundertwende (Foto, Sammlung Kinsele-Kobler).Abb. 9: Das Wohnhaus des Doppelbauern von Südwesten. Gut zu erkennen ist die mächtige Lärche, die lange Zeit das Ortsbild prägte und auch in die Literatur Eingang gefunden hat. Das Kellergeschirr im Vordergrund deutet darauf hin, dass auch hier, oberhalb der Weinbauzone, Wein gekeltert wurde, vermutlich für die Gäste des Hauses. Es gibt Hinweise darauf, dass der Doppelbauer der erste Gasthof in Maria Schnee war (Foto, Sammlung Kinsele-Kobler).Abb.10: Von links nach rechts: Kirche Maria Schnee, Villa Kinsele, Unterhofer (etwas verdeckt), Doppelbauer (Ansichtskarte um 1900).
Um zu zeigen, auf Kosten welcher Gründe die Entwicklung vom bäuerlichen Maria Schnee zum heutigen suburbanen Oberbozen stattgefunden hat, habe ich in der Abb. 10 auf der Ortofotokarte von 2023 die Grenzen der Höfe, Stand um 1900, eingezeichnet. Es ist leicht zu erkennen, dass der Doppelbauer von der baulichen Expansion kaum betroffen war, der Oberhofer hingegen massiv. Auch die beiden Wiesen rund um unsere Villa Kinsele gehörten früher zum Oberhofer.
Abb. 10: Die Aufteilung der verschiedenen Grundstücke von Maria Schnee auf die drei Höfe Oberhofer (rote Umrisse), Unterhofer (grün) und Doppelbauer (schwarz) vor dem Bahnbau. Grafische Grundlage ist der Franziszeische Grundkataster, die Umrisse wurden auf Basis der Katastralmappe 1908 erstellt.
(Fortsetzung folgt)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Anonym (Anfang 20. Jh.). Ritten, Tirol: Maria Schnee mit dem Rosengarten [Ansichtskarte].
Maria Schnee
Category: Nachbarschaft
geschrieben von Armin Kobler | 7. Januar 2025
Ein kräftiger Schneefall hat Ende Februar Oberbozen wieder in eine tiefweiße Winterlandschaft verwandelt.
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Hofer, Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer?
Category: Nachbarschaft,Siedlungsgeschichte
geschrieben von Armin Kobler | 7. Januar 2025
Der Versuch, die Höfe endlich eindeutig zu bestimmen.
Auszug aus dem Franziszeischer Kataster um 1860.
Auch wenn die Villa Kinsele im Mitttelpunkt der Häusergeschichte bleibt, ist es naheliegend, auch die Geschichte der umgebenden Gebäude etwas zu beleuchten. Besonders, wenn unser Sommerfrischhaus mit diesen zusammengebaut ist. Vielleicht finden wir noch den Grund heraus, warum hier – anders als in Oberbozen sonst üblich – zwei Sommerfrischhäuser an ein nachweislich älteres Bauernhaus angebaut sind; vielleicht bleibt es aber auch ein Geheimnis. Von den drei Höfen, welche den Kern Maria Schnees bilden, hat nur mehr einer eine zudem teilweise landwirtschaftliche Funktion. Einer wurde in ein Hotel umgewandelt und einer in Wohnungen, später zusätzlich zu einem Gasthaus umgebaut.
“… grenzend gegen Osten an die Oberhoferwiese und den Oberhoferplatz, gegen Süden an die Behausung des Oberhofer und der Alois Kinsele’schen Erben, gegen Abend an die Wiese des Doppelbauern und die Kirche von Maria Schnee, gegen Norden an die Wiese des Oberhofer.”
Beilage zur Bozner Zeitung 9.6.1866
Das ist natürlich ein Hinweis, welcher ob seiner Präzision sehr hilfreich ist. Es ist das Versteigerungsedikt, mit dem die Verlassenschaft der Frau Wilhelmine Witwe Kofler geborenen Grätzl feilgeboten wird (das spätere Wegerhaus). Interessant, dass der Stadel des Oberhofers an dem Ort stand, wo später eine kurze, urban wirkende Häuserzeile entstand, genau gesagt die Metzgerei Baumgartner. Fotos von genau dieser Situation habe ich (noch) keine.
Deutlich schwieriger war die Verortung der Höfe Hofer und Unterhofer. Zuerst einmal ist es naheliegend zu denken, dass wenn ein Oberhofer existiert, es zumindest auch einen Unterhofer geben wird. Ein Hofer – zwischen den beiden – ist ebenfalls denkbar. Bestärkt wurde ich in letzterer Annahme von der Tatsache, dass die drei Höfe höhenversetzt sind, der Hofer als landwirtschaftliches Anwesen samt Gastwirtschaft immer wieder beschrieben wird und die Eigentümer des untersten Hofes Unterhofer hießen.
Links im Bild der Doppelbauer, der Unterhofer (inzwischen Gasthof Hofer) rechts.
Doch es kamen bald auch Zweifel an der These auf: Denn der Unterhofer’sche Hof wird immer wieder als Doppelbauer (siehe unten) bezeichnet. Doppelbauer bedeutet Besitzer zweier Höfe? Und wenn das nicht der Unterhofer ist, wer in Maria Schnee ist er dann?
Carl Höffinger (1895) S. 376
Meine ursprüngliche Hypothese habe ich endgültig verworfen, als ich letztlich die Meldung fand, dass der Oberbozner Grund- und Bauverein 1921 dem Karl Ramoser den Ober- und Unterhofer verkauft hat (siehe Zeitungsausschnitt). Unmöglich nämlich, dass der Doppelbauer einmal auch dem späteren Hoferbauer gehört haben konnte! Aber zum Glück sind in der Meldung auch die Einlegezahlen des Grundbuchs vermerkt.
Südtiroler Landeszeitung (18.8.1921) S.3
Ein Besuch im Grundbuchsamt in Bozen und das Durchblättern der ledergebundenen schweren historischen Bücher hat dann endlich Klarheit geschafft: Offiziell gab es den Oberhofer, Unterhofer und Doppelbauer. Mit der verwirrenden Eigenheit, dass der Unterhofer immer wieder einfach nur Hofer genannt wurde.
Dieser schlampige Umgang mit den Hofnamen hat mich die längste Zeit im Dunkeln tappen lassen. Gelernt habe ich in der Sache, dass es in diesen Fällen besser gewesen wäre, das Grundbuch von Anfang an in Anspruch zu nehmen, in den Einlagen der betroffenen Katastergemeinden systematisch zu blättern und für die Verortung der Höfe die BP-Nummern der Hofstelle zu notieren. Meine Lernkurve in dieser Recherche zeigt also immer noch steil aufwärts.
In der nächsten Zeit werde ich die drei Höfe und deren Entwicklung detaillierter darstellen.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Die Heirat Richard Kinseles 1860 mit Franziska Kapeller (1835 bis 1891) war sicherlich hinsichtlich mehrerer Aspekte ein guter Zug, war sie doch die Tochter des Bozner Bürgermeisters Anton Kapeller, welcher von 1851 bis 1861 im Amt war. Wenn man der deutlich liberal eingestellten “Inn-Zeitung” vom 26. Oktober 1864 Glauben schenken kann, hat Richaed Kinsele konkrete Ambitionen hinsichtlich des Bürgermeistesessels gehabt. Die geschilderte Vorgangsweise klingt recht gefinkelt und das Ränkespiel zeigt deutliche Parallelen zur heutigen Politik auf (früher war eben nicht alles besser, nur so nebenbei bemerkt). Kapeller hätte also 1864 wieder kandidieren sollen und Richard Kinsele wäre ihm als Sekretär beigestellt worden. Nachdem der Bürgermeister aber wegen seines fortgeschrittenen Alters immer mehr auf die Hilfe Kinseles angewiesen gewesen wäre, würde Letzterer immer mehr zum De-facto-Regierenden und das nächste Mal als logischer Nachfolger gewählt werden.
Die angeführte Zeitung schildert sehr detailreich die verschiedenen Wahlgänge. Kinsele und Kapeller hatten sich zu diesem Zweck mit den Gegenspielern der Liberalen, den Klerikalen, zusammengetan. Die Wahlvorgänge scheinen aus heutiger Sicht sehr komplex gewesen zu sein, Tatsache ist, dass die Rechnung für beide nicht aufgegangen ist.
Bürgermeister wurde also der Liberale Dr. Josef Streiter, nach dem die heutige Gasse im Zentrum Bozens benannt ist.
Besser geklappt hat es vorher mit der Wahl zum Landtagabgeordneten. Richard Kinsele wurde 1864 von den Mitgliedern der Bozner Handelskammer dorthin entsandt. Eine gute Presse, wie man so sagt, scheint er weiterhin nicht gehabt zu haben. Die nämliche Inn-Zeitung (7.3.1864), wirft Kinsele, “für den keine großen Sympathien herrschen”, vor, von Franz v. Kofler protegiert zu sein. Hätten die anderen namhaft gemachten Kandidaten ihr Interesse bekundet, wären wohl diese gewählt worden, so die Zeitung. Im zweiten Wahlgang erhielt er dann die notwendige Mehrheit. Er versprach im Vorfeld “liberal zu sein und die Interessen des Handelsstandes auf das nachdrücklichste zu fördern”. Warum er dann schon 1866 von diesem Amt zurücktrat, entzieht sich meiner Kenntniss.
Aktiv war er auch in der von Franz von Kofler gegründeten, inzwischen zu einer Aktiengesellschaft umgewandelten “Baumwoll- und Filosell-Spinnerei” in St. Anton bei Bozen. Zusätzlich dazu spielte er eine Rolle bei den “Augsburger Gaswerken”, welche auch in Österreich und damit Bozen, aktiv waren. Bei der “Sparkassa zu Bozen” war er als Zensorenstellverter im Vorstand.
1849 trat Richard Kinsele zusammen mit seiner Mutter und seinen anderen sechs Geschwistern die umfangreiche Erbschaft des Alois Kinsele (geb. 1796) an. Gemeinsam mit seinem Bruder Franz kaufte er 1869 die Villa Kinsele den Miterben ab, 1873 überließ er dem Bruder Franz seinen Anteil am Haus. 1866 schon hatte er jenes Sommerfrischhaus in Maria Schnee, welches vorher im Eigentum der Wilhelmine Witwe Kofler geb. Grätzl war, ersteigert. Stammt die von uns zugemauert vorgefunden Verbindungstür vom Balkonzimmer zum Nachbarhaus etwa aus der Zeit des gemeinsamen Miteigentums?
Aus der “Bozner Zeitung” vom 9. 6. 1866. So eine Beschreibung ist sehr aufschlussreich, da sie die Namen anderer Immobilien und deren Eigentümer zu diesem Zeitpunkt erschließt.
Es verwundert nicht, dass er als bekannter Oberbozner Sommerfrischler auch für zwei Perioden Oberschützenmeister am dortigen Schießstand war. Ob er auch für die Kultur viel übrig hatte, weiß man nicht. Interessant wäre zu erfahren, was aus der Gemäldesammlung seines Onkels Josef von Kinsele zu Eckberg geworden ist. Diese soll ja zu dessen Lebzeiten die größte weit und breit gewesen sein.
Der Ehe mit Franziska Kapeller entsprossen zwei Kinder, Anton Kinsele (1865 bis 1946) und Franziska (Fanny) Kinsele (1869 bis 1956). Beide blieben unverheiratet und ohne Nachkommen. Sie verkauften das Haus in Oberbozen 1921 und lebten als Optanten für das Deutsche Reich schlussendlich in Hall in Tirol.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Braitenberg, Carl von / Andergassen, Leo / Walther, Franz von / Kofler, Oswald and Braitenberg, Carl von (1994). Die Schützenscheiben von Oberbozen: Symbole eines ritterlichen Exercitiums (Völlig umgearbeitete und ums Doppelte erw. Neuaufl.). Bozen: Edition Raetia.