Das Geheimnis des Koffers

Abb. 1: Der braune, leere Lederkoffer mit den zahlreichen Aufklebern, welche auf mehrere Schiffsreisen nach Südostasien hinweisen.

Jahrzehnte verstaubte er (Abb. 1) auf dem Dachboden ohne groß beachtet zu werden; ein Beweis der Reisefreudigkeit der letzten Kinsele, nicht mehr, nahm ich an. Und lag falsch, sehr falsch. Denn mit dem Koffer ist eine große, aber traurige Geschichte verbunden. Schauen wir uns deshalb zunächst diesen Filmbericht an:

Abb. 2: “Schicksale jüdischer Familien“, eine wichtige und gut gemachte Dokumentation, welche der RAI Sender Südtirol ausgestrahlt hat. Wider dem Vergessen!

Kurz nach der Sendung habe ich Frau Adriana Viktoria Zanellato-Kraus telefonisch kontaktiert, 2024 dann auch besucht. Denn wenn sie schon in der Villa Pattis, in unmittelbarer Nähe zur Villa Kinsele aufgewachsen ist, dann könnte sie ja diesbezüglich auch über Informationen oder gar Bilder verfügen, welche mir noch unbekannt sind. Dabei war auch Frau Daniela Salvucci, eine Forscherin der Freien Universität Bozen, welche zu Bronisław Malinowski in Südtirol forscht. Und tatsächlich gibt es eine Verbindung zur Villa Kinsele: Die Pension Villa Pattis (Abb. 3), geführt von Luise und Hans Pattis, war als Herberge sehr beliebt – das noch existierende Gästebuch spricht Bände – aber sie war recht klein.



Abb. 3: “OBERBOZEN am RITTEN bei BOZEN 8838 SOPRABOLZANO m. 1222, SUL RENON presso Bolzano VILLA PATTIS” (Ansichtskarte, Nachkriegszeit, Sammlung Kobler).

Um die Nachfrage nach Zimmern zu decken, wurde die gleich daneben liegende Villa Kinsele in den Jahren nach dem Krieg, aber vielleicht auch schon vorher, in der Zeit also, wo sie nicht mehr von den Kinseles bewohnt wurde (Beitrag 1, Beitrag 2), als Dependence verwendet. Das war mir neu. Frau Zanellato-Kraus, welche, übrigens sehr freundlich und auskunftsfreudig war, hat als Kind und Jugendliche des Öfteren u.a. die Aufgabe gehabt, ankommende Gäste zur Villa Kinsele zu begleiten. Nachdem sie von der Familie Pattis aufgenommen wurde, wird auch ein Teil ihrer Habseligkeiten aus Platzgründen im Dachboden der Villa Kinsele gelagert worden sein. Das erklärt den Verbleib des vergessenen braunen Koffers. Der Aufgabeaufkleber (Abb. 4) mit dem Namen ihres Vaters (Abb. 6) ist eindeutig. Wie mir Frau Zanellato-Kraus auch erzählte, war Dante Zanellato, bevor er als Soldat eingezogen wurde, Vertreter für italienische Autos der Marke FIAT in Südostasien. Dazu gibt es auch zahlreiche Fotos des damals noch kinderlosen Ehepaars.

Abb.4: Vor der Aufgabe des Koffers zu Beginn der Schiffsreise wurde er mit diesem beschrifteten Aufkleber versehen.
Abb. 5: Die “Fulda” des Norddeutschen Lloyd Bremen, mit dem Dante Zanellato und der braune Koffer gereist sind. Sie war ein Kombischiff, also Passagiere und Fracht, für den Dienst nach Ostasien.

Ich kann mich erinnern, dass Frau Luise Pattis (Abb. 8), inzwischen Witwe, zu Beginn der 70er Jahre manchmahl im Sommer zu Besuch bei meinen Eltern war. Ich habe als damaliges Kind mitbekommen, dass da irgendeine Beziehung bestanden haben muss, dass sie über unser Haus mehr wusste. Was sie aber meinen Eltern erzählt hat, habe ich nicht erfahren. Und jetzt ist es leider zu spät; bis 2020, dem Jahr seines Todes, hätte mein Vater mir noch was zum Thema weitergeben können. Der Koffer wurde natürlich von mir zurückgegeben, nach 80 Jahren am Dachboden der Villa Kinsele.

Abb. 6: Grete Kornblum und Dante Zanellato mit der kleinen Adriana Viktoria vor ihrem Haus in Oberbozen (Sammlung Zanellato-Kraus).
Abb. 7: Adriana Viktoria Zanellato, ihre Tante Ilse Kornblum und ihre Cousine Ruth vor der Lunwiese in Maria Schnee. Die beiden letzteren überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht, sie wurden im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht (Sammlung Zanellato-Kraus).
Abb. 8: Luise Pattis (Sammlung Zanellato-Kraus).

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Kusstatscher, J., & Gasperi, J. (2020). Schicksale jüdischer Familien – Familie Zanellato [Video recording]. Audio Video Jiri.

Zanellato-Kraus, A. V. (2024). Mündliche Mitteilung.

Foto Fränzl. (50er Jahre). OBERBOZEN am RITTEN bei BOZEN 8838 SOPRABOLZANO m. 1222, SUL RENON presso Bolzano VILLA PATTIS [Ansichtskarte].

Fulda 1924 - 1944. (n.d.). [Fotografie]. https://www.derbysulzers.com/shipfulda.html

Anonym. (30er Jahre). Grete Kornblum und Dante Zanellato mit der kleinen Viktoria vor ihrem Haus in Oberbozen. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.

Anonym. (Zweiter Weltkrieg). Viktoria Zanellato Kraus, ihre Tante Ilse Kornblum und ihre Cousine Ruth vor der Lunwiese in Maria Schnee. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.

Anonym. (60er Jahre). Luise Pattis. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.




Bronisław Malinowski und die Villa Kinsele

In einem früheren Beitrag habe ich aufgezeigt, wie auf die Jahre des Aufschwungs der Villa Kinsele eine Periode des Niedergangs folgte. Ob der Grund dafür im mangelnden Interesse an der Sommerfrische von Seiten der Eigentümer oder – was plausibler ist – in einer Verschlechterung der finanziellen Situation zu suchen ist, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen.

Abb. 1: Annonce in den Bozner Nach-
richten
vom 31.1. und 7.2.1915.

Tatsache ist jedenfalls, dass die Familie Kinsele ihr Sommerhaus nicht mehr bewohnte und es ganzjährig zur Vermietung anbot (Abb. 1). Ob in all den Jahren bis zum Verkauf 1943 Mieter gefunden werden konnten und wer diese waren, wird nicht mehr zur Gänze ermittelbar sein. Von einer Familie wissen wir jedoch, dass sie das Haus bewohnte, denn die Eheleute waren die bedeutenden Wissenschaftler Bronisław Malinowski und seine erste Frau Elsie R. Masson.

Abb. 2: Das Bild zeigt die Familie Malkinovski auf dem Platzl vor der Villa Kinsele (Wayne 1995). Am rechten Bildrand sieht man den zweiten Kastanienbaum, der in den 20er- oder 30er Jahren entfernt wurde und einen kleinen Teil des Daches der Villa Amalia des Pobitzer, welches die Malinowskis im Jahre 1923 erwerben werden .

Bronisław Malinowski (geboren 1884 in Krakau, gestorben 1942 in New Haven) gilt als einer der Begründer der modernen soziokulturellen Anthropologie, seine ethnographische Methode ist bis heute ein wichtiger Bezugspunkt. Man sagt, er sei für die Anthropologie das gewesen, was Freud für die Psychoanalyse war. Während seiner Studienaufenthalte in Ozeanien lernte er seine spätere Frau, die australische Journalistin Elsie Masson (geboren 1890 in Melbourne, gestorben 1935 in Natters), kennen, die ihren Mann nicht nur tatkräftig unterstützte, sondern auch eigenständige Studien betrieb (Salvucci 2021).



Nach Aufenthalten in England, auf den Kanarischen Inseln, in Frankreich und Polen zogen die Malinowskis auf Anraten von Wiener Freunden auf den Ritten. Ausschlaggebend war nicht nur das Klima, von dem man sich positive Auswirkungen auf die tatsächlichen (Elsie) und vermeintlichen (Bronisław) gesundheitlichen Probleme erhoffte, sondern auch die Tatsache, dass Bozen und die Südtiroler Berge den inzwischen bekannten Anthropologen an Krakau bzw. die Hohe Tatra seiner Kindheit erinnerten. Zudem war Bozen finanziell deutlich günstiger als die Alternative London (Reiner 2016).

Abb. 3: Ausschnitt aus dem “Tiroler Volksblatt” vom 11.8.1923. Am Ende des Beitrags wird über den Besitzwechsel von Pobitzer zu Malinowski berichtet. Ich habe den Artikel vollständig wiedergegeben, damit man auch die Summen der anderen Transaktionen sehen kann. Die 35.000 Lire waren im Vergleich eine doch hohe Summe, was auf die Begehrlichkeit des Hauses und dessen Lage in Oberbozen hindeutet. Laut Salvucci (2023) wurden fast 19.000 Lire nochmals für die Renovierung und Adaptierung ausgegeben. Aus der stattlichen Summe lässt sich schließen, dass das Haus deutlich den Vorstellungen der neuen Eigentümer angepasst wurde.

Im Oktober 1922 mieteten sie sich “… in einem alten gemauerten Haus nahe der kleinen Dorfkirche Maria Schnee ein, wo sie den Winter 1922-23 verbrachten, wieder mit zwei Bediensteten.” (Wayne 1995). Burke und Ulrich (2023), die Enkel, geben an, dass die Familie “the Kinsele Haus” bewohnte. Da Anton und Fanny Kinsele ihr Haus in Maria Schnee 1920 an Karl und Maria Weger verkauft hatten, kann nur jenes von Cousin Robert Kinsele in Frage kommen. Schließlich hat Salvucci (in Vorbereitung) in dessen Nachlass einen Briefwechsel zwischen Bronisław Malinowski und Anton sowie Robert Kinsele gefunden, welcher die Vermietung der Wohnung im Kinselehaus zum Gegenstand hatte. Der Rechtsanwalt Anton Kinsele vertrat übrigens mehrere Jahre lang Malinowskis Interessen in Südtirol (Wayne 1995).

Abb. 4: Das Malinowskihaus heute nach der letztlich durchgeführten Renovierung des Daches, auf dem eine Photovoltaikanlage installiert wurde, von Osten aus gesehen. Im Wesentlichen ist das Haus über die Jahre unverändert geblieben. Links davon, halb verdeckt, das Eccel-Haus. Auch mit dieser Familie pflegte Elsie Masson eine gute Nachbarschaft (Salvucci 2023).

Der Ritten schien der Familie Malinowski auch für einen längeren Aufenthalt ideal zu sein, weshalb sie mit dem Erwerb der benachbarten Villa Amalia liebäugelten, die der Bozner Rechtsanwalt Benedikt Pobitzer zum Kauf angeboten hatte. Ihr Wiener Freund Paul Kuhn ermutigte sie dazu und half ihnen auch, die hohe finanzielle Hürde (Abb. 3) des Kaufs und Umbaus zu überwinden (Wayne 1995). Für die nächsten drei Jahre bewohnten Elsie und ihre drei Töchter Józefa, Wanda und die 1925 geborene Helena das Haus am Ritten ganzjährig, von 1926 bis zur Übersiedlung nach London 1929 nur im Sommer, die übrige Zeit verbrachten sie in Gries bei Bozen, wo sie zuerst die Villa Elisabeth und später die Villa Marienheim gemietet hatten. Der Gesundheitszustand der Ehefrau hatte sich weiter verschlechtert, sie litt an Multipler Sklerose. Bronisław hingegen kam nur in den großen Ferien nach Gries und Oberbozen, er arbeitete und hielt sich zuerst als Lektor, dann als Universitätsprofessor in London auf (Burke und Ulrich 2023).

Abb. 5: Die Villa von Nordosten gesehen.

Das doch stattliche Haus mitten im Grünen mit der großen Veranda und dem beeindruckenden Blick auf die Dolomiten wirkte sich befruchtend auf die Arbeit des Forscherpaares aus. Es bot den Malinowskis auch die Möglichkeit, Gäste zu empfangen. Salvucci zeigte 2023 auf, wie viele Studenten und Studienkollegen in den Oberbozner Jahren zu Gast waren und wie der Tagesablauf gestaltet war. So mancher Gast trat später erfolgreich in die Fußstapfen seiner Gastgeber. Untergebracht waren die Gäste im Widum bei der Kirche Maria Himmelfahrt und in der Pension Pattis, gleich gegenüber der Villa Malinowski.

Abb. 6: Die stattliche nach Süden geöffnete Veranda und der darüber liegende großzügige Balkon prägen das Gebäude funktional und ästhetisch. Rechts im Hintergrund die Villa Pattis.

1929 übersiedelte die Familie ganz nach London, verbrachte aber die Sommer weiterhin in Oberbozen. Ab 1934 war auch dies auf Grund der immer weiter fortschreitenden Krankheit von Elsie, die inzwischen auf den Rollstuhl angewiesen war, nicht mehr möglich, weswegen das Haus, das inzwischen als Malinowski-Villa bekannte war, an das Bozner Ehepaar Schulzinger vermietet wurde (Wayne 1995). 1935 starb die immer schwächer gewordene Elsie im Alter von nur 45 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Natters bei Innsbruck. Bronisław zog mit den Töchtern noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die USA, wo er einen Lehrstuhl an der Universität Yale angeboten bekommen hatte. Er starb unerwartet 1942 in New Haven, nachdem er 1940 seine zweite Frau, die junge britische Malerin Valetta Swann, geehelicht hatte (Salvucci et al. 2022).

Abb. 7: Annonce in der Alpenzeitung vom 7.10.1926. War das “y” am Ende des Familienamens absichtlich oder ein Fehler der Anzeigennahme? Das Verbot der deutschen Ortsnamen hatte schon gegriffen: Soprabolzano.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus beschlagnahmt (Abb. 8), nachdem Großbritannien – die Malinowskis waren inzwischen englische Staatsbürger – zum Kriegsgegner Italiens geworden war. Nach Kriegsende wurden die Besitzverhältnisse wiederhergestellt und das Haus an die Nachkommen, inzwischen im Enkelgrade, vererbt.

Abb. 8: Meldung in den “Dolomiten” vom 3. August 1940. Mittels der Presse wurde in mehreren auf das Jahr 1940 verteilten Berichten der Bevölkerung mitgeteilt, wer die von der Beschlagnahme betroffenen ausländischen Bürger waren. Unter Punkt “s” ist Bronisław Malinowski angeführt.

Die für diesen Bericht verwendete Literatur ist umfangreich. Eine wahre Fundgrube für alle, die mehr über diesen bedeutenden Kulturanthropologen wissen wollen. Sehr interessant ist auch nachzulesen, wie besonders Elsie Masson, die ja viel mehr Zeit in Südtirol zugebracht hatte als ihr Mann, ihre Umgebung aus gesellschaftlicher, historischer und politischer Perspektive bzw. aus der wissenschaftlichen Distanz und der alltäglichen Nähe, erlebt und verschriftlicht hat. Sie bekam die Entnationalisierungsaktionen der faschischtischen Regierung unmittelbar mit und hat deren Taten mehrmals auch publizistisch angeprangert (Masson 1923).

Abb. 9: 1993 ließ der Heimatpflegeverband an der Nordseite des Hauses diese vom Spazierweg aus ersichtliche Gedenktafel aus Porphyr anbringen.

Beachtung verdient sich auch das Malinowski Forum for Ethnography and Anthropology (MFEA). Ich zitiere vollinhaltlich aus (Salvucci et al. 2022):

Elisabeth Tauber und Dorothy Zinn, soziokulturelle Anthropologinnen an der Freien Universität Bozen, haben es als notwenig erachtet, auf die Geschichte Malinowskis und seiner Familie in Südtirol aufmerksam zu machen und gründeten 2016 das Malinowski Forum for Ethnography and Anthropology. Seitdem fördert das MFEA nicht nur die Forschung zu Malinowski und seiner Frau Elsie Masson, sondern hat sich auch von Malinowskis Anwesenheit in Südtirol anregen lassen, Gespräche über aktuelle anthropologische Theorien und Methoden zu führen. Ein weiteres Ziel des MFEA ist es, die Alpen als Forschungsregion ethnographisch wieder vermehrt in den Blick zu nehmen. Für das Malinowski-Forum fun-giert Malinowski daher weniger als inhaltlicher Bezugspunkt für die alpine Anthropologie als vielmehr als Eponym, das vom wissenschaftlichen Komitee in Zusammenarbeit mit den beiden Ko-Koordinatorinnen entwickelt wurde. Derzeit arbeitet das Malinowski-Forum an zwei Bänden zu Malinowski in den Alpen beziehungsweise zur Bedeutung der ethnographischen Methode für die Forschung in den Alpen, die 2022 erscheinen werden. Der erste Band beschäftig sich mit Malinowskis feinsinnigem Erbe in Geschichte und Ethnographie der Alpen, während der zweite Band neuere Beiträge versammelt, die die von Malinowski begründete, ethnographische Methode zur Erforschung der Alpen auf sehr unterschiedliche Weise anwenden.

Ein herzlicher Dank geht an Daniela Salvucci von der Freien Universität Bozen, welche mich bei meinen Recherchen zu Malinowski und seiner Beziehung zur Villa bzw. Familie Kinsele tatkräftig unterstützt hat.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Kinsele, L. (1915, February 7). In Oberbozen am Südhang des Rittens bei Bozen ... Bozner Nachrichten, 14. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/37/1/07.02.1915/128691/14

Salvucci, D. (2021). Incorporated Genre and Gender: Elsie Masson, Her Writings, and Her Contribution to Malinowski’s Career. In E. Tauber & D. L. Zinn (Eds.), Gender and Genre in Ethnographic Writing (pp. 189–217). Springer International Publishing. DOI: 10.1007/978-3-030-71726-1_8

Rainer, C. (2016). Der (fast) Südtiroler Ethnologenpapst. Academia. https://www.academia.bz.it/articles/der-fast-suedtiroler-ethnologenpapst

Anonym. (1923, August 7). Besitzwechsel. Bozner Nachrichten, 4. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/37/1/07.08.1923/131203/4

Wayne, H. (1995). The Story of a Marriage: The Letters of Bronislaw Malinowski and Elsie Masson – Vol. II 1920-35 (Vol. 2). Routledge.

Burke, P., & Ulrich, L. (2023). Prologue The Malinowskis in the South Tyrol. In E. Tauber & D. L. Zinn (Eds.), Malinowski and the Alps – Anthropological and Historical Perspectives (p. VII–XV). bu,press. https://pro.unibz.it/library/bupress/publications/fulltext/9788860461940.pdf

Salvucci, D. (n.d.). Family stories between archives and oral memories: the Malinowski in Oberbozen,. Forthcoming- Bevorstehend.

Salvucci, D. (2023). On the Tracks of the Malinowskis in Oberbozen and Bozen. In E. Tauber & D. L. Zinn (Eds.), Malinowski and the Alps – Anthropological and Historical Perspectives (pp. 71–101). bu,press. https://pro.unibz.it/library/bupress/publications/fulltext/9788860461940.pdf

Größere Villa in Sprabolzano ... (1926, October 7). Alpenzeitung, 6. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/26/1/07.10.1926/106937/8

Masson, E. (1923). Viva il Fascio! Black Shirts at Bolzano. Forum. A Journal for Thinking Australians, 1(18), 12.

Salvucci, D., Tauber, E., & Zinn, D. L. (2022). Von Ozeanien nach Oberbozen. Geschichte Und Region/Storia e Regione, 31(1), 159–166. https://storiaeregione.eu/attachment/get/up_410_17097351650602.pdf

Anonym. (1940, August 3). Beschlagnahme des Besitzes der Bürger feindlicher Staaten. Dolomiten, 3. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/4/1/03.08.1940/87615/3

MFEA – Malinowski Forum for Ethnography and Anthropology. (n.d.). Retrieved March 17, 2025, from https://mfea.projects.unibz.it/

Salvucci, D. (2018). University Academic Curriculum Vitae  Daniela Salvucci  Cultural Anthropologist. https://unibz.academia.edu/DanielaSalvucci/CurriculumVitae




Höhepunkt und Niedergang der Villa Kinsele

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert erreicht die Ausdehnung der Kinsel’schen Besitzungen in Maria Schnee ihren Höhepunkt: Die Brüder Richard und Franz Kinsele, Söhne von Alois und Enkel von Franz Sales, lösen ihre Geschwister am Eigentum der Villa ab und erweiteren ihren Besitz an dem Platzl vor dem Haus.

Abb. 1: Ex Libris von Anton Kinsele; er liegt auf der Wiese vor dem heute noch bestehenden Pavillon im so genannten Wegerpark. Die Zeichnung stammt von seiner Cousine Eleonore (Lore) Kinsele. 1920 trennen er und seine Schwester sich von diesem Besitz.

1866 ersteigert Richard Kinsele das angebaute, ältere Sommerfrischhaus von Maria Schnee (wir heißen es immer noch Wegerhaus) und verkauft 1873 an den Bruder Franz seinen Anteil an der Villa Kinsele. Aus dieser Zeit dürfte auch die Tür stammen, welche die beiden Villen direkt verband und wir, inzwischen zugemauert, vorgefunden haben. Das Sommerrefugium, dessen Eigentümer vormals die Familien Menz, Grätzl und Kofler waren, vererbt Richard an seine beiden Kinder Anton und Franziska (Fanny). Diese, beide kinderlos, verkaufen es 1920 an die Familie Weger. Eine weitere Erweiterung erfährt die Villa Kinsele 1880, als Franz auch die untere Wiese samt Gemüsegarten erwirbt. Wann die obere Wiese dazukam, weiß ich noch nicht, 1866 scheint sie noch dem Doppelbauern gehört zu haben, siehe Hinweis in Abbildung 2.



Abb. 2: Versteigerungsedikt, veröffentlicht in der “Bozner Zeitung” vom 6.6.1866. Diese Verlautbahrung ist schon deshalb siedlungshistorisch wertvoll, weil man dadurch u.a. erfährt, wer zu diesem Zeitpunkt Eigentümer der angrenzenden Liegenschaften war.

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, als der Anschluss des Rittens an das Verkehrsnetz immer wahrscheinlicher wurde, ließ Franz Kinsele das Haus durch den Einbau von Täfelungen und eines Kachelofens ganzjährig bewohnbar machen (ich berichtete hier). Spätestens zu diesem Zeitpunkt verschwanden die barocken Deckenmalereien in drei Räumen unter Holz und Mörtel. Nach seinem Tod im Jänner 1908 erbte sein Sohn Robert das Haus, seine Stiefmutter Aloisia von Rehorovszky hatte jedoch laut Testament ein lebenslanges Fruchtgenussrecht. Als sie 1941 starb, hatte sie ihren Stiefsohn bereits um zwei Jahre überlebt. Der Besitz ging durch Erbschaft auf die beiden Halbschwestern Johanna und Eleonore über, die aber schon seit Jahren im inzwischen von Südtirol abgetrennten Österreich lebten. Sie sahen wegen der großen Entfernung keine Verwendung mehr dafür bzw. konnten sich die Erhaltung des Gebäudes nicht leisten, weshalb sie die Villa Kinsele und die angrenzenden Grundstücke 1943 für 260.000 Lire an meine Großtante verkauften.

Abb. 3: Annonce in den “Bozner Nachrichten” vom 31.1. und 7.2.1915.

Die Familie muss in der Zwischenkriegszeit deutlich ärmer geworden sein, obwohl Robert Kinsele ein angesehener Arzt war. Nur so lassen sich die zahlreichen Hypotheken – in Summe für 55.000 Lire – erklären, die zum Zeitpunkt des Verkaufs auf dem Haus lasteten. Erste Anzeichen von Geldnot sind aber schon früher zu vermuten, denn spätestens 1915 wurde die gesamte Villa Kinsele zur Miete angeboten (Abb. 3).

Abb 4: Auszug aus dem Grundbuch mit den Hypothekarbeslastungen und dem Eintrag der Tilgung durch die Käuferin.

Die Vermietung des Hauses und die damit einhergehende Vernachlässigung der Erhaltung ist sicherlich als negative Entwicklung zu bewerten. Aber gerade dadurch kam die Villa Kinsele mit dem großen Weltgeschehen in Verbindung. In den nächsten Folgen werden wir sehen wie und warum. Es bleibt spannend oder, besser gesagt, es wird spannender.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Kinsele, E. (1900). Exlibris Anton Kinsele [Zeichnung].
Würzer, J. (1866, June 6). Versteigerungs-Edikt. Bozner Zeitung, 4.
Kinsele, L. (1915, February 7). In Oberbozen am Südhang des Rittens bei Bozen ... Bozner Nachrichten, 14. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/37/1/07.02.1915/128691/14
KG Ritten I, Einlagezahl 132 (Villa Kinsele). (1907). Grundbuch Gerichtsbezirk Bozen.




Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer (2)

Bäuerliche Strukturen im Wandel

Wie ich bereits in einem früheren Beitrag angedeutet habe, hat die Erschließung des Rittner Hochplateaus durch die Zahnradbahn große bauliche Veränderungen ausgelöst. Sie wären noch viel tiefgreifender gewesen, wenn nicht der Erste Weltkrieg und seine politischen Folgen den Bautätigkeiten eine unerwartete Unterbrechung, die fast bis zur Fertigstellung der Straße im Jahre 1971 dauerte, beschert hätten.

Um das Gebiet vor allem um Maria Schnee und Klobenstein baulich zu erschließen, wurde in Bozen noch während des Bahnbaues der “Oberbozner Grund- und Bauverein” als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet (Abb.1). Für den heutigen Leser besonders interessant: Einige Mitgesellschafter waren gleichzeitig Bozner Kommunalpolitiker, allen voran Bürgermeister Julius Perathoner, die den Bahnbau voller Überzeugung politisch forcierten. Heute wäre eine solche Konstellation völlig unmöglich, die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen zu vordergründig. In den Zeitungen, auch in jenen, die das Wirken des freiheitlichen Bürgermeisters kritisch verfolgten, wurde dies aber nicht thematisiert. Ob nun die Gesellschaft gegründet wurde, um die Bebauung nicht nach dem Gutdünken einzelner Bauherren, sondern gemäß raumplanerisch sinnvollen Grundsätzen durchzuführen, oder ob doch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, oder ob es sich gar um den glücklichen Fall einer Win-Win-Situation handelte, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Sicher ist aber, dass die Bedeutung dieser Gesellschaft für den Ritten noch nicht historisch aufgearbeitet wurde und auch ihre nicht realisierten Pläne, soweit sie noch vorhanden sind, harren noch der Entdeckung. Fest steht auch – das Grundbuch spricht eine eindeutige Sprache – dass der Oberbozner Grund- und Bauverein als unangefochtener Platzhirsch auftrat. Einzig Edmund Zallinger, Grieser Kurdirektor und auch wie die vorigen genannten eifriger Bahnpromotor, war immobilienmäßig in Oberbozen tätig, aber auf einer kleineren Fläche zwischen St. Magdalena und Maria Schnee.

Abb. 1: Bozner Nachrichten vom 20. Dezember 1906.



Mit dem Erwerb der flächen- und gebäudemäßig gut ausgestatteten Bauernhöfe Ober- und Unterhofer hatte sich die Gesellschaft die Filetstücke in und um Maria Schnees gesichert. So wurde der Bahnhof Oberbozen am oberen Rand der Hoferbreiten errichtet, genauso das gleichnamige Hotel. Zum besseren Verständnis sei angefügt, dass der Unterhofer schon damals oft einfach nur mehr Hofer genannt wurde; diese Ungenauigkeit auch im schriftlichen Verkehr hat mir übrigens anfangs die Recherchen sehr erschwert. Um das Beherbergungsangebot in Oberbozen weiter zu verbessern, wurde das Wohnhaus des Unterhofers nun ganz zum Gasthof umgebaut und ein Pächter dafür gesucht (Abb. 2).

Abb.2: Die Annonce in der Bozner Zeitung vom 14. Februar 1907 zeigt uns heute, was einen Gastbetrieb damals attraktiv machte.

Die Umtriebigkeit der Gesellschafter wurde auch medial gewürdigt, wie entsprenchede Zeitungsmeldungen bezeugen (Abb. 3). Mit Davos und St. Moritz als Vorbilder hatte man tatsächlich Großes vor. Während man mit Hans Holzner als anfänglich Pächter, später Eigentümer des Hotel Oberbozen eine kontinuierliche Periode in der Rittner Tourismusgeschichte einläutete – die Familie führt inzwischen den vorbildlich geführten Betrieb in der vierten Generation – , war die Geschichte des heutigen Hotel Post weniger linear.

Abb. 3: Ausschnitt aus einem Bericht in der Bozner Zeitung über die Fortschritte beim Bau der Rittnerbahn vom 16. Februar 1907.

Wie schon beim Hotel Oberbozen 1911 verkaufte die Eigentümergesellschaft auch beim Gasthof Hofer nach einigen Jahren die Liegenschaft an den Pächter und auch hier erhielt der Betrieb den Namen desselben. Die Familie Friedl führte das Hotel bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach übernahm der Hoteldirektor Karl (Carletto) Lang den Betrieb, der in der Folge die bis heute gültige Bezeichnung Hotel Post erhielt. Ausschlaggebend für die Namensänderung dürfte das zwischenzeitlich im Hotel untergebrachte Postamt gewesen sein. Eine Poststation, wie der unbedarfte Gast meinen könnte, hat es hier aber nie gegeben, schon deshalb nicht, weil der Ort an keiner Durchzugsstraße lag.

Abb. 4: Vom Gasthof Hofer (siehe Abb. 5 im vorigen Beitrag) zum Hotel Friedl. Jetzt ist vom vorigen Bauernhof kaum mehr was zu erkennen, eine großzügige Veranda und viele Balkone prägen die Südseite, im Norden ist ein turmartiger Zubau entstanden, die spätere Dependance rechts ist aber noch Wirtschaftsgebäude. Auf Grund der ausschleißlich italienischsprachigen Beschriftung ist die Ansichtskarte der Zwischenkriegszeit zuzuordnen (Ansichtskarte Sammlung Kobler).

Um dem wachsenden Maria Schnee auch eine dörfliche Struktur zu geben, wurden in der Nähe der Kirche zwei Wohnhäuser mit Geschäftslokalen im Erdgeschoss errichtet, welche aneinandergebaut waren und somit den Beginn eines sich weiterzuentwickelnden Straßenzuges ergaben. Heute ist darin das “Tutti Patschenggele” und der “Weissensteiner” untergracht. Dafür musste aber der Stadel des Oberhofers mit seinen Nebengebäuden weichen.

Und wie ging es mit den beiden Höfen weiter? Trotz dass einiges davon verbaut wurde ist durch die Zusammenlegung der Flächen ein bemerkenswert großer Betrieb entstanden. Der Hofer, so sein Name jetzt, wurde gleich nach dem Erwerb 1907 an den Mittelberger Karl Ramoser, einem Schartnerhofsohn und Viehhändler, verpachtet.

Abb. 5: Der Nachruf über Karl Ramoser sen., erschienen in den Dolomiten vom 4. Dezember 1961.

Die Bauersleute nutzten die beiden übriggebliebenen Gebäude, d.h. sie wohnten im alten Oberhofergebäude und als Stadel wurde jener des ehemaligen Unterhofers verwendet. Nachdem das Ende des Ersten Weltkrieges der wirtschaftlichen Expansion ein jähes Ende gesetzt hatte und eine weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs nicht absehbar war, verkaufte der Oberbozner Grund- und Bodenverein 1920 den gesamten Hof an Karl Ramoser. Dieser errichtete in den 1930er Jahren oberhalb der Bäckerei Hackhofer ein großzügiges Bauernhaus und siedelte sich dort an.

Abb. 6: Ganz rechts der in den 30er Jahren neu erbaute Hofer, das Bild dürfte vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein. Zu sehen ist noch der erste Stadel, der 1966 ein Raub der Flammen wurde (Ansichtskarte Sammlung Kobler).

Das alte Oberhofergebäude wurde später aufgestockt und zu einem Wohnhaus mit Mietwohnungen, der Villa Barbara, umgebaut. Zeitweise war im Parterre sogar die Tapeziererwerkstatt Prast untergebracht. Das benachbarte kleinere Wirtschaftsgebäude, heute zum Gasthaus Babsi erweitert, beherbergte neben einer kleinen Wohnung im Erdgeschoss zeitweise die erste Filiale der örtlichen Raiffeisenkasse.

Abb. 7: Villa Kinsele (links) und Villa Barbara (auf dem Foto leider teilweise von unserer Linde verdeckt) von Süden in den 50er Jahren. Nichts erinnert mehr an das frühere Oberhoferhaus (Foto Sammlung Kobler).
Abb. 8: Die Ostseite der Villa Barbara – die Inschrift unter der Loggia ist noch erkennbar – und rechts ein Teil des Wegerhauses, 1985. Das Nebengebäude (Abb. 9) ist bereits abgerissen, das Gasthaus Babsi entsteht (Foto Sammlung Kobler).
Abb. 9: Nordseite des Nebengebäudes des ehemaligen Oberhofers, Anfang der 80er Jahre. Der schwer zu findende Eingang zur ebenerdigen Raiffeisenkasse befand sich auf der Ostseite, man musste links durch den schmalen Durchgang zwischen dem Gebäude und der Dependance des Hotels Post gehen. Die Wohnung im ersten Stock wurde vermietet.

Der große Unterhoferstadel brannte 1902 und 1913 durch Blitzschlag ab, wurde aber jedes Mal wieder aufgebaut. Schließlich fiel er nach der Aussiedlung des Hofers der Spitzhacke zum Opfer. An seiner ehemaligen Nordseite stand dann jahrzehntelang der hölzerne Pavillon der Musikkapelle Oberbozen, zuerst ohne, dann mit teilweiser Überdachung. Auch der neue Hoferstadel brannte übrigens schon einmal ab, und zwar 1966, wobei die Brandursache laut Zeitungsbericht diesmal nicht festgestellt werden konnte.

Abb. 10: Das im Zuge der baulichen Entwicklung in Maria Schnee entstandene kleine Handelszentrum: die ehemals als Metzgerei, Gemischtwarenhandlung und Pension genutzten Gebäude Baumgartner-Prock. Vorne links der erste, noch nicht überdachte Musikpavillon mit den fixen Notenpulten, welcher dort errichtet wurde, wo früher der Unterhoferstadel nordseits an den Weg grenzte (Ansichtskarte, vermutlich 1950er Jahre. Auch dieses Mal ein krasser Vedutenschwindel, die im Hintergrund dargestellten Dolomiten liegen tatsächlich im Rücken des Betrachters).

Von nun an erinnerte im Zentrum von Maria Schnee nichts mehr an die vergangene bäuerliche Tätigkeit, der Wandel von ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Gebäuden zu Handel, Dienstleistung und Tourismus war vollzogen.

(Schluss)

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Anonym. (1907, December 20). Oberbozner Grund- und Bauverein. Bozner Nachrichten, 2.
Oberbozner Grund- und Bauvereinnym. (1907, February 14). Gasthof-Verpachtung. Bozner Nachrichten, 13.
Anonym. (1907, February 16). Oberboznerbahn. Bozner Nachrichten, 3.
Anonym. (1961, December 4). Der Heimgang des Hoferbauers in Oberbozen. Dolomiten, 4.
Anonym. (1966, November 29). Verheerender Brand in Oberbozen. Dolomiten, 9.
J.F. Amonn. (Zwischenkriegszeit). SOPRABOLZANO m. 1193 sul Renon OBERBOZEN am Ritten [Ansichtskarte]. Sammlung A. Kobler.
Anonym. (Nachkriegszeit). Villa Kinsele und Villa Barbara [Fotografie]. Sammlung A. Kobler.
Anonym. (1985). Villa Barbara und Wegerhaus [Fotografie]. Sammlung A. Kobler.
Armin Kobler. (Anfang 80er). Nebengebäude Oberhofer [Fotografie]. Sammlung A. Kobler.
Foto Fränzl. (Zwischenkriegszeit). OBERBOZEN am RITTEN bei Bozen – 3330a SOPRABOLZANO m. 1220 sul RENON VILLA LAURIN [Ansichtskarte]. Sammlung Kobler.




Die Bahn war schuld (2)

… oder war es doch der Wille der Sommerfrischgesellschaft?

Zu der verkehrsmäßigen Erschließung des Rittner Hochplateus hatten die Bozner Sommerfrischler immer ein gespaltenes Verhältnis. Die Zahnradbahn zuerst, die Seilbahn danach und zuletzt die vollständige Anbindung an das Straßennetz wurden und werden natürlich auch von ihnen in den Sommermonaten genutzt – deshalb auch die Würdigung eines wesentlichen Förderers aus ihren Reihen durch die Schützenscheibe (Abb. 1) . Man wollte aber gleichzeitig weiterhin größtenteils nur unter sich bleiben; Oberbozen sollte ein ruhiges Rückzugsgebiet der dortigen Hausbesitzer bleiben, kein Ort für Touristen oder Zuzügler.

Abb1: Scheibe des Oberbozner Schießstandes: Nr. 111, Jubiläumsfest des Edmund von Zallinger-Thurn 1913. “…der Wasserleitung, Eisenbahn in’s Leben rief: Ein Hoch dem Mann!” (Braitenberg et al. 1994)

Hans von Hoffensthal, hat mit seinem – ich kann es nicht oft genug wiederholen – wunderbar melancholischen Essay “Abschied von Oberbozen” 1907 dieser Haltung ein hervorstechendes Denkmal gesetzt. Ganz so schlimm, wie es der Bozner Dichter voraussah, ist es dann, zumindest was die alte Sommerfrischesiedlung angeht, zum Glück doch nicht gekommen, die Bozner wussten sich zu wehren. Man kann diese Haltung natürlich als opportunistisch, gar als Ausdruck von Snobbismus interpretieren, aber auf diese Weise ist uns allen ein einzigartiges Ensemble mit hohem kulturellen Wert erhalten geblieben.



Anders als, um in der Nähe zu bleiben, Lengmoos und Klobenstein. Dem geübten Blick entgehen dort nicht die größtenteils sogar älteren Sommerfrischbehausungen. Sie sind aber in der Zwischenzeit von anderen Gebäuden umzingelt und in der dörflichen Siedlungsstruktur des Rittner Hauptortes aufgegangen.

Als es in den ersten Jahren nach 1900 darum ging, die “Trace”, wie man damals schrieb, konkret zu planen, galt es natürlich auch,die topografischen Gegebenheiten des Bergrückens und die technischen Möglichkeiten berücksichtigend, zu entscheiden, welche Ortsteile von der Bahn unmittelbar erschlossen werden sollten. Nachdem der erste Trassenverlauf, der über Unterinn und Klobenstein sogar das Rittnerhorn erreichen sollte, verworfen wurde, sollte die Bahn über den Rebhügel von St. Magdalena und ober der Rivelaunschlucht Oberbozen anfahren und dann bis Klobenstein weitergeführt werden. Doch wo und wie intensiv sollte Oberbozen von der neuen Infrastruktur berührt werden? 1904 hat das Aktions-Komitee zur Förderung des Rittnerbahn-Baus eine üppige Broschüre mit viel Text und schönen Illustrationen drucken lassen; aber wo genau die Haltestellen an der Strecke geplant waren, konnten oder wollten die Macher nicht einzeichnen (Abb. 2).

Abb. 2: Schematischer Trassenverlauf der geplanten Rittner Zahnradbahn (Aktions-Komitee 1904)

Nicht die gesamte Sommerfrischegesellschaft stand der Erschließung negativ gegenüber. Laut Demar (2007) forderten während den Bauverhandlungen Alois v. Mackozitz und Anton von Walther auch im Namen von anderen Oberbozner Hausbesitzern eine Haltestelle in erreichbarer Nähe. Schlussendlich endete die Zahnstange, wo also die Schublok ab- und angekuppelt wurde, zwischen Maria Himmelfahrt und St. Magdalena, etwas unterhalb der Häusergruppen. Passagiere konnten dort zwar aus- und einsteigen, die Struktur wurde aber bewusst klein gehalten. Auch wenn sie gleistechnisch 1909 erweitert wurde, ihr Name blieb “Haltestelle Himmelfahrt”, nicht Bahnhof!

In Maria Schnee, auf der Hoferbreiten, entstand dann der erste komplett ausgestattete Bahnhof der Strecke nach Bozen, mit gemauertem Gebäude, großzügiger Passagieraufnahme, Warteraum und auch einer Verladerampe samt Schuppen für Güter. Es war also geplant, dass in diesem, bis zu diesem Zeitpunkt kleinsten Ortsteil Oberbozen Größeres entstehen sollte. Es begann damit, dass in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof von der Rittnerbahngesellschaft das luxeriöse “Hotel Maria Schnee” erbaut wurde. Der Bahnhof bekam hingegen von Anfang an, klar auch an den Fahrplänen erkennbar (Abb.3), den Namen Oberbozen.

Abb. 3: aus “Der Tiroler” 1907.

Hinsichtlich der Logik nicht nachvollziehbar, aber angesichts der angestrebten touristischen und baulichen Entwicklung in diesem Ortsteil – man kann durchaus von einer Goldgräberstimmung sprechen (Abb. 4) – , versprach der Name Oberbozen mehr Ausstrahlung und damit Attraktivität. Gleichzeitig wurde die Aufmerksamkeit der Touristen vermehrt auf diesen östlichen Teil Oberbozens gelenkt, was den ruhesuchenden historischen Sommerfrischlern, die ja hauptsächlich in Maria Himmelfahrt und St. Magdalena ihre Häuser hatten, nur Recht sein konnte.

Abb. 4: aus Wolf (1907). “… 200 Landhäuser…”!

Das Hotel selbst, zuerst verpachtet, dann verkauft, wurde nach kürzester Zeit in Hotel Oberbozen umbenannt. In den zwanziger Jahren bekam es dann den noch heute gültigen Namen der zuerst Pächter- dann Eigentümerfamilie Holzner. Diesem ersten Bauboom wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges ein jähes Ende bereitet. In knapp zehn Jahren war die Gegend um das Kirchlein Maria Schnee mit hauptsächlich Villen und Beherbergungsbetrieben nicht nur zur größten Siedlung Oberbozens angewachsen, sondern war erstmals auch mit dörflichen Strukturen wie einer Bäckerei, einer Metzgerei und Geschäften ausgestattet (Abb. 5).

Abb. 5: Maria Schnee in den ersten Jahren nach der Eröffnung der Rittnerbahn. Rechts im Vordergrund das heutige Hotel Holzner, das noch ursprüngliche Bahnhofsgebäude mit dem Warenmagazin, wo heute die Remise steht. Zwölf der neunzehn im Vordergrund sichtbaren Gebäude sind zur Zeit des Bahnbaues entstanden (Postkarte Sammlung Kobler).

Nachdem die Bahn damals eine Monopolstellung für den Transport von Menschen sowie Waren hatte und demzufolge sich auch die Benennung der Bahnstationen bewusstseinsbildend auf die Menschen auswirkte, begann man immer öfter den Ortsteil, welchen man seit zweihundert Jahre Maria Schnee geheißen hat, als Oberbozen zu bezeichnen. Der Name, der ursprünglich für den ganzen westlichen Teil des Rittner Plateaus gegolten hatte, wurde umgangssprachlich jetzt also auf einen von der Ausdehnung her kleineren, aber hinsichtlich der Bedeutung immer wichtiger werdenden Teil reduziert. Die westlicher gelegenen, mehr oder weniger unverändert gebliebenen Siedlungsplätze Sankt Magdalena und Maria Himmelfahrt wurden hingegen von der Bevölkerung zunehmend unter letzerem Namen zusammengefasst. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen findet man noch althergebrachte Erwähnungen (Abb. 6), aber danach wird nur mehr zwischen Himmelfahrt – auf das Maria wird im täglichen Sprachgebrauch verzichtet – und Oberbozen unterschieden (Abb. 7).

Abb. 6: aus “Alpenländerbote”, 1933.
Abb. 7: aus “Dolomiten”, 1950. Begräbnis von Peter Gostner und Josef Zwerger.

Um auf die Frage im Titel zu kommen: Das Aktionskomitee der Rittnerbahn und der Oberbozner Grund- und Bauverein – die großen “Player” bei der baulichen Entwicklung Oberbozens – ignorierten sicherlich nicht die Bedenken und Wünsche der historischen Sommerfrischlerfamilien. Edmund von Zallinger und Wilhelm von Walther bei der Rittner Bahn (Abb. 8) sowie Anton Kinsele und Anton von Walther in der Immobiliengesellschaft waren alle Mitglieder der Oberbozner Schützengesellschaft. Mit der Verlagerung der baulichen Entwicklung nach Maria Schnee/Oberbozen wurden zwei Ziele erreicht: Maria Himmelfahrt und St. Magdalena blieben mehr oder weniger ursprünglich und die Immobilienmakler konnten sich auf Maria Schnee und Umgebung konzentrieren, wo sie sich in der Grundstücksentwicklung aufgrund der einfacheren Eigentumsverhältnisse sowieso leichter taten.

Abb. 8: Die Mitglieder des Aktions-Komitees der Rittner Bahn (Aktions-Komitee 1904).

Heute erinnern sich kaum noch Leute, auch nicht Einheimische, an die alte Dreiteilung Oberbozens. Man muss oft schon von Glück reden, wenn das Kirchlein Maria Schnee selbst als solches beim Namen erkannt wird, schon schade… Schlussendlich ist diese Geschichte ein gutes Beispiel für ein universales Prinzip: die normative Kraft des Faktischen.

(Schluss)

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Braitenberg, C. von, Andergassen, L., Walther, F. von, Kofler, O., & Braitenberg, C. von. (1994). Die Schützenscheiben von Oberbozen: Symbole eines ritterlichen Exercitiums (Völlig umgearbeitete und ums Doppelte erw. Neuaufl.). Edition Raetia.
Aktionskomitee. (1904). Die Rittnerbahn. Eigenverlag.
Generaldirektion der k. k. priv. Südbahngesellschaft. (1907, September 19). Rittner Bahn. Der Tiroler, 7.
Demar, K., Denoth, G., Petrovitsch, H., & Schindl, W. (2007). Rittnerbahn: Eisenbahn am Berg - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Athesia.
Wolff, K. F. (1907). Der Ritten und die Rittner Bahn. Deutscher Buchhandlung Verlag.
Anonym. (1910). Flugaufnahme Maria Schnee [Fotografie Postkarte]. Sammlung A. Kobler.
Anonym. (1933, November 19). Nachrichten aus Südtirol. Alpenländerbote, 13.
Anonym. (1950, August 30). Abschied von zwei Oberboznern. Dolomiten, 6.




Die Wappenscheibe

Pünktlich mit dem jahreszeitlich bedingten Kälteeinbruch konnte der Tischler endlich auch die gerade fertigestellte Oberlichtenverglasung (Abb. 1) einsetzen. Von links nach rechts sind die Familienwappen der Familien Lanner, Kinsele, v. Menz und Kobler zu erkennen. Die erste Jahreszahl markiert das Jahr der Erbauung des Hauses in der jetzigen Form, die zweite hingegen das Ende der aktuellen Renovierungsarbeiten.

Abb. 1: Die Haustüre von innen gesehen.

Ausgehend von einer alten Aufnahme, welche sehr wahrscheinlich Franz Kinsele in der Türöffnung der Villa Kinsele abbildet und wo man sein Familienwappen, bleiverglast, darüber eindeutig erkennen kann (Abb. 2), wollte ich in Anlehnung daran die bisherigen Hauseigentümern symbolisch vergegenwärtigen.

Abb 2: Die Oberlichte in vergangen Zeiten. Wenn man genauer hinseiht, erkennt man darin bleiverglast das Kinselsche Wappen. In der Tür, Zigarre rauchend, sehr wahrscheinlich Franz Kinsele (1831 bis 1908) um 1890. (Foto Sammlung Kobler)



Für die Herstellung konnte ich Frau Alessandra Piazza aus Bozen gewinnen, welche in ihrem Atelier Vetroricerca kunstvolle Glasarbeiten durchführt. Aus der dortigen Webseite zitiere ich:

Alessandra Piazza wuchs in Bozen auf. Im Jahr 1987 zog sie nach Bologna und schrieb sich an der DAMS-Kunst ein. Parallel zu ihrem Studium arbeitete sie in einer Restaurierungswerkstatt für antikes Glas und verliebte sich in das Material Glas. Sie wird ihr Studium 1993 mit einer Arbeit über die experimentelle Restaurierung der Glasfenster in der Basilika San Francesco in Assisi abschließen. 1997 kehrte sie nach Bozen zurück und wurde von Alessandro Cuccato eingeladen, mit einer Gruppe von Künstlern Vetroricerca – Centro sperimentale della lavorazione del vetro zu gründen. Im Jahr 1999 entwarf sie ihre ersten Schmucklinien. Unter den verschiedenen Aktivitäten in diesem Bereich möchte sie an die exklusive Linie erinnern, welche sie 2005 für den Shop des Corning Museum of Glass, NY. U.S.A. kreiert hat. Dort hat sie im selben Jahr mit Silvia Levenson, die dort als Artist in Residence wirkte, zusammengearbeitet. Im Laufe der Jahre hat sie in der Vetroricerca Glasbearbeitungstechniken unterrichtet und mit zahlreichen nationalen und internationalen Künstlern bei der Schaffung von Originalwerken zusammengearbeitet. Gleichzeitig entwickelte er eine Leidenschaft für das Design von Geschirr und entwarf zusammen mit renommierten Köchen innovative Formen, die eigens für von ihnen erfundene Gerichte konzipiert wurden. Seit 2015 widmet er sich kontinuierlich der Produktion von Auftragsarbeiten sowie der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Bildhauerei. Es gibt zahlreiche Künstler, mit denen sie zusammenarbeitet; 2019 wurde das für den Künstler Otobong Nkanga geschaffene Werk für die Biennale Arte in Venedig ausgewählt. Sie liebt es, die Berge seiner Region zu erkunden. Eine Leidenschaft, die er mit seinen beiden Söhnen, Jacopo und Leonardo, teilt. Im Jahr 2019 hat er das Projekt Impronte2000 ins Leben gerufen, mit dem sie Alpenflora und Glas in einen Dialog bringt.

Abb 3: Frau Alessandra Piazza in ihrem Bozner Atelier.

Hat die Famile Kobler wirklich das Recht, ein Wappen zu führen?

Um es gleich vorwegzunehmen: ein legitimierender Wappenbrief liegt nicht auf und auch in der Fischnaler-Wappenkartei sind Kobler nicht zu finden. Die Tatsache, dass der den Adeligen vorbehaltene Bügelhelm statt dem Topfhelm aufscheint (Abb. 4), spricht ebenfalls nicht unbedingt für dessen Autentizität. Mein Vater hat mir vor vielen Jahren gesagt, ein befreundeter Priester habe das Wappen vor längerer Zeit gefunden, mehr konnte er mir nicht sagen. Spätestens jetzt sei auf den wertvollen Beitrag von Wilfried Beimrohr hingwiesen, der 1987 einen populärwissenschaftlichen Aufsatz zur Wappenkunde verfasst hat. Aus diesem zitiere ich den passenden Absatz:

Wappenbüros und Wappenfirmen, die zum Teil schon im 18: Jahrhundert aufkamen und auf gewerberechtlicher Basis arbeiteten, witterten das Geschäft und begannen ihren Kunden Wappen zu verkaufen. Dabei gab es zwei Möglichkeiten, zu Geld zu kommen: Dem Kunden wurde ein Phantasiewappen angedreht mit einer ebenso phantasievoll konstruierten Herkunft des Wappens und seiner “ursprünglichen” Träger. Die elegantere Lösung war, für den zahlungswilligen Interessenten das so lange verschüttete Familienwappen auszugraben: die “Entdeckung” bestand darin, daß das Wappen einer historisch nachweisbaren Person oder Familie, die den gleichen oder einen ähnlichen Familiennamen wie der Kunde trug, als “dessen” Familienwappen wiedergefunden wurde. Derart dubiose Geschäftspraktiken, die dem Interessenten falsche Tatsachen vorspiegeln, gehören keineswegs der Vergangenheit an; noch heute bieten kommerziell geführte Wappenfirmen ihre zweifelhaften Dienste an. Auch die Methoden haben sich nicht verfeinert.


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Die Summe dieser Hinweise hat mich in meiner skeptischen Grundhaltung bestätigt, wusste ich doch schon vorher, dass neben den Adeligen nur wenige Bürger und noch weniger Bauern, sofern mit Beamtenfunktionen betraut, ein Wappen verliehen bekamen. Doch es gibt auch noch eine nette, zudem erstaunliche Geschichte: Meine Mutter hat sich und ihrem späteren Mann zur Verlobung 1955 einen Goldring mit dem vermeintlichen Wappen der Kobler, in Lagerstein graviert, geschenkt. Anlässlich meiner Volljährigkeit hat sie dann den ihren, natürlich passend erweitert, mir weitergegeben und fortan begleitet er mich bei besonderen Anlässen (Abb 4).

Abb. 4: ein sogenannter Siegelring.

Ein dieser war ein Ball der Universität Innsbruck, den ich Ende der 80er-Jahre besuchte. Es ergab sich, dass dort oder bei einen vorhergehendem oder nachfolgendem Lokalbesuch, ein mir unbekannter Mann ungefähr gleichen Alters neben mir am Budel gesessen hat. Irgendwann sprach er mich mit der Frage an: “Bist Du auch ein Kobler?” Auf meinem natürlich sehr erstaunten Gesichtseindruck reagierend antwortete er, dass er mich am Wappenring erkannt habe. Es war Elmar Kobler, der im Pustertal aufgewachsen ist, aber wie ich Vintschger Wurzeln hat. Auch dessen Familie, mit der wir sicher nicht unmittelbar, vielleicht aber über fünf Ecken verwandt sind, – ich konnte auch mit seinen Brüdern Urban und Christian letztlich sprechen – weiß nicht genaueres über das Wappen, aber die Tatsache, dass sie das gleiche führen, macht einen doch stutzig. Ist da doch etwas mehr dahinter?

Der von mir in dieser Sache befragte Gustav Pfeifer, derzeitiger Direktor des Südtiroler Landesarchivs und sehr beschlagen in Sachen Heraldik, teilt meine angelesene Skepsis, argumentiert ähnlich wie oben Beimrohr. Nicht d’accord gingen wir damals hinsichtlich meinen Skrupeln das Wappen in jedweger Verwendungsform zu verwenden, ich wollte keine vermutliche Fälschung weiterperpetuiren. Im Auszug aus unserem Mailverhkehr, meint er:

“Ich würde jetzt nicht explizit von „Fälschung“ sprechen wollen: Um 1820 endet bei uns die Verleihung von Wappen an nichtadelige Personen/Familien. Ab dann werden bis zum Ende der Monarchie neue Wappen von obrigkeitlicher Seite nur noch im Zusammenhang mit einer Erhebung in den Adel vergeben (oder bereits geführte „gebessert“), was einen Markt für sogenannte Wappenbüros schuf, die sich das Bedürfnis nichtwappenführender Personen/Familien nach einem eigenen Wappen zunutze machten und den Markt mit ihren – aus historischer Sicht freilich in aller Regel wertlosen – Produkten bedienten. Dabei spielte man sicher mit der Unwissenheit der „Kunden“, zugleich offenbart sich die geringe Seriosität dieser Wappenbüros oft, wenn etwa selbst heraldische Grundregeln nicht beachtet wurden (wie die Geschichte mit den korrekten Helmformen).

Andererseits: Da Ihr Ring noch aus den fünfziger Jahren stammt und auch die Abbildung ein gewisses Alter hat, ist das ja an und für sich auch schon eine Art Geschichte, nur vielleicht nicht die, die damit suggeriert werden sollte.

Diese milde Urteil aus berufener Hand, sowie die leise Hoffnung, dass vielleicht doch noch eines Tages eine Rechtfertigung ans Tageslicht treten könnte, hat in mir meine aktuelle Haltung zu diesem Wappen wachsen lassen: ich benutze es sparsam im Sinne, dass ich es nicht vervielfältige, indem ich es z.B. auf Visitenkarten, Briefpapier oder Visitenkarten verwende, und den Ring trage ich an Festtagen mehr zum ein Andenken an meine Frau Mutter als ein Zeugnis von Familiengeschichte. Meine Skepsis hinsichtlich der Historie spreche ich weiterhin bei Bedarf an. Durchringen konnte ich mich schlussendlich doch, es auf die Oberlichte setzen zu lassen, kann doch nur so die Eigentümerabfolge bildlich dargestellt werden.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Beimrohr, W. (1989). Familienwappen in Tirol. Tiroler Chronist, 37, 14–25.
Kobler, E. (2024). Mündliche Mitteilung.
Kobler, C. (2024). Mündliche Mitteilung.
Kobler, U. (2024). Mündliche Mitteilung.
Pfeifer, G. (2023, July 10). Heraldik [Personal communication].

P.S.: Das ist übrigens der 100. veröffentlichte Beitrag!




Die Gemüse-Greatl

Wenn dieser Name fiel, wusste jeder in Oberbozen sofort, wer gemeint war. Meiner Generation wird sie immer im Gedächtnis bleiben, war sie doch mit ihrem Gemüsestandl in der östlichen Ecke der Lunwiese, unweit des Bahnhofes Oberbozen, eine wichtige Konstante im Dorfleben. Ganz Oberbozen kaufte bei ihr ein, von frühmorgens bis spätabends nahm das Herrichten, Verkaufen und Verräumen des feilgebotenen Obstes und Gemüses sie und ihren Mann in Beschlag. Deshalb haben wir ihr auch diesen Übernamen gegeben. So mancher Sommerfrischler ließ sich die Ware sogar von ihrem Boten ins Haus bringen. Später übersiedelte ihr Geschäft in einen Neubau, immer in Bahnhofsnähe. Vor nicht allzu langer Zeit ist Margareth Pechlaner-Burger im 87. Lebensjahr verstorben. Mit ihren beiden Buben, hauptsächlich mit dem älteren, dem Thomas, habe ich immer im Sommer abends am Eishockeyplatz Fußball gespielt. Ihnen gilt mein Beileid.

Die achzehnjährige Pechlaner Greatl beglückwünscht meine Eltern zu ihrer Hochzeit am 22. Juli 1956 auf dem heutigen Riehlplatz. Sie sind gerade zu Fuß von der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt gekommen und sind dabei, das Hotel Holzner zu errreichen, wo das Hochzeitsmahl auf sie wartet (Foto Sammlung Kobler).



In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Anonym. (1956). Margareth Pechlaner gratuliert Frieda und Erich Kobler zur Hochzeit [Fotographie].
Familie Burger. (2023, October 21). Todesanzeige Margareth Burger. Dolomiten, 11.




Die acht Bozner Seligkeiten (8)

am Beispiel der Familie Kinsele

“Als achte verlangen die einen genau,
Man müsste verwandt sein mit der Frau
Von Zallinger oder – wofür ich bin –
Verheiratet mit einer Boznerin;
Denn dieses war zu jeder Zeit
Die höchste Bozner Seligkeit.”

Für eine Boznerin hat es bei den Kinselemännern nicht sogleich gereicht. Franz Sales heiratete eine Brixnerin (Anna Helene v. Stickler), ebenso sein Sohn Joseph (Theresia v. Walther). Dessen Bruder Aloys hat sich mit Anna Vittorelli aus dem bayerischen Öttingen vermählt. Dafür hat es in der dritten Generation ordentlich geklappt: Richard hat mit Erfolg um die Hand der Bozner Bürgermeistertochter Franziska Kapeller angehalten, sein jüngerer Bruder Franz war zuerst mit Aloisia Caldrari aus Bozen vermählt, in der zweiten seiner drei Ehen sogar mit einer v. Zallinger (Rosa), wenn auch nur ganz kurz, verheiratet. In der vierten und letzen Generation im Mannesstamme war die erste Frau des Robert eine Boznerin, und zwar die Cafetierstochter Johanna Gasteiger; aber auch diese verstarb nach nicht einmal einem Jahr Ehe.



Waren aber alle Autoren sich einig über die achte Bozner Seligkeit? Hans von Hoffensthal rückt in seinem Roman “Das dritte Licht” (1911) die Boznerinnen in ein bisschen anderes Licht: “Die Frauen? Bigott, laufen in die Kirche. Die Mädchen laufen auf der Gasse – hoho – man zwinkert ihnen zu, es wären keine üblen Geschöpfe darunter – sie lachen dumm, ja, das können sie, aber etwas Weiteres – Hand davon.”

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Hoeniger, K. T. (1933). Altbozner Bilderbuch – Hundert Abbildungen und vierzig Aufsätze zur Stadtgeschichte. Alois Auer & Co.
Unterhofer, B. (1996). Hans von Hoffensthal: ein Leben in der Sommerfrische. Edition Raetia.




Ist so die Villa Kinsele entstanden?

Die ältesten Verträge bringen Licht ins Dunkel

Richard Niedermair aus St. Lorenzen, der mich bei den Recherchen tatkräftig unterstützt, hat im Verfachbuch des seinerzeit für Oberbozen zuständigen Gerichts Stein am Ritten einen wichtigen Kaufvertrag gefunden und transkribiert. Die Inhalte beanworten gleich mehrere Fragen: Seit wann gibt es am Standort der heutigen Villa Kinsele eine Sommerfrischbehausung? Wem gehörte sie? Welchen Hintergrund haben einige bisher unerklärlich gebliebenen Funde? Warum ist sie am Oberhofer angebaut und nicht wie fast alle anderen Sommerfrischhäuser aus der Zeit freistehend?

Das zugemauerte Fenster unter der Stiege (1).

Im Verfachbuch Stein am Ritten 1726, folio 570, ist der Kauf zwischen “Herr Andreen Laners aus Bozen und Mathias Prackhwieser Oberhofer und seiner Ehewirtin [Ursula] Lintnerin” festgehalten. Der Eigentümerwechsel betrifft “… Oberpozen die daselbs bei d behausung nit Unlengsten hiezue Erpauten zwo Camern sambt all d ybrigen Umb- unnd Ingepeyen, Item kheller, Kichele, dillen re Stallele und dgleichen und zwar Specialiter alles ds Jenige was Unter den Obdach sollichen Neu Gepey sich befindet, wie auch ain darbey ligendes Stuckh Ertreich khreitle garthen.



D.h., in der heutigen Sprache ausgedrückt, Andre Lanner kauft von den Oberhofer-Eheleuten 1726 ein vor kurzem angebautes Gebäude. Es ist laut der Beschreibung aber kleiner als die spätere Villa, wie sie Franz Sales Kinsele 1779 ersteigern wird. Ich nehme an, dass dieses “Neu Gepey” nur den Teil ostwärts vom heutigen Gang beinhaltet hat. In dieser Form hat das Haus den Ansprüchen Lanners nicht genügt, er hat es in der Folge – wann wissen wir (noch) nicht – Richtung Westen erweitert.

Grundriss des Ergeschosses. Alles deutet datauf hin, dass der westlich vom Gang befindliche Bereich in einem zweiten Moment dazu gekommen ist.

Was begründet diese Hypothese? Als der Wandschrank unter der Stiege für die Restaurierung ausgebaut wurde, kam unerwartet ein zugemauertes Fenster, auf dem Grundriss “1”, zutage. Diese Mauer begrenzte also ursprünglich das Gebäude nach Außen. Warum die Küchentüre (2) über eine Oberlichte verfügt, war uns auch ein Rätsel. Das Ablösen der Farbanstriche darauf war dann aber aufschlussreich: man konnte jetzt ehemalige Aussparungen an den horizontalen Teilen des Rahmens erkennen. Da waren Eisengitter befestigt, das war einmal Teil einer Außentür!

Am oberen und unteren Rahmen der Oberlichte kann man die Stellen erkennen, an denen die Eisengitter befestigt waren (2). An dieser Stelle war einmal eine Haustüre.

Damit dem Wandschrank (3) in der Speis mit seinen original Barockdekormalerei die doch intensiven Maurerarbeiten gut übersteht, wurde auch er zu Beginn vorsichtshalber ausgebaut. Dahinter kam ein Holzträger zum Vorschein, der auf ein früheres Fenster hindeutet. Tatsächlich war das Oberhofergebäude früher schmäler, ein Fenster dort zu haben war durchaus möglich und sinnvoll.

Auch hier ein zugemauertes Fenster, dies Mal in der Speis, dessen Aussparung später als Ort für einen Wandschrank genutzt wurde (3).

Bis zuletzt verstanden wir auch nicht wirklich, warum in der Kammer im oberen Stock (4) die Bodenbretter nicht eine durchgehende Länge aufweisen, sondern an der Ostseite über die ganze Wandlänge verlängert wurden. Walter Alber hat sogleich einen ehemaligen Stiegenaufgang vermutet. Aber wofür soll es einen zweiten gebraucht haben? Für einen getrennten Dienstbotenaufgang z.B. war das Haus doch zu wenig herrschaftlich. Also doch keine Treppe? Jetzt wissen wir es, dort verlief im Ursprungsgebäude die Stiege, welche das Obergeschoss erschlossen hat. Recht breit war sie nicht, vielleicht war sie auch nur aus Holz.

Die kurzen Bretter des Riemenbodens in der nordseitig gelegenen Kammer (4).

Mit dem Zimmerer Urban Pechlaner haben wir uns letztlich den Dachstuhl ein wenig genauer angeschaut. Er hat dort aber keinen Hinweis auf eine Hauserweiterung vorgefunden. Er meint, dass das Dach des ersten Gebäudes wahrscheinlich anders ausgerichtet war und der Dachstuhl deshalb im Laufe der Vergrößerungsarbeiten gänzlich erneuert wurde.

Was uns jetzt noch fehlt, ist das Jahr der Hauserweiterung, die dem Gebäude die heutige, charakterisierende L-Form gegeben hat. Sie muss gemäß der Aktenlage zwischen 1726 und 1779 erfolgt sein, wobei ich mutmaße, dass sie bald einmal nach dem Erwerb des Oberhofer-Nebengebäude stattgefunden haben muss. Warum dies? Weil in der 1778 anlässlich des Konkurses durchgeführten Schätzung Klüfte in den Mauern und Wassereintritt durch schadhaftes Dach als wertmindernd verzeichnet wurden. Dies lässt doch ein bestimmtes Mindestalter vermuten.

Jedenfalls wurde mit diesem Aktenfund und seiner Auswertung ein großer Schritt nach vorne hinsichtlich der Baugeschichte gemacht. Ob das zweite Sommerfrischhaus im Verbund einen ähnlichen Ursprung aufzuweisen hat? Wir werden zusammen versuchen auch dies zu ergründen.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen

Transkription: Richard Niedermair. (1726). Verfachbuch Stein am Ritten 1726, folio 570.
Transkription: Richard Niedermair. (1778). Lanner Konkurs 1779 (Merc. Mag. Signatur: 3.280 Fasz 32).




Die acht Bozner Seligkeiten (6)

am Beispiel der Familie Kinsele

“… Und sintemal
Ein jeder dieses Jammertal
Verlassen muss zu seiner Zeit
Und nach der Bozner Seligkeit
Zur ewigen wird eingeladen,
Ist sechstens unter den Arkaden
Am Friedhof ein Familiengrab
Vonnöten, …”

Ausdauer, die bei Bedarf in Hartnäckigkeit übergeht, ein bestimmter Grad an Detailversessenheit und natürlich eine ordentliche Portion Fortune braucht man, um bei Nachforschungen dieser Art erfolgreich zu sein. Meine Anfrage an die Friedhofsverwaltung der Gemeinde Bozen, ob sich im städtischen Friedhof Oberau noch Gräber von Kinseles befinden, blieb nämlich unbeantwortet und zu wissen, dass nach der Auflassung des Pfarrfriedhofs im Zentrum der Stadt keine Familienmitglieder in Bozen selbst mehr verschieden sind, weshalb eine Übersiedelung auf den neuen städtischen Friedhof in Oberau sehr unwahrscheinlich war, ließ die Hoffnung auf das Auffinden von Grabstätten stark schwinden.



Dass es aber zumindest ein stattliches Grabmal gegeben haben muss, war ich mir ob des wirtschaftlichen und sozialen Standes der Familie von Anfang an sicher. Bestätigt wurde ich in dieser Überzeugung später, als mir als Netzfund “Die heimische Bildhauerfamilie Reinalter” und darin die Abbildung des Denkmals Josef von Kinseles mit der Ortsangabe Pfarrfriedhof Bozen untergekommen ist. Einer glücklichen Fügung ist es dann zu verdanken, dass ich in dem hinsichtlich der Bozner Geschichte sehr aufschlussreichen Buch “Bozner Obstplatz” von Günter Rauch auf Seite 42 nicht nur ein Detail des obgenannten Werkes abgebildet fand, sondern auch Gries und nicht mehr Bozen als Standort angegeben war. Die Rückfrage beim Buchautor, der das Foto zudem selbst gemacht hat, bestätigte den Ort. Nach einer kurzen Suche am Friedhof um der alten Grieser Pfarrkirche fand ich dann endlich an der Nordmauer das Grabmal, und konnte es mit einem nicht unerheblichen Grad an Genugtuung – dies sei mir gegönnt – bestaunen.

Die angeführten Personen sind einige der Töchter und Söhne von Alois, Bruder des prominenten Verstorbenen, wobei z.B. Josef Kinsele nachweislich nicht in Bozen begraben wurde. Josef v. Kinsele zu Eckberg blieb hingegen kinderlos.

Anfänglich hatte ich vermutet, in der Rainalter-Publikation sei fälschlicherweise der Ort Bozen angegeben worden und Gries als Standort ließe sich damit erklären, dass der Kinsels’sche Egghof (“… zu Eckberg”) sich in Fagen/Gries befindet. Inzwischen zweifle ich die Richtigigkeit der Standortangabe nicht mehr an, sondern vermute stark, dass auf Betreiben der letzten – zudem kinderlosen – Kinseles in Bozen, Fanny und Anton, das Denkmal durch die Versetzung nach Gries vor der voraussichtlichen Zerstörung im Laufe der Auflassung des Pfarrfriedhofes Bozen bewahrt werden sollte. Die generellen Aussagen in “Wege zu den Friedhöfen und Grabstätten” der Gemeinde Bozen unterstützen mich darin.

Das Wappen der Kinsele zu Eckberg.

Anton Rainalter (1788-1851) war seinerzeit einer der gefragtesten Bildhauer in Tirol, besonders im südlicheren Teil desselben. Sein weniger bekannter, von Schluderns nach Bozen gezogener Vater Andreas hat mit der Bildhauerei begonnen, der Sohn lernte den Beruf bei ihm und für ein paar Jahre auch an den Akademieen der Bildenden Künste in München und Wien, konnte aber auf Grund von finanziellen Engpässen die Ausbildung nicht zu Ende bringen. Trotzdem war er sehr beliebt und schuf neben einigen weltlichen Skulpturen auch über 50 Grabdenkmäler, welche sich die vermögenden Bozner Familien unter den Arkaden des Pfarrfriedhofes aufstellen ließen.

Hinsichtlich des Kinsels’schen Grabmals lasse ich den Enkel Rainhard Rainalter zu Wort kommen:

Wie man sieht, waren die Kinseles nachweislich nicht erst seit Richard Kinsele (Mitglied der “Erste freiwillige akademischen Tiroler Schützenkompanie in Wien”, ich berichtete) freisinnig eingestellt. Über das Verhältnis der Familie zur Religion werden demnächst auf diesen Seiten Beobachtungen und Betrachtungen behandelt werden.

Das Bozner Wappen mit dem sechszackigen Stern deutet auf den Wirkungsbereich des Verstobenen hin.

Trotz der Wertschätzung, welche er als Künstler zeitlebens genoss, wurde Anton Rainalter nach dem Ableben zunächst wenig Anerkennung zuteil, ihn selbst wollte man nämlich nicht mit einem Grabdenkmal unter den Arkaden würdigen. Das wollten nicht alle so hinnehmen, weswegen wenig später ein Gedicht von anonymer Hand im “Bozner Wochenblatt” veröffentlich wurde:

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen

Rainalter, R. (1937). Die heimische Bildhauerfamilie Reinalter. Beihefte Zum “Bozner Jahrbuch Für Geschichte, Kultur Und Kunst.”
Rabanser, H. (2019). Andreas Alois Dipauli und das elterliche Grabdenkmal in der Pfarrkirche von Aldein. Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen, 12, 129–149.
Scarl, O. (2023, October 18). Wege zu den Friedhöfen und Grabstätten. Stadt Bozen. https://opencity.gemeinde.bozen.it/Aktuelles/Im-Fokus/Wege-zu-den-Friedhoefen-und-Grabstaetten
Rauch, G. (2012). Bozner Obstplatz: Historisches und Alltägliches. Athesia.
Rauch, G. (2023). Mündliche Mitteilung.
Redaktion. (1851, January 15). Rainalters Manen. Bozner Wochenblatt, 2.

Nicht gekennzeichnete Fotos sind vom Blogautor.




Die acht Bozner Seligkeiten (5)

am Beispiel der Familie Kinsele

“Dazu als Ergänzung im weltlichen Sinne
Hat fünftens man eine Loge inne.”

Ein Jahrhundert lang hatten die Bozner ihr Theater am Musterplatz, im Gebäudekomplex des 1759 entstandenen luxuriösen Gasthofes Kaiserkrone, bekannt auch als Palais Pock, nach dessen Erbauer. Ich zitiere Franco Laitempergher (1978):

“Dann ist die Hotelresidenz im Besitz von Stefan Landsmann, der sie 1804 während der Belagerung [falsch übersetzt, sollte Besetzung heißen] des Landes durch die bayrischen und französichen Truppen unter Napoleon um 23.500 Gulden verkauft u.z. an eine Gesellschaft mit 47 Mitgliedern, die zu den reichsten Familien der Stadt gehören; diese Gesellschaft hat die Absicht, im Garten des Hotels ein Theater zu bauen. Die Arbeiten am Theater (heute Upim) beginnen im Februar 1804 und sind im August 1805 abgeschlossen. Das Projekt des Theaters stammt von Andrea Caminada aus Rovereto, die Szene von Carlo Ederle, die Fresken von Domenico Zeni. Das Theater hat 800 Plätze. Es besteht aus einem Parkett, einer doppelten Reihe von Logen mit insgesamt 33 und einer Galerie. Die meisten Logen sind den Mitgliedern vorbehalten. Die Zentralloge gebührt den angesehenen Persönlichkeiten und der Merkantilmagistrat kauft eine Doppelloge um 1100 Gulden. Die Theatersaison wird im September 1805 mit der Oper «Pamela nubile» eröffnet.”

Die Kaiserkrone/Palais Pock, am Musterplatz, abgebildet auf dem Umschlag des Buches dazu.



Hinsichtlich des Theaters mussten die Kinsele von fürwahr tiefster Glückseligkeit erfüllt gewesen sein. Schon in der Verlassenschaft des Franz Sales Kinsele 1812 wird eine Loge weitergegeben, Joseph und Aloys Kinsele erben von ihrem Vater jeweils “Die Hälfte aus der hiesigen Theater Actie und Loge oder 450 fl.” Aloys Kinsele hinterlässt widerum: “Eine einfache Loge im Stadttheater zu Bozen mit Nr. 28 bezeichnet.” und “Die Loge Nr. 6 im hiesigen Stadttheater, welche Herr Josef von Kinsele erbsweise übenahm.”

Auzug aus derVerlassenschaft des Franz Sales Kinsele (1812).

Bis zur letzten Kinselegeneration bleiben Familienmitglieder dem alten Theater verbunden; Anton Kinsele scheint als einer der verbliebenen Logenbesitzer auf, als das Theater in der Kaiserkrone 1904 aus Brandschutzgründen schließen muss. Franco Laitempergher (1978) weiter:

“1907 werden die 17 Logeninhaber entschädigt, unter denen der Bankier Sigismund Schwarz, Georg von Eyerl, Franz von Kofler, die Witwe des Architekten Bittner, von dem der Entwurf der Herz-Jesu-Kirche in der Rauschertorgasse stammt, Doktor Streiter, Anton Kinsele, Luise Zallinger von Walther, die Familie Thaler, Carli, Mumelter.”
“1929 verkauft die Witwe von Lamberto Ressi, Gräfin Elvira Bonasi, die Räume des Theaters an die Gesellschaft «Cinema Centrale» und im südlichen Teil des Komplexes auf der Seite der Poststraße wird die «Rinascente» untergebracht
.”

Damit erlischt aber nicht die Überzeugung der Kinsele für das Theater. Obwohl die Familie nur mehr einen Bruchteil des früheren Vermögens besitzt, scheint der Name Kinsele in der Liste der unterstützenden Familien auf, als für das neu im Bahnhofspark zu errichtende Stadttheater Geldmittel gesammelt werden. Dieses großzügig bemessene, der jüngeren Stadtentwicklung angemessene Gebäude wird von 1913 bis 1918 erbaut und leider schon 1943 durch die Bomben des zweiten Weltkrieges fast gänzlich zerstört. Nach 1945 wurden die Ruinen vollständig abgebrochen, heute errinnert nichts mehr an den von Max Littmann geplanten Theaterbau.

Das 1918 eröffnte neue Bozner Stadttheater in der Bahnfosstraße, Blickrichtung Westen (Foto aus: Stadttheater / Teatro Civico / Teatro Verdi – Geschichte eines Theaters an der Grenze (1918 – 1943), 2014).

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Laitempergher, F. (1978). Palazzo Pock Kaiserkrone. Banca di Trento e Bolzano.
Transkription: Richard Niedermair. (1812). Abschrift des Herrn Franz Kinseleschen Inventariums samt dessen Testament.
Bertoldi, M., & Mura, A. (2014). Stadttheater / Teatro Civico / Teatro Verdi - Geschichte eines Theaters an der Grenze (1918 - 1943). Hefte Zur Bozner Stadtgeschichte, 3. Band Herausgegeben von Massimo Bertoldi Und Angela Mura. https://issuu.com/bolzano_bozen/docs/stadttheater_dt




Die acht Bozner Seligkeiten (4)

am Beispiel der Familie Kinsele

“Sei viertens jedem ein Kirchenstuhl eigen.”

Ob die Kinsele einen eigenen, als solchen erkennbaren Kirchenstuhl – sicher in der Dompfarrkirche Maria Himmelfahrt in Bozen gemeint! – besaßen, kann ich nicht bestätigen, in diese Richtung habe ich noch keine Untersuchungen angestrengt, es ist aber anzunehmen. Dass es Ähnliches in der Oberbozner Pfarrkirche, ebenfalls Maria Himmelfahrt geweiht, überhaupt gegeben hat oder wie regelmäßig in der an die Villa Kinsele angrenzenden kleine Kirche Maria Schnee damals Messen gelesen wurden, entzieht sich ebenfalls meinem Wissen.

Die Dompfarrkirche Maria Himmelfahrt in Bozen (Foto: Emes, 2011)

Als 1779 Franz Sales Kinsele das Oberbozner Sommerfrischhaus aus der Konkursmasse des Andre Lanner ersteigerte, waren die barocken Deckenmalereien mit den mindestens neun, die Deckenbemalung dominierenden Heiligenmedaillons sehr wahrscheinlich schon vorhanden. Eine eventuell tief gelebte, für die Zeit typische Frömmigkeit dürfte spätestens zur Mitte des 19. Jahrhunderts in der Familie Kinsele merklich abgeschwächt worden sein. Ab 1830 verbreitete sich nämlich selbst im erzkatholischen Tirol mit seiner fast gänzlich agrarisch geprägten Bevölkerung der Liberalismus, wenn auch auf die zahlenmäßig überschaubaren Kreise des aufstrebenden Bürgertums und der weltlichen Intellektuellen beschränkt.



Ausschnitt aus dem Deckengemälde im Gangbereich des Obergeschosses, das als einziges immer sichtbar blieb: der Hl. Andreas, die Hl. Maria Muttergottes, die Hl. Anna.

Nachdem die Kinsele aufgehört hatten, Kaufleute zu sein, verlegten sie ihre Aktivität auf akademische Berufe. Spätestens an den Universitäten, wo die männlichen Nachkommen hautpsächlich Recht, aber auch Medizin und Pharmazie studierten, kamen sie mit dieser dort vorherrschenden Geistesströmung intensiv in Kontakt.

Richard Kinsele erlebte das prägende Revolutionsjahr 1848 in der Reichshaupt- und Residenzstadt und folgte der “Ersten freiwillige akademischen Tiroler Schützenkompanie in Wien” des Adolf Pichler an die Südgrenze Tirols. Sein jüngerer Bruder Josef studierte im Kriegsjahr 1866 in Innsbruck, als ihn der Ruf der ad hoc zusammengestellten studentischen Scharfschützenkompanie ereilte, welche ebenfalls in Welschtirol operierte. Maximilian und sein Bruder Robert waren Mitglieder der schlagenden Verbindung Rhaetia in Innsbruck und bekannterweise kann man studentische Burschenschaften durchaus als die Wiegen des freiheitlichen, großdeutschen Denkens definieren. Ihr Cousin Anton schlussendlich war auch bei der Rhaetia und ein bekennender, politisch aktiver Deutschnationaler.

Das beachtliche Werk Josef Fontanas, welches auch für weitere Beiträge immer wieder zu Rate gezogen wird. Aus dem Klappentext: “Der Tiroler Kulturkampf umfaßte den [30jährigen] Widerstand Tirols gegen die rechtliche Gleichstellung der verschiedenen Konfessionen mit der katholischen Kirche, gegen die Schulreform und gegen den Wiener Zentralismus, mit einem Wort: den Widerstand Tirols gegen die Neugestaltung Österreichs im Sinne liberaler Staatsauffassung.”

Der Liberalismus trug in Österreich nie so antiklerikale Züge wie die freisinnigen Geistesströmungen in Deutschland oder gar in Italien. Die angestrebte vollständige Religionsfreiheit hinsichtlich Glaubensrichtung und auch -Intensität brachte aber bei deren Anhängern in jedem Fall eine Abkehr von strenger, unreflektierter Frömmigkeit mit sich.

Deshalb wage ich folgende Vermutung zu äußern: Der Grund, warum wahrscheinlich um 1850 die barocken Deckenmalerein im Erdgeschoss durch einen weiß verputzen Zwischenboden vollständig verdeckt wurden, liegt m.E. nicht nur darin, dass man sich modebedingt von der barocken, farblich überschwänglichen Farbenpracht abkehrte. Ich mutmaße, die inzwischen freisinnig gewordenen Eigentümer waren auch der dominierenden Anwesenheit der vielen Heiligen überdrüssig.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Fontana, J. (1978). Der Kulturkampf in Tirol: 1861-1892. Athesia.
Kinsele, R. (1891, October 29). Todesanzeige Dr. August von Druffel. Innsbrucker Nachrichten, 14. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/62980/1/29.10.1891/327969/12
Kinsele, M. (1890, February 12). Todesanzeige Dr. Carl Kipferling und Alfred Meguscher. Tiroler Tagblatt, 6. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/62964/1/12.02.1890/264365/6
Kinsele, A. (1886, January 11). Todesanzeige Albert Wüstner. Innsbrucker Nachrichten, 11. https://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Zeitungsarchiv/Seite/Zeitung/62980/1/11.01.1886/313664/11
Emes. (2011, July 3). Datei:Maria Himmelfahrt Bozen 2011.jpg – Wikipedia. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maria_Himmelfahrt_Bozen_2011.jpg




Sehnsuchtsgipfel Rittnerhorn

Willst Du das Land Tirol mit einem Blick überschauen, so musst du das Rittner Horn besteigen.
(Volksweisheit um 1900)

Vor dem im Winter geschlossenen Schutzhaus verweilen in der angenehmen Mittagssonne etliche Skitourengeher und Schneeschuhwanderer. Wie immer bewirkt das Klicken auf das Bild seine Vergrößerung.

Sicherlich gab es schon – ziemlich wahrscheinlich berittene – Ausflüge der historischen Sommerfrischler auf das Rittner Horn, seit diese in Lengmoos oder dem entfernteren Oberbozen ihre Sommer verbrachten. Aber mit dem Beginn der touristischen Erschließung der Alpen im 19. Jahrhundert wurde das 2.260 m hohe Rittner Horn, das sich eigentlich auf dem Barbianer Gemeindegebiet befindet, immer öfter besucht. Zum einen, weil der Anstieg nicht steil ist und deshalb auch für bergunerfahrene Touristen bewältigbar, zum zweiten weil die dargebotene Rundsicht in alle Himmelsrichtungen ob ihrer Weite fürwahr beeindruckend ist.



Das Rittnerhorn mit letzten Schneeresten, von Herrenkohlern aus gesehen. In der Mitte Oberbozen, rechts darunter zuerst die Erdpyramiden, danach die Streusiedlung Signat.

Was Wunder, dass schon 1890 der Österrische Touristenclub am Gipfel ein Schutzhaus errichten ließ. Um das Rittner Horn und sein Umland noch attraktiver zu machen, wurde wenig später seine Erschließung mittels einer, dem technischen Stand von damals entsprechenden dampfbetriebener Zahnradbahn angedacht. Besonders die Pilatus- und Achenseebahn (beide 1889) sowie jene auf den Salzburger Schafberg (1893) dienten als Vorbilder.

Das Rittnerhorn, von der Villandererseite aus gesehen. Gut ersichtlich die kugelförmige Antenne an der Spitze des Mastes der Funkumsetzerstation.

Tatsächlich wurde die Bahn dann nur bis Klobenstein projektiert und gebaut, anfänglich war die Endstelle sogar in Oberbozen vorgesehen. Die Gründe dafür waren mehrere: zuerst sah man sich nicht drüber hinaus, 20 km Steilstrecke mit Dampf zu betreiben, später, als elektrisch betriebene Lokomotiven ohne Reichweitenbeschränkung zur Verfügung standen, konnte nicht die vollständige Finanzierung gewährleistet werden, besonders weil der anfänglich vorgesehene Saisonsbetrieb keine ausreichende Einnahmen in Aussicht stellte.

Am 10. August 1950 stürzten im dichten Nebel Sepp Zwerger und Peter Gostner unmittelbar hinter dem Schutzhaus eine Felswand hinab. Dieser Stein erinnert an den für beide tödlichen Unfall.

Trotzdem war auch das realisierte Bruchstück für die Entwicklung des Rittens bedeutsam. Wenn man sich nur bewusst vor Augen führt, welche Bautätigkeit in Oberbozen ab 1906 begonnen hat. Umwälzungen, welche aber nicht bei allen Gefallen gefunden haben, weswegen stellvertredend an Hans von Hoffensthal und sein “Abschied von Oberbozen” erinnert werden soll. Am Rittner Horn selbst, dem indirekten Auslöser dieser Entwicklungen, hat sich glücklicherweise relativ wenig getan.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Wikipedia-Autoren. (2021, August 30). Rittner Horn. Wikipedia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Rittner_Horn&oldid=215193687
Demar, K., Denoth, G., Petrovitsch, H., & Schindl, W. (2007). Rittnerbahn: Eisenbahn am Berg - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Athesia.
Hoffensthal, H. von. (1989). Abschied von Oberbozen. Athesia.




Josef Kinsele, der Wiener

Sekretär der k. k. niederösterreichischen Finanz-Prokuratur

In Wien ist gestern Herr Dr. Josef Kinsele, Sekretär der k.k. niederösterreichischen Finanz-Prokuratur, ein gebürtiger Bozner nach längerem Leiden gestorben. Der Verstorbene hat hier seine Jugend zugebracht, trat aber nach vollendeten Studien bei der Finanzprokuratur in Wien in den Staatsdienst und kam seitdem nur selten in seine Vaterstadt, wo er übrigens in gutem Andenken stand und einen großen Freundeskreis besaß.
(Bozner Zeitung vom 17.12.1892)

Der inzwischen verschwundenen Grabstein am Grinziger Friedhof (Foto: Adler)

1845 geboren, war er der jüngste Kinsele der dritten Bozner Generation. Er studierte in Innsbruck Recht und nahm als Mitglied des akademischen Corps Athesia – ähnlich seinem ältesten Bruder Richard – an der Verteidigung der “welschen Confinien” teil. 1866 war wie 1848 die Südgrenze des Reichs bedroht und wiederum mobilisierten sich die für Idealismus und Patriotismus ohnehin empfänglichen Studenten in Freiwilligencorps.



Anlässlich der 40. Wiederkehr des Ereignisses wurde 1906 in drei Folgen genauestens an den Ablauf der Expedition erinnert. Detailreich werden die Bewegungen der studentischen Scharfschützenkompanie rekonstruiert und der Alltag deren Mitglieder in der blumigen Sprache der damaligen Zeit erzählt. Das Corps wurde zur Bewachung bestimmter Örtlichkeiten in Frontnähe eingesetzt und nur einmal gab es kurzen Feindkontakt. Der Ton des Berichtes ist, was nicht überrascht, durchwegs beschönigend gehalten, schwierig zu glauben, dass es nicht viel unangenehmeres anzumerken gab als: das Fleisch der ausgehungerten ungarischen Ochsen war zäh wie Sohlenleder, so dass man von der Menage eigentlich nur die tägliche Reissuppe als Frühstück genießen konnte, während zu Mittag Polenta oder Risotto als Lückenbüßer für ein Mittagessen den knurrenden Magen befriedigen musste.

Ausschnitt aus: Tiroler Volksblatt, 4., 8., und 11. August 1906.

In der Wiener Votivkirche heiratete Josef Kinsele 1878 Josefine Lenz, verwitwete Richter, welche die Tochter Clementine mitbrachte. Josefine Lenz war die Witwe des Franz Richter, seinens Zeichens Eigentümer des Grinziger Brauhauses. Die Ehe blieb kinderlos. Als Jurist brachte es Josef Kinsele auf der Karriereleiter bis zum Sekretär der Finanzprokuratur, der Titel Finanzrat blieb ihm knapp verwehrt.

Todesanzeige in “Neue Freie Presse” vom 18.12.1892.

In seinem 1884 verfasstem Testament, ist er voll des Lobes für seine Gattin, so u.a.: Meine Wünsche gehen dahin, daß es ihr auf ihrem ferneren Lebenswege so gut gehen möge, als sie mit ihrem gütigen, edelmütigen Herzen, ihrem liebenswürdigen Wesen verdient. Ich sage ihr Dank, tausendfältigen Dank für die Liebe und Zuneigung die sie mir stets gezeigt und werktätig bewiesen für die unzälbaren Beispiele eines unbegrenzten Vertrauens und einer unwandelbaren Sympathie und einer Treue und Beharrlichkeit, die nur der lautersten Tiefen einer echten Frauenseele entsteigen konnten. Noch unzälige herzliche Küsse sende ich ihr und bitte sie ein freundliches Gedenken dem Manne zu bewahren, der sie so unaussprechlich geliebt und der an ihrer Seite so unsäglich glücklich gelebt.

Warum dann diese, welche ihn fünfzehn Jahre überlebte, auf dem üppigen Grabstein (siehe oben) nicht die Geburts- und Sterbedaten einmeißeln ließ, entzieht sich meiner Kenntniss und lässt nur Vermutungen zu. Im Dezember 2023 wollten wir das Grab besuchen, doch wir mussten leider feststellen, durch die Freidhofsverwaltung bestätigt, dass die Ruhestätte inzwischen aufgelassen wurde.

Die inzwischen aufgelassene Grabstätte am Grinzinger Friedhof, Dezember 2023.

Das uns vorliegende Testament des Dr. Josef Kinsele ist wie so oft, sofern sie von eher vermögenden Personen, die also was zu vererben hatten, ein interessantes Spiegelbild des geltenden Zeitgeschmackes. So scheinen als Maler der an die Bozner Geschwister zu vererbenden Gemäde die Namen Gottfried Seelos, Carl Munsch, Paul Schäffer, Ocker, und Kanzoni auf.

“… letzten Willen.” (Testament des Dr. Josef Kinsele)

Für die Hausgeschichte der Villa Kinsele ist hingegen die folgende Anweisung sehr wichtig, jetzt wissen wir endlich, von wem sie sind: Die in meiner Verlassenschaft vorfindlichen Jagdtrophäen sollen zwischen meinen Brüdern Richard Kinsele und Franz Kinsele beziehungsweise deren Söhne Anton Kinsele und Max. Kinsele geteilt und, so lange sie andauern in den beiden derzeit Kinseléschen Häusern in Maria Schnee aufbewahrt werden. Sie sind auch danach dort geblieben.

Eine der Jagdtrophäen in der Stube, März 2021.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Anonym. (1892, December 17). Todesfall. Bozner Zeitung, 3.
R, F. (1906, August 4). Gedenkblatt an den Feldzug 1866 in Welschtirol der “Innsbrucker freiw. akad. Scharfschützenkompanie”. Tiroler Volksblatt, 1–3.
R, F. (1906, August 8). Gedenkblatt an den Feldzug 1866 in Welschtirol der “Innsbrucker freiw. akad. Scharfschützenkompanie”. Tiroler Volksblatt, 1–2.
R, F. (1906, August 11). Gedenkblatt an den Feldzug 1866 in Welschtirol der “Innsbrucker freiw. akad. Scharfschützenkompanie”. Tiroler Volksblatt, 1–2.
Mayerhofer, S. (n.d.). Grinzinger Brauhaus. Seen süchtig. Retrieved December 26, 2023, from http://seen-suechtig.jimdofree.com/wiener-brauereien/grinzing/
Todesnachricht. (1892, December 18). Neue Freie Presse, 27.
Kinsele, J. (1884). Testament Dr. Josef Kinsele.
ADLER Heraldisch-Genealogische Gesellschaft, Wien. (n.d.). Retrieved December 19, 2023, from https://tng.adler-wien.eu/showmedia.php?mediaID=3393




Fenster in die Vergangenheit (1)

Die Böden

Wie schon in früheren Beitragen über die Hausgeschichte angemerkt, sind wir bei den Renovierungsarbeiten auf verschiedene zeitliche Abschnitte gestoßen. Barock, Rokoko, Biedermaier und Historismus haben die Villa Kinsele im Wesentlichen geprägt. Wieviel ist wovon noch vorhanden und was und wieviel davon zeigen? Frau Marlies Tschisner, welche uns als Gebietsverantwortliche für Kunstgeschichte, profane und sakrale Bauten von seiten des Dekmalamtes unterstützt, hat bei einem Lokalaugenschein einmal den Bregriff “Fenster in die Vergangenheit” verwendet. Ich finde ihn sehr treffend.

“Otto Kaufmann – Niedersedlitz”



In der Küche haben wir unter dem obligaten Linoleumboden der 70er Jahre und halb faulen Holzfaserplatten sowie Teerpappe einen unerwarteten Belag vorgefunden: Keramikfliesen der Firma Otto Kaufmann aus Niedersedlitz bei Dresden, hergestellt um 1900. Ein Teil der Umbauarbeiten, welche sehr wahrscheinlich vom damaligen Eigentümer Franz Kinsele und seiner Frau Aloisia von Rehorovsky (ich berichtete hier) ausgegangen sein dürften. Wie man sieht, war die Zeit, wo man fast ausschließlich vor Ort vorgefundene Baumaterialien verwendet hat, vorbei.

Der unerwartet vorgefundene alte Belag.

Zirka zwei Quadratmeter konnten ohne Beschädigung wiedergewonnen und gereinigt werden. Als kleines Zeitfenster zur vorletzten Jahrhundertwende haben wir damit eine kleine Ecke am Originalort, der ansonsten mit zeitgenössischen Möbeln und Geräten ausgestatteten Küche, gestaltet. Die mit der Lieferung und Verlegung der neuen Sandsteinböden beauftragte Firma südtirol.stein hat für einen einen überaus sauberen Übergang gesorgt.

Das kleine “Fenster in die Vergangenheit”.

Leider sind die so charakteristischen, noch dazu am Ritten gewonnenen Sandsteinplatten des Eingangsbereichs im ersten und zweiten Stock dem großen Umbau damals zum Opfer gefallen. Aus einem – aus heutiger Sicht! – Missverhältnis zwischen dem Wunsch nach Pflegeleichtigkeit und dem Respekt vor dem Gebautem wurden sie durch kleine gelbrote Klinker ersetzt.

Die Arbeiten schreiten gut voran, im Hintergrund der wieder geöffnete Hinterausgang gegen Norden.

Es war ein ausgesprochenes Glück, dass wir im Haus selbst noch über eine Quelle an diesem Material verfügten. Im Dachgeschoss waren nämlich zum Zwecke der Brandsperre Sandsteinplatten als Boden verbaut. Zudem musste der kleine Balkon an der Westseite erneuert werden, dort wurde der steinerne Belag durch passendes Lärchenholz ersetzt.

Auf dem Gang im ersten Stock. Werden die vorgefundenen Sandsteinplatten reichen?

Die vorgefundene Menge an verwendbaren Platten erlaubte schlussendlich nur im Erdgeschoss die historische Verlegung im Rautenverband, im ersten Stock musste materialsparender, in rechtwinkligen Bahnen vorgegangen werden. Bis zuletzt fürchteten wir, mit dem vorhanden Material nicht auszukommen, aber die engagierten Mitarbeiter der Baufirma Schweigkofler haben gekonnt jede vorgefundene Größe an den richtigen Platz gesetzt.

Noch muss der Boden verfugt werden. Blickrichtung Haupteingang. Zur Sicherheit bleiben das Stiegengeländer und die Steinstufen noch verschalt.

Schon allein deshalb, weil eine Fußbodenheizung das alte Heizkörpersystem ersetzen wird, mussten alle Holzböden ausgebaut werden. Eine gute Gelegenheit, sie zu bürsten, zu reinigen, und so auszugleichen, dass die abgwohnten Oberflächen wieder möglichst flach werden. Auch dieses Mal machte sich die Expertise von Walter Alber in der Werkstatt und an der Baustelle bezahlt.

In der hinteren Stube, der Boden ist gerade geklebt worden, die Täfelung ist noch in der Werkstatt.

Wir hatten das Glück, dass dort wo Teppichböden für modernen Wohnkomfort sorgen sollten, diese auf Sperrholzplatten geklebt wurden, welche wiederum leicht und ohne Schäden für den Unterbau entfernt werden konnten. Die verwendeten Holzarten waren Fichten und Föhre, beides Holzarten, welche am Ritten verbreitet sind.

Fichten und Föhre, immer schwierig zu unterscheiden.

Die Böden wurden auf den die Heizschlangen führenden Ausgleichsboden geklebt. Die Weitergabe der Wärme an die Umgebung braucht gegenüber einen Steinboden zwar etwas länger, die heutigen automatisierten Regelsysteme können damit aber gut umgehen.

Das Balkonzimmer, hier müssen nur mehr der Maler und der Elektriker ihre Arbeit beenden.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Wikipedia-Autoren. (2023, November 17). Keramikfliese. Wikipedia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Keramikfliese&oldid=239204959
Wikipedia-Autoren. (2023, September 4). Otto Kauffmann junior. Wikipedia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otto_Kauffmann_junior&oldid=237017564
Südtirol.stein gmbh | SuedtirolStein. (n.d.). Retrieved December 25, 2023, from https://www.suedtirol-stein.com/
Ihr Bauunternehmen im Raum Ritten & Bozen in Südtirol - Schweigkofler Hubert. (n.d.). Retrieved December 25, 2023, from https://www.hubertschweigkofler.it/
Maximilian, A. (n.d.). Tischlerei Alber Walter. Retrieved December 25, 2023, from https://www.facebook.com/profile.php?id=100057556175063
Alle Fotos, sofern nicht anders angemerkt, sind vom Blogautor.




Die acht Bozner Seligkeiten (3)

am Beispiel der Familie Kinsele

“Ganz unerläßlich ist zum dritten
Ein Sommerfrischhaus am luftigen Ritten
Und damit verbunden das Recht zum Tragen
Des weißen Mantels mit rotem Kragen.”

Am Ortnerhof/Haus Menz im Jänner 1961: von rechts meine Tante Anna Poli-Treibenreif, meine Cousine Christl Treibenreif-Niedermayr, meine Schwester Renate, meine Großtante Antonie Sanin-v. Menz (mit Oberbozner Mantel: weißer Loden mit rotem Kragen und Revers). Von ihr wird meine Mutter die Villa Kinsele erben. Links Heinrich Unterhofer und Barbara Ganner-Unterhofer. Sammlung A. Kobler.

Jedem, der eine der Veranstaltungen der Oberbozner Schützengesellschaft besucht hat oder bei einem der dortigen Kirchtage zugegen war, dürften die Oberbozner Mäntel aufgefallen sein. Doch lassen wir den ehemaligen Oberschützenmeister Carl von Braitenberg in “Tiroler Schützenscheiben – der Oberbozner Schießstand” (1979, S. 33) zu Wort kommen:



“Bei einem dieser Ausflüge zu Pferd war es wohl […], daß ihre an kleidsamer Tracht geübten Augen an den weißen, rotverbrämten Wollmäntein Gefallen fanden, mit denen sich die Hirten auf der Alm seit jeher gegen Unwetter und Kälte zu schützen gewohnt waren. Solche radförmige Mäntel aus weißer Schafwolle, mit rotem Rande, die so kleidsam um die Schultern geschlungen werden konnten, müßten auch ihren Männern und Brüdern gut anstehen, allerdings dürften sie für schmale städtische Schultern nicht so schwer geschnitten sein wie die ganzrädigen, gewalkten Hirtenmäntel, sondern natürlich aus feinerem Wolltuch mit geringerem Umfange und die schmale rote Verbrämung der Hirtenmäntel müßte zu einem breiteren, roten Saume und Kragen gestaltet werden. So entstand die von den Almhirten übernommene Mode der weißen Radmäntel mit rotem Kragen, fand Anklang bei den Schützen und ihren Frauen und bald hatte jedes Sommerhaus seinen Bestand an solchen „Oberbozner Mänteln” die bis heute noch in Verwendung stehen und eine weitere Eigentümlichkeit dieser Sommerfrische bilden.”

Mitglieder der Schützengesellschaft bei der Prozession anlässlich des Hochunserfrauentages am 15. August. Foto aus “Die Schützenscheiben von Oberbozen”(1994).

Interessantes Detail: die Klobensteiner Sommerfrischler tragen den weißen Mantel mit schwarzem Saum und Kragen. Ob die Farbe Schwarz der prägenden Anwesenheit des Deutschen Ordens in Lengmoos geschuldet ist oder doch nur deshallb gewählt wurde, um sich von den Oberboznern zu unterscheiden, kann ich nicht sagen.

Auszug aus “Gott muss Bozner sein” (ff – Das Südtiroler Wochenmagazin, 2021).

Was das Sommerfrischhaus als Seligkeit angeht, ist es offensichtlich, dass es einerseits erlaubte, die heißesten Tage im Jahr in angenehmer und – sehr wichtig! – nicht krankmachender Umgebung “… am luftigen Ritten…” zu verbringen, andrerseits sicherlich auch als Zeugnis der erreichten sozialen Stellung diente. Insofern wird Franz Sales Kinsele als Emporkömmling sehr froh gewesen sein, dass sich am 23. Juni 1779 die Möglichkeit ergeben hat, das Sommerfrischaus aus der Konkursmasse des Andre Lanner zu ersteigern. Mit 1.225 Gulden (Ausrufepreis 1.030 Gulden) setze er sich gegen Roman Sebastian von Call durch, der mit 1.200 Gulden sein letztes Gebot abgab.

Der Preis war deshalb nicht besonders hoch angesetzt, weil das Haus, obwohl noch nicht alt (mit dem Wissensstand von 2023 schätze ich, dass es gegen 1680 erbaut wurde), sich nicht mehr im besten Zustand befunden hat (“…Ein- als auswendig einiche Klift”, “Die Bedachung ist an der unteren flig zimlich runios). Zudem wurde es als nicht besonders groß angesehen und das Fehlen eines Garten angeprangert. Das Protokoll der mit der Schätzung beauftragten “Taxatores” ist deshalb recht aufschlussreich und zeigt auch, dass die Raumeinteilung im wesentlichen bis heute unverändert geblieben ist:

“… nachdeme Sie zwey Taxatores mehrbesagte Behaußung durch alle Zimer, Gemäuer und Bedachung Beaugenscheint; So wurde daraufhin von denenselben der Befund wie folgt erkennet.
1.mo Erfinden sich in dießer Behaußung zu ebenen Fuß hinein linkerhand zwey kleine Zimer. Ein enges Sällele 1 Kuchl, 1 Kuchl Kämerle, Ein kleines Vor- und Ein Wein Kellerle. Dieses alles auf glatter Erden und derowegen forderist der Wein Keller zum Wein auf Behalt zimlich feicht. Wiedan in denen Fußböden da und dort ein Erhebung zuersechen ist.
2.do In zweiten stok sind zwey zimer, Eine Stube und ein kleines Sällele alles in guten stand. 3.tio Untern Dach drey mit Flecken eingeschlagene Kamerlen.
4.tio Die Bedachung ist an der unteren flig zimlich runios und des nächsten von darumen zu
reparieren, als in besagten Kamerlen das Wasser in Mehrer Orthen durchgeflossen.
5.to Die Mauren betrefende, an diesen sind auf der obern seite sowohl Ein- als auswendig einiche Klift zuersehen, so von einen schlechten Grund herkomen sein Müssen. Ansonsten aber in guten stand und gelegendlich gebauet.
In Ansechung nun in eröfterten Behausung nur eine Kuchl und ein Keller und diese zimlich klein mithin fir zwey Partheien nicht zu gebrauchen, zudeme aber auch eine nächste Reparation und Jährliche Bauhaltung vonnöthen auch nicht Einmahl Ein Garthen darzu gehörig, So wird dieselbe fir Lutheigen Werthzusein gerichtlichen taxiert Per aintausend fünzig Gulden, Dico
—–1050 f – k

Eleonore oder Johanna Kinsele (?) unterhalb des Malinowski-Hauses, Blick gegen Südwesten gerichtet, mit Oberbozner Mantel, um 1900. Der Fotograf könnte ihr Bruder Robert Kinsele gewesen sein. Sammlung A. Kobler

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Braitenberg, C. von, & Kofler, O. (1979). Tiroler Schützen-Scheiben, der Oberbozner Schiessstand (W. Amonn, Ed.; 2. Aufl.). Athesia.
Braitenberg, C. von, Andergassen, L., Walther, F. von, Kofler, O., & Braitenberg, C. von. (1994). Die Schützenscheiben von Oberbozen: Symbole eines ritterlichen Exercitiums (Völlig umgearbeitete und ums Doppelte erw. Neuaufl.). Edition Raetia.
Taxation Und Beschreibung Der Herren Joseph Andre Lannerischen Sommerfrisch Behaußung zu Oberpozen und darin Befindlichen Mobillien. (1778).
Anonym. (1961). Gruppenbild am Ortnerhof [Fotografie]. Sammlung A. Kobler.
Pliger, V. (2021). Gott muss Bozner sein. FF – Das Südtiroler Wochemagazin, Nr. 31, 28–47.
Anonym. (1900). Frau unterhalb Haus Malinowski im Oberbozner Mantel [Fotografie]. Sammlung A. Kobler.




Die acht Bozner Seligkeiten (2)

am Beispiel der Familie Kinsele

“Um eigene Trauben
Und eigenen Wein für den Hausgebrauch
Zu haben, muss man zweitens auch
In Gries oder in den Zwölfmalgreien
Mit einem Höfl begütert sein.”

Der Gscheibte Turm (Burgreste Troyenstein) wie immer im Mittelpunkt und links darüber der Egghof. Darstellung wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Um die Deckung des obgenannten Eigenbedarfes mussten sich die Kinseles wahrlich keine Sorgen machen, so üppig waren ihre Weingartenflächen in Bozen, Zwölfmalgreien und Gries schon in der Gründergeneration. Als Franz Xaver Kinsele, der auch immer wieder als Franz von Sales Kinsele bezeichnet wird, 1812 stirbt, hinterlässt er u.a.:



in der Gemeinde Zwölfmalgreien:
“Die Baurecht und Gerechtigkeit eines Weingutts, nebst darin stehenden kleinen Hitls von 3 alten Graben im Dorfe ober Botzen gelegen…”

in der Gemeinde Gries:
“Die Baurecht eines Weinbau nebst einen darin befindlichen kleinen HäuslDas “Riesenhäusl”, früher Fagen 300, jetzt Luigi-Cadorna-Str. 17. so mit No 941 bezeichnet ist von 11 alten Grabern groß in der Leeg am Fagen liegend,…”
“Die Baurecht eines Wiesmads, und Weinbaues im Neufeld nebst einen unter den Weg liegenden kleinen Wiesels mit Obstbäumen besetzt und darin befindlichen Muhr Grube von 9 1⁄2 Graber groß,…”

Dort als bedeutenste Immobilie den Egghof:
“Die Baurecht & Gerechtigkeit des gantzen Hofs der Egghof genant ober Troyenstein in der Fraction Gries, Gemeinde BotzenGries wurde erst 1849 eine selbständige Gemeinde, war bis dort Teil des Magistratbezirkes Bozen. liegend, so da besteht in einer wohl erbauthen Feuer und Futterbehaußung mit Stuben, Küchen, Kämern, Torgl, und Keller, dann 2 Stallungen, Heudillen, Wasch und Brandtweinküchen, wie auch einen abgesonderten kalten Keller, ferners bey 35 Graber, 150 Klafter Weinbauleuthen, /: wovon aber ein Theil durch Überschwemung vor einigen Jahren verschütet wurde:/ in verschiedenen Abtheillungen dies und jenseits des gemeinen Fahrwegs nach Guntschna, sambt 185 Klafter großes Wiesel beym Unterstein Weingütl am Fagenbach liegend, auf welchen Wiesl den Insasen von Guntschna die Streu Niederlage zu gestatten ist; endlich bey 21 Morgen Berg mit etwas Eich und Kastanien Bäumen, auch Staude besetzt, worin sich vorgemeldter kalter Keller befündet; rücksichtlich der grenzen u Grundherrschaft sehe man in dem unten datierten Kaufs Urkund nach. Dann die Baurecht einer luteigenen, und des Grundzins halber freyen Stücks Erdreichs Wiesmad auf der weiten Wiesen neben den Schafstall bey 2 1⁄2 alte, oder 4 neue Tagmad, 6 Klafter groß; in Betreff der Gräntzen, wenn schon Nachbarn derselben geblieben sind, giebt der nembliche Kaufs Brief Aufschluß; ferners ein luteigenes Pran Mooß im Neufeld diesseits der Etsch, Grieser Revier 2/5 Tagmad groß mit Vorbehalt der gräntzen,…”

Links oben wieder der Egghof, um 1900, mit Zinnen und Turm zu einem schlossartigen Gebäude umgebaut.

Schon 1858 wird er an Karl Pischl aus Gries verkauft. Der trennt sich schon 1875 wieder von der Immobilie, als Agent wirkt ausgerechnet Richard Kinsele, der Enkel des Franz Xaver Kinsele. Da muss mindestens Wehmut, wenn nicht Bitternis dabei gewesen sein. Ob der in der Annonce angeführte Trojensteinerhof mitsamt dem Gscheibten Turm schon von den Kinseles erworben wurde oder erst von Karl Pischl entzieht sich noch meiner Kenntnis.

Vor einiger Zeit habe ich mich gefragt, woher der geadelte Josef von Kinsele seinen Zusatz “zu Eckberg” hat. Auf Grund der letzten Erkenntnisse kann ich mir schon vorstellen, dass auf den Egghof Bezug genommen wurde.

Annonce im Südtiroler Volksblatt vom 2.10.1875.

Auch wenn es keine Weingärten sind, sollten bei der Gelegenheit zur Vervollständigung noch die anderen landwirtschaftlich genutzten Flächen der frühren Bozner Kinseles angeführt werden:

“Ein Stück Neufeld außer gries in der ersten Tafel nach der Mappe N. 12, 13, u 14 ,…”
“Zwei Streu Möser jeder von 2 Tagmad, welche in dem bey den Acten des ehemaligen Stadt und Landgerichtes Botzen liegende Versteigerungs Edikt von 23 März 1801 enthalten, und mit N. 2 & 3 bezeichnet sind, am Neufelde, …”

und schlussendlich in Völs:
“Dazu die Behaußung zu unter Völs die Thurn Behaußung No 184 mit Gewölben, Torgl, Dresch Stadel, Garten und was dazu gehört…”
“Endlich lauth original privat Urkunde No 10 de 3 April 1809 erwarb der Verlebte die Grundherrschaft auf den Hof und die Metzmühle zu TelzegVölsegg? in Völs…”

Der heutige Egghof, nach dem Wiedererhalt des ländlichen Charakters Ende der 1960er Jahre, von der Bozner Talfermauer aus gesehen, November 2023. Foto: A.Kobler.

Auf wieviel kann man also in Summe die Rebflächen der ersten Bozner Kinsele schätzen? Ein alter Bozner Weingarten-Graber entspricht ca. 577 m2. Zählt man alles zusammen, auch den Weingarten, welche sich beim später dazugekommen Stadthaus in der Dominicanerstraße befand, kommt man auf über 3,5 Hektar, also eine Fläche welche, einmal den Eigenbedarf gedeckt, einiges an Traubengeld abwerfen konnte.

Danke Matthias Gasser für die Verortung des Egghofes und andere nützliche Hinweise zum Thema!

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Hoeniger, K. T. (1933). Altbozner Bilderbuch – Hundert Abbildungen und vierzig Aufsätze zur Stadtgeschichte. Alois Auer & Co.
Taxation Und Beschreibung Der Herren Joseph Andre Lannerischen Sommerfrisch Behaußung zu Oberpozen und darin Befindlichen Mobillien. (1778).
Tiefenbrunner, H. (2008). Häusergeschichte der Marktgemeinde Gries bei Bozen. Athesia.
Pieschel, C. (1875, October 2). Verkauf Egghof. Südtiroler Volksbote.
Gasser, M. (2023). Schriftliche Mitteilung.
Anonym. (1910, Ca). Gries bei Bozen 1905, Gscheibter Turm. https://josefauer.com/gries-bei-bozen-1905-gescheibter-turm/
Anonym. (n.d.). Gscheibte Turm. Retrieved November 5, 2023, from https://www.comune.bolzano.it/GalleryDetail.jws?src=51338_Torre_Druso___Gscheibte_Turm.jpg




Die acht Bozner Seligkeiten (1)

am Beispiel der Familie Kinsele

Wer hat noch nie von den Bozner Seligkeiten, acht an der Zahl, gehört? Karl Theodor Hoeniger hat ihnen mit dem 1933 im “Altbozner Bilderbuch” erschienenen Gedicht ein bleibendes Denkmal geschaffen.

Die Aufzählung dieser Voraussetzungen für ein vollständig erfülltes Bozner Bürgerleben eignet sich sehr gut, um den in kürzester Zeit erfolgten wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg der Kaufherrenfamilie Kinsele darzustellen.

Als erste muss man unter den Lauben
Ein Haus besitzen
.”

Eine zentrale Rolle im Leben und Wirken eines Bozner Kaufherrens – und das war das angestrebte Ideal – spielte dabei das Laubenhaus, ein Haus in der Stadtgasse, entweder unter den “deutschen [südseitigen] oder welschen [nordseitigen] Gewölben”, wie auch die offizielle Adresse lautete. Um den urbanistischen und den damit eng verwobenen gesellschaftlichen Rahmen besser zu verstehen, in dem sie sich auch diese Familie bewegte, lasse ich gerne Hannes Obermaier, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs Bozens, zu Worte kommen:



Die Altstadt von Bozen mit ihrem malerisch wirkenden Kern rund um die Laubengasse ist ein dichtes Gebilde an sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Bedeutungen. Die eng gebauten Häuser der Marktanlage aus dem späten 12. Jahrhundert sind sowohl vom europäischen Spätmittelalter wie auch von der jüngeren Moderne geprägt – und dies zumeist auf kaum entwirr- oder unterscheidbare Weise. Dieser vielschichtige historische Ensemblecharakter ist nicht unwesentlich auf die enge Verschränkung von Raum und Zeit zurückzuführen. Außen- und Innendimensionen der Gebäude gehen hierbei eine beinahe nahtlose Verbindung ein: Das „Raumzeitkontinuum“ von Bozens Bürgerhäusern kommt besonders an einzelnen herausgehobenen Beispielen zum Vorschein, die mit ihrer fast kanonischen Abfolge von Keller, Handels- und Wohnbereich bis heute das Leben und Wirtschaften in der vormodernen Tiroler Territorialstadt verdeutlichen.

Es ist geradezu ein Kennzeichen des Bozner Bürgerhauses, dass es – vielleicht deutlicher noch als in verwandten Städten des Alpenbogens – die alteuropäische Sozialform des „ganzen Hauses“ illustriert. Bürgerliche Lebensbewältigung und Fortkommen waren auf wirkungsvolle Produktions- und Reproduktions-leistungen unter einem Dach angewiesen. In der baulich und funktional verdichteten Innenstadt waren möglichst viele Marktteilnehmer an der Einstraßenanlage der Lauben und dem diese umgebenden Gassengeviert (Streiter-, Binder-, Muster- und Silbergasse) zu platzieren. Dies generierte den regen Austausch einer face-to-face-Gesellschaft, in der sich gegenseitige Solidarität und Konkurrenzstrategien stets nur mühsam die Waage hielten. Vormoderne Reziprozität der einfachen Tauschökonomie und moderne Marktpraktiken des Handelskapitalismus gerieten nicht selten in Konflikt miteinander. Diese Grundspannung ist in das Dicht-an-Dicht des altstädtischen Häuserbestandes förmlich eingeschrieben und verleiht ihm seinen besonderen und geheimnisvollen Reiz.

Zentrale Insignie der Bürger und Bürgerinnen und ihrer Geschlechterverhältnisse waren darum Vermögen, Hausbesitz und generative Kontinuität. Daran knüpften sie ihre Rollenerwartungen und ihren Habitus und leiteten daraus soziales und kulturelles Kapital ab, ohne welches jeweilige Prestigeerwartungen nicht erfüllt werden konnten. Karl Theodor Hoenigers Gedicht „8 Bozner Seligkeiten“ aus dem frühen 20. Jahrhundert bringt solchen besitzstandswahrenden, tendenziell sozialkonservativen, aber auch von gezähmtem Liberalismus durchwirkten Bürgergeist sinnfällig zum Ausdruck.

aus: Hannes Obermaier: Die bürgerliche Kunstsammlung Kreuzer-Eccel, Bozen (KEB) – die Geschichte eines Hauses (2018).

Die mir vorliegenden Nachlässe der Familie Kinsele sind natürlich eine vorzügliche Quelle, um zumindest jene Seligkeiten, welche eigentumsbezogen sind, zuzuordnen.

Das Laubenhaus:

“Die Baurecht der sogenannten vormals Kreutzerischen Behaußung, am Elephant genannt, unter den welschen Gewölben zu Botzen, so mit No 12 bezeichnet…” (Nachlass Franz Xaver Kinsele 1812) sowie “und neuen Nr. 197, bezeichnet, gränzt 1. An das Welponische Haus, 2. An die Laubengasse, 3. An das Ofersche Haus, 4. An die Karnergasse,..” (Nachlass Alois Kinsele 1849)

“Am Elephanten” Laubengasse 56. Foto: Armin Kobler
“Am Elephanten” Dr.-Streiter-Gasse 45. Foto: Armin Kobler

Leider konnte ich an der Außenseite des Hauses keine Hinweise auf die Kinsele-Eigentümerschaft, welche bis 1856 dauerte, vorfinden. Das Wappen auf der Rückseite könnte auf die vorigen Hausbesitzer (Kreuzer?) hinweisen. Interessant, wie das Haus gegen die Dr.-Streiter-Gasse hin immer schmäler wird. Momentan beherbergt das Gebäude ein Schuhgeschäft der Kette “Snipes”.

Auch noch die folgende Generation hat den städtischen Immobilienbestand vergrößert:

“Die Baurecht und Gerechtigkeit der im Steuercataster der Stadt Bozen sub Nr. 242 litt a. und b. vorkommenden mit Nr. 453 bezeichneten Behausung in der Dominicanergasse von 3 Stöcken, Keller, Wasch und Brandweinküche und Gewölben nebst dabei liegenden Garten, größtentheil Weingut von 4 alten Grabern, in welchem sich außer einer Orangerie ein Gartenhaus, Ansetz und Presse, Stadl und Stallung und Brunnen befindet.” (Nachlass Alois Kinsele 1849)

Goethestraße 26. Foto: Armin Kobler

Von diesem Komplex ist nur mehr der vordere, der früheren Dominicanergasse, heute Goethestraße, zugewandte Teil erhalten geblieben. Es war in der Zeit der Aufzeichnung ein stattlicher Besitz, welcher über die herrschaftliche Behausung hinaus über eine vollständige landwirtschaftliche Infrastruktur und ca. ein Viertel Hektar Rebfläche verfügte. Dazu ist wichtig festzustellen, dass die Domicanergasse die Westgrenze der verbauten Stadt darstellte. Von dort aus waren bis zur Talfer die Flächen größtenteils mit Rebstöcken bepflanzt; heute nur mehr schwer vorstellbar. Einzig die Häuser der heute nach dem Museum benannte Straße erstreckten sich schon damals etwas weiter gegen Westen.

Ungefähre Position der beiden Besitzungen, rot eingezeichnet auf der bekannten Stadtansicht von Matthäus Merian 1649.
(Darauf Klicken vergrößert)

Herr Helmut Rizzolli hat mir freundlicherweise die Gebäudlichkeiten im heutigen Stadtgefüge verortet, ihm sei dafür gedankt.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Hoeniger, K. T. (1933). Altbozner Bilderbuch – Hundert Abbildungen und vierzig Aufsätze zur Stadtgeschichte. Alois Auer & Co.
Taxation Und Beschreibung Der Herren Joseph Andre Lannerischen Sommerfrisch Behaußung zu Oberpozen und darin Befindlichen Mobillien. (1778).
Transkription: Johann Bergmeister. (1902). Einantwortungsurkunde (Verlassenschft Richard Kinsele).
Obermair, H. (2020). Die bürgerliche Kunstsammlung Kreuzer-Eccel, Bozen (KEB) - die Geschichte eines Hauses. Funktionsgeschichtliche Prolegomena für das Museum Silbergasse 10-12 / Lauben 45. http://rgdoi.net/10.13140/RG.2.2.13570.02242
Rizzolli, H. (2023). Schriftliche Mitteilung.
Merian, M. (n.d.). Druck, Ansicht von Bozen, Matthias Merian, Kupferstich, 1649. Retrieved November 5, 2023, from https://opencity.gemeinde.bozen.it/Aktuelles/Im-Fokus/Graphik




Umstellungen

Wie alle historischen Sommerfrischhäuser verfügte auch die Villa Kinsele die längste Zeit über keine Möglichkeit der Beheizung. Die Fenster waren nur einfach verglast, die später weit verbreiteten, in der kalten Jahreszeit eingehängten Winterfenster gab es ebenfalls nicht. Die ausschließlich sommerliche Nutzung machte dies alles nicht notwendig.

Ab 1895 zeichnete sich ab, dass die geplante, inzwischen für den Ganzjahresbetrieb ausgelegte Zahnradbahn auf den Ritten über Oberbozen führen wird. Die Erreichbarkeit der Sommerfrischsiedlung würde also wesentlich verbessert werden. Die Möglichkeit, die Häuser auch außerhalb des Sommers zu bewohnen, würde also deutlich erleichtert werden.

Franz Kinsele nahm die Gelegenheit wahr, weswegen einige Adaptierungen in der Villa Kinsele anstanden. So ließ ziemlich sicher er in den beiden ebenerdigen Aufenthaltsräumen Holztäfelungen – die südliche ist 1898 datiert – einbauen. In der nördlichen der beiden wurde ein Kachelofen aufgestellt, der einen eigenen, außen an der Hauswand entlanggefürten Kamin bekam. Ein weiterer Ofen wurde im Schlafzimmer im ersten Stock aufgestellt, sein Rauch kam über den schon vorher vorhandenen Küchenkamin ins Freie.

Detail an der Stubenuhr im vorderen Raum.



Leider konnte Franz Kinsele, der inzwischen pensionierte Sparkassenkassier, für nur allzu kurze Zeit die Anpassungen am Haus und – noch weniger – die gute Verbindung mit Bozen genießen. Die Inbetriebnahme der Zahnradbahn erfolgte nämlich im Sommer 1907, er verstarb aber überraschenderweise in Oberbozen am 9. Jänner 1908, im 76. Lebensjahre an Altersschwäche, wie angebeben wurde.

Auszug aus dem Nachruf, erschienen in den “Bozner Nachrichten” vom 11.2.1908.

Mit dem Einbau der Kleinwohnung im Musikzimmer in den 50er Jahren kam dort ein Elektroofen und ein Holzherd dazu, welcher ebenfalls den obgenannten Außenkamin nutzte. In der oberen Stube wurde mit Kerosin geheizt. Wie die anderen Räume dieser Wohnung, falls überhaupt, beheizt wurden, entzieht sich meinem Wissen. In der Hauptwohnung, welche spätestens nach dem Verkauf an meine Großtante 1943 nur im Sommer genutzt wurde, ändert sich über Jahrzehnte nichts.

Gut sichtbar der um 1900 nachträglich angebrachte Außenkamin.

Komplett winterfest im heutigen Sinne wurde das Haus durch die Umbauarbeiten, welche meine Eltern im Winter 70 und Frühjahr 71 durchführen ließen. In beiden Wohnungen wurden sogenannte Wagner-Fenster eingesetzt und eine ölbefeuerte Zentralheizung installiert, welche alle anderen Heizungsgerätschaften ersetzte. Dazu wurden unter fast allen Fenstern in aufwendig herausgebrochenen Nischen Heizkörper montiert. Der erste, größere Öltank fand unter der Erde an der Westseite seinen Platz, der den später verschärften Normen entsprechende neue gleich darüber in der Wiese. Der Kachelofen in der hinteren Stube des Erdgeschosses wurde abgerissen um einer Verbindungstüre Platz zu machen, dafür wurde in der vorderen ein neuer aufgebaut. In der Küche wurde dem Gasherd ein mit Holz befeuerter beigestellt.

Die Anlage, errichtet noch vor der ersten Ölkrise, entsprach nach 50 Jahren bei Weitem nicht mehr den aktuellen Energiesparstandards, weswegen der erste Schritt der Anschluss an das Rittner Fernheizwerk im Jahr 2020 war. Die Verluste durch nicht isoliert verlegte Metallrohre in den Wänden und Fenstern, welche zwar noch sehr gut erhalten, aber trotzdem vom thermischen Standpunkt her überholt waren, verhinderten jedoch jede finanzielle Einsparung, insbesondere im Winterbetrieb. Deshalb ist ein zentraler Teil der momentanen Umbauarbeiten die komplette Umstellung der Heizung auf Fernwärme mit Fußbodenheizung, sowie das Ersetzen der Fenster.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Demar, K., Denoth, G., Petrovitsch, H., & Schindl, W. (2007). Rittnerbahn: Eisenbahn am Berg - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Athesia.
V. Aufschnaiter, B. (2023). Mündliche Mitteilung.
Anonym. (1908, January 11). Todesfall. Bozner Nachrichten, 8–9.




Waren die Bozner Kinsele adelig?

Oft wird von Außenstehenden automatisch angenommen, dass die Kinsele zumindest “von” gewesen seien, weil sie in der Anfangszeit über sehr viel Reichtum und demzufolge auch Einfluss verfügt haben. Dem war aber nicht so, denn der erstaunenswert erfolgreiche Franz Sales Kinsele startete als Sohn eines aus dem Vintschgau zugereisten Bäckermeisters und musste zu Beginn seiner Laufbahn erst einmal das Bozner Bürgerrecht erwerben. Zudem war wirtschaftlich erfolgreich sein allein im Normalfall nicht genug Merite um in den Adelsstand erhoben zu werden.

Eine Ausnahme, leider mit skurril-tragischen Ausgang hat es leider auch gegeben: Josef Kinsele, Sohn des Franz von Sales Kinsele, mit Theresia von Walther-Herbstenburg vermählt, wurde kraft seiner Verdienste im öffentlichen Dienst 1839 durch Kaiser Ferdinand in den Adelsstand erhoben und kurz danach “entriss ihn ein Schlagfluß in der vollen Kraft des Mannesalters” für alle überraschend. So erlosch die adelige Linie der Kinsele in kürzester Zeit. Im “Österreichisches Biographisches Lexikon” steht über ihn:



Kinsele zu Eckberg, Josef (1785-1839), Kaufmann und Kommunalpolitiker

Kinsele zu Eckberg Josef, Kaufmann und Kommunalvertreter. * Oberbozen am Ritten (Südtirol), 27. 7. 1785; † Bozen (Südtirol), 2. 12. 1839. Trat nach gründlichen Stud. und Reisen in die väterliche Fa. ein. 1812 wandte er sich dem öff. Dienst zu und war unter der italien. Regierung „Savio“ der Bozner Munizipalität. 1815 ging er als Mitgl. einer Deputation zur Regelung des Zollsystems nach Mailand. 1816 begab er sich zu Verhandlungen über das Zollwesen nach Innsbruck. Bei der Rückkehr Tirols zu Österr. besorgte er die Truppenverpflegung, die Beschaffung der Vorspanne und die Ordnung des Marschkonkurrenzwesens. Als Magistrat übernahm er die Liquidation der Schuldenlast der Stadt Bozen, die ca. eine Million betrug, und leitete die Durchführung des Schuldentilgungsplans, den er bis 1822 zustandebrachte. Er bekleidete verschiedene hohe Dienststellen des Merkantil-Magistrates und war 1819–39 ständ. Vertreter der Stadt Bozen beim tirol. ständ. Ausschußkongreß. K., zu den ausgezeichnetesten Vertretern des Landes zählend, wurde 1839 nob.

Als Wappen hat er das schon existierende Familienwappen der Kinsele mit jenem der Stadt Bozen vereinigt. Woher sich der Zusatz “zu Eckberg” ableitet ist mir noch unbekannt. Eine Reminiszenz an die alte Vintschger Heimat der Vorfahren? Der Name einer seiner Immobilien?

Im Boten für Tirol ist 1840 ein ausführlicher Nachruf erschienen (beim Klicken auf das Bild öffnet sich die Abbildung vergrößert):

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Granichstaedten-Czerva, R. von. (1941). Bozener Kaufherren – (1550 - 1850) – Ihre Geschichte und ihre Familien. C. A. Starke.
Anonym. (n.d.). Kinsele zu Eckberg, Josef (1785-1839), Kaufmann und Kommunalpolitiker. Retrieved November 5, 2023, from https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_K/Kinsele-Eckberg_Josef_1785_1839.xml;internal&action=hilite.action&Parameter=kinsele
Anonym. (1840, March 12). Nekrolog Josef von Kinsele. Der Bote Für Tirol.
Anonym. (n.d.). Wappen Josef von Kinsele. Retrieved July 26, 2023, from https://www.archivinformationssystem.at/detail.aspx?ID=4583509




Der Herr der Türen

und eigentlich von allen historischen Holzteilen

Foto: A. Kobler

Walter Alber aus Unterinn am Ritten einen echten Experten zu nennen greift zu kurz. Diesen Tischler mit dem Schwerpunkt Restaurierung kann man wirklich mit dem neudeutschen Ausdruck Nerd bezeichnen. Er ist nicht nur ein ausgezeichneter Handwerker sondern verfügt auch über ein wahnsinniges Detailwissen. Und wie er bestimmte Teile und Techniken den verschiedenen Epochen zuordnen kann, erstaunt den Architekten und mich immer wieder.



Mit dem Auffinden immer mehr restaurierungswürdiger Gegenstände und dem dauernden Anpassen des Umbaus an die vorgefundenen Stile und Epochen hat sich sein Betätigungsfeld in der Villa Kinsele dauernd erweitert, wir werden mit ihm und seinem Sohn Maximilian noch für längere Zeit zu tun haben. Anfänglich war nur vorgesehen, dass er die im Dachboden seit über fünfzig Jahren deponierte Holzverkleidung des ehemaligen Elternschlafzimmers herrichtet sowie die Täfelungen der beiden Stuben im Erdgeschoss ein- und wieder ausbaut. In der Zwischenzeit hat er alte Holzfußböden ergänzt. In nächster Zeit sind die alten Jalousien an der Reihe, während die historischen Türen eine erste Reinigung erfahren haben. Auch die beiden Gangfenster im Obergeschoss, welche historische Teil beinhalten, werden von ihm gefertigt, so wie auch die Fenster der Dachgauben. Und das wird sicherlich nicht die letzte Arbeit sein.

Foto: A. Kobler

Die alten Türen sind inzwischen, wie gesagt, aufbereitet worden. Bis auf eine werden wir alle wierderverwenden können. Von den meisten wissen wir, welche Räume sie ursprünglich verschlossen haben, anderen mussten wir erst im Hinblick auf Größe und Öffnungsrichtung den Räumen zuordnen. Ein paar werden im rohen zustand bleiben, andere wiederum – die Mehrzahl – werden einen farbigen Anstrich bekommen. Der Kontrast alt/neu, in ein paar Räumen deutlich herausgearbeitet, wird spannend werden.

Foto: A. Kobler



Dach über dem Kopf

Etwas länger als geplant hat es gedauert, aber jetzt ist es fast fertig, das neue alte Schindeldach. Warum ein neues notwendig wurde und wie das Haus zuletzt eingedeckt war, habe ich schon in einem vorigen Beitrag dargelegt. Die Verfügbarkeit der Dachdecker, die Osterfeiertage und schlussendlich die Mondphasen haben die Fertigstellung verzögert, aber schlussendlich ist das Ergebnis wichtig. Und das kann sich sehen lassen, dasTeam um Urban Pechlaner hat ganze Arbeit geleistet.

Was ist noch zu tun ? Der Spengler des gleichen Betriebes muss noch die Dachrinnen montieren und weitere Blecharbeiten durchführen, auch fehlen noch die Gaubenfenster. An den Anblick der Rundhölzer zum Zwecke des Schneefangs muss ich mich noch gewöhnen. Aber das ist eben ein Zugeständnis an die Möglichkeit der ganzjährigen Bewohnbarkeit auch durch fremde Menschen, verhindern sie doch unangenehme bis gefährliche Dachlawinen.

Sehr gelungen ist m.E. die Sichtbarkeit der Schindeln von unten. Trotz eines zeitgemäßeren Dachaufbaus unter der Eindeckung ist alles elegant und fein und gar nicht, wie leider in vielen anderen Fällen, massiv, ja klobig, geworden. Sogar der vom original gebliebenen Dachstuhl bewirkte Knick der Struktur etwas oberhalb der Traufe, der dem Dach ein eigenes Profil gibt, kommt jetzt, wo es von der vorigen Verschalung und den Bitumenschindeln befreit wurde, besser heraus.




Eine Fülle von Funden (3)

Deckenmalereien überall

Foto: A. Kobler

So beginnt Josef Weingartner die Beschreibung der Oberbozner Sommerfrischsiedlung in seinem Standardwerk “Kunstdenkmäler Südtirols” von 1929. Und tatsächlich haben beide Stuben eine typische Deckenbemalung vorzuweisen. Auch hier waren sie von einer unteren Verschalung samt Schilfbespannung und weiß bemalten Putz verdeckt. Nachdem es komplett rauchfreie Räume waren – vergessen wir nie, dass diese Häuser nur im Sommer genutzt wurden und deshalb über keine Öfen verfügten – ist die Bemalung dort wo sie noch existiert sehr gut erhalten geblieben. In der hinteren Stube fehlt leider eine ganze Hälfte, da die Decke dort zum Zweck eine Badeinbaus im oberen Stockwerk mit einem Fehlboden ersetzt wurde. Und auch in der vorderen Stube ist ein Verlust zu beklagen: um die Decke möglichst regelmäßig verputzen zu können wurden die bemalten Balken an einigen Stellen ohne Rücksicht abgehobelt.

Foto: A. Kobler

Die dargestellten Personen sind in der hinteren Stube der Hl. Antonius von Padua, der oder die sicherlich vorhandene zweite Heilige ist leider verschwunden; in der vorderen der Hl. Ignatius von Loyola und ein weiterer, dessen Namen noch nicht endgültig geklärt ist. In Erwartung weiteren Erkenntnisse darüber wird es in nächster Zeit einen eigenen Beitrag geben. In den Bereichen zwischen den Medaillons sind abwechselnd Blüten- und Früchtekompositionen gemalt. Die Strahlkraft der Farben nach der ganzen vergangenen Zeit ist schon bemerkenswert. Peter von Grabmayr, der Miteigentümer des gleichnamigen Hauses und der St.-Magdalena-Kirche ist, sich eingehend mit der Geschichte der Oberbozner Sommerfrischsiedlung beschäftigt und mit dem ich diesbezüglich in regem Ausstausch stehe, meint dazu: “Die Ranken sind in Farbe und Form der zweiten Periode zuzuordnen, wie sie in den beiden Zallinger-Häusern (jetzt Amonn und Braitenberg) zu finden sind, ebenso Ganahl und Mackowitz.”

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Weingartner, J. (1929). Die Kunstdenkmäler des Etschlandes Band III. Teil 1. u. 3 - 1.Teil: Ritten, Sarntal, Tschöggelberg und 3.Teil: Uberetsch, Unterland und Regglberg. Benno Filser.
Grabmayr, P. von. (2023). Schriftliche Mitteilung.




Mit welchem Ort verbindet man den Begriff “Rittner Sommerfrische”?

Richtig! Mit Oberbozen, und zwar spezifisch mit der Häusersiedlung, welche im heutigen Sprachgebrauch auf Maria Himmelfahrt reduziert wird. Dabei ist die Sommerfrische in Lengmoos/Klobenstein am nordöstlichen Teil des Rittner Plateus deutlich älter. Schon im 16. Jahrhundert entflohen die wohlhabenden Bozner Bürger der sommerlichen Hitze und dem geschäftigen Treiben der Stadt, suchten zeitweilig die Ruhe und Entrückheit eines Bergaufenthaltes, noch dazu bei atemberaubendem Panorama. Auch die Tatsache, dass es zu der Zeit immer noch wiederholte Pestausbrüche gegeben hat, wird die Entscheidung, die Familie für mindestens zwei Monate in die relativ sichere Sommerfrische zu schicken, begünstigt haben.



Foto: A. Kobler

Leider ist von dieser Sommerfrischsiedlung wenig bekannt, zumindest in breiten Bevölkerungskreisen. Mir sind schon vor längerer Zeit die typischen Anwesen aus der damaligen Zeit aufgefallen, auch wenn sie im Gegensatz zu den Oberbozner Pendants inzwischen von später entstandenen Gebäuden mit anderer Zweckbestimmung eingekreist wurden. Ihr einfacher, vielfach quadratischer, der späten Renaissance geschuldeter Grundriss und das Walmdach unterscheidet sie von den länglichen barocken Oberbozner Sommerfrischhäusern mit den charakteristischen Schopfwalmdächern. Irgendwo hatte ich auch gelesen, dass bei den Klobensteiner Sommerfrischlern der Umhang einen schwarzen (wegen dem Deutschen Orden?) und nicht einen roten Kragen hat. Das war es aber auch schon.

Bücher darüber gibt es meines Wissens nicht, einzig die Publikationen von Georg Baron Eyrl (in der Zeitschrift “Der Schlern”, Auszug davon links abgebildet) und Josef Weingartner (im Buch “Die Kunst-denkmäler des Etsch-landes”) behandeln das Thema. Deshalb ist es für mich sehr wichtig, den emeritierten Prof. Christoph Pan letztlich kennengelernt zu haben. Seit 1975 besitzt der Soziologe das Sommer-frischaus Liebegg. Zusammen mit seiner Ehefrau Christine hat er das Haus mit Sach-verständnis renoviert, winterfest gemacht und mit sehr viel Feingefühl die Einrichtung vervollständigt.

Christoph Pan kennt sehr gut die obgenannte Quellen und bewegt sich auch sonst souverän im geschichtlichen Umfeld. Zudem ordnet er die örtlichen Entwicklungen in einem weiteren soziokulturellem Kontext ein. Ich hoffe sehr, dass sein Wissen zur Sommerfrische am Ritten auch der örtlichen Bevölkerung zugänglich gemacht wird.

Foto: A. Kobler

Den Kontakt mit der Familie Pan habe ich übrigens Brigitte von Aufschnaiter zu verdanken. Ihre Familie war die letzte vor dem Eigentumsübergang 1969 auf meine Mutter, welche zum Zwecke der Sommerfrische in der Villa Kinsele eingemietet war. Christoph Pan war dort mehrmals zu Gast.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Eyrl, G. B. von. (1924). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 5, 52–57.
Eyrl, G. B. von. (1924). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 5, 87–92.
Eyrl, G. B. von. (1924). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 5, 155–157.
Eyrl, G. B. von. (1924). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 5, 184–188.
Eyrl, G. B. von. (1924). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 5, 285–287.
Eyrl, G. B. von. (1925). Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 6, 86–88.
Putzer, I. von. (1925). Bemerkungen zu: Beiträge zu einer geschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Sommerfrisch-Ansiedelungen auf dem Ritten. Der Schlern – Zeitschrift Des Vereines Für Heimatschutz, 6, 67–68.
Weingartner, J. (1929). Die Kunstdenkmäler des Etschlandes Band III. Teil 1. u. 3 - 1.Teil: Ritten, Sarntal, Tschöggelberg und 3.Teil: Uberetsch, Unterland und Regglberg. Benno Filser.
Pan, C. (2022). Spaziergang durch Alt-Klobenstein  12. Aug. 2022, 15.00 – 18.00.
Anonym. (1900). Alte Ansicht von Klobenstein.
V. Aufschnaiter, B. (2023). Mündliche Mitteilung.




Patrozinium Maria Schnee am 5. August

Der Tradition entsprechend wurde auch heuer am 5. August das Patrozinium “Unsere Liebe Frau vom Schnee” auch bei uns in Oberbozen gefeiert. Die Teilnahme steht natürlich jedem Interessierten offen und wird zudem publik gemacht, weswegen sich auch heuer zwei Dutzend Gläubige einfanden. Was es mit dieser Art der Marienverehrung und dem Schneewunder auf sich hat, erklärt Wikipedia recht gut.



P. Theobald Obkicher (OT) zelebrierte die Messe am Abend, die Pfarrgemeinderätinnen Bettina Holzner und Renate Rottensteiner organisierten u.a. den folgenden gut angenommenen Umtrunk, der witterungsbedingt in unsere Sommerstube verlegt wurde. Musikalisch wurde die Messe von Hermine Treibenreif und Manuela Zelger meisterlich gestaltet. Ein Danke an alle für ihre Bemühungen!

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Wikipedia-Autoren. (2023, July 15). Unsere Liebe Frau vom Schnee. Wikipedia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Unsere_Liebe_Frau_vom_Schnee&oldid=235493268