Abb. 1: Der braune, leere Lederkoffer mit den zahlreichen Aufklebern, welche auf mehrere Schiffsreisen nach Südostasien hinweisen.
Jahrzehnte verstaubte er (Abb. 1) auf dem Dachboden ohne groß beachtet zu werden; ein Beweis der Reisefreudigkeit der letzten Kinsele, nicht mehr, nahm ich an. Und lag falsch, sehr falsch. Denn mit dem Koffer ist eine große, aber traurige Geschichte verbunden. Schauen wir uns deshalb zunächst diesen Filmbericht an:
Abb. 2: “Schicksale jüdischer Familien“, eine wichtige und gut gemachte Dokumentation, welche der RAI Sender Südtirol ausgestrahlt hat. Wider dem Vergessen!
Kurz nach der Sendung habe ich Frau Adriana Viktoria Zanellato-Kraus telefonisch kontaktiert, 2024 dann auch besucht. Denn wenn sie schon in der Villa Pattis, in unmittelbarer Nähe zur Villa Kinsele aufgewachsen ist, dann könnte sie ja diesbezüglich auch über Informationen oder gar Bilder verfügen, welche mir noch unbekannt sind. Dabei war auch Frau Daniela Salvucci, eine Forscherin der Freien Universität Bozen, welche zu Bronisław Malinowski in Südtirol forscht. Und tatsächlich gibt es eine Verbindung zur Villa Kinsele: Die Pension Villa Pattis (Abb. 3), geführt von Luise und Hans Pattis, war als Herberge sehr beliebt – das noch existierende Gästebuch spricht Bände – aber sie war recht klein.
Abb. 3: “OBERBOZEN am RITTEN bei BOZEN 8838 SOPRABOLZANO m. 1222, SUL RENON presso Bolzano VILLA PATTIS” (Ansichtskarte, Nachkriegszeit, Sammlung Kobler).
Um die Nachfrage nach Zimmern zu decken, wurde die gleich daneben liegende Villa Kinsele in den Jahren nach dem Krieg, aber vielleicht auch schon vorher, in der Zeit also, wo sie nicht mehr von den Kinseles bewohnt wurde (Beitrag 1, Beitrag 2), als Dependence verwendet. Das war mir neu. Frau Zanellato-Kraus, welche, übrigens sehr freundlich und auskunftsfreudig war, hat als Kind und Jugendliche des Öfteren u.a. die Aufgabe gehabt, ankommende Gäste zur Villa Kinsele zu begleiten. Nachdem sie von der Familie Pattis aufgenommen wurde, wird auch ein Teil ihrer Habseligkeiten aus Platzgründen im Dachboden der Villa Kinsele gelagert worden sein. Das erklärt den Verbleib des vergessenen braunen Koffers. Der Aufgabeaufkleber (Abb. 4) mit dem Namen ihres Vaters (Abb. 6) ist eindeutig. Wie mir Frau Zanellato-Kraus auch erzählte, war Dante Zanellato, bevor er als Soldat eingezogen wurde, Vertreter für italienische Autos der Marke FIAT in Südostasien. Dazu gibt es auch zahlreiche Fotos des damals noch kinderlosen Ehepaars.
Abb.4: Vor der Aufgabe des Koffers zu Beginn der Schiffsreise wurde er mit diesem beschrifteten Aufkleber versehen.Abb. 5: Die “Fulda” des Norddeutschen Lloyd Bremen, mit dem Dante Zanellato und der braune Koffer gereist sind. Sie war ein Kombischiff, also Passagiere und Fracht, für den Dienst nach Ostasien.
Ich kann mich erinnern, dass Frau Luise Pattis (Abb. 8), inzwischen Witwe, zu Beginn der 70er Jahre manchmahl im Sommer zu Besuch bei meinen Eltern war. Ich habe als damaliges Kind mitbekommen, dass da irgendeine Beziehung bestanden haben muss, dass sie über unser Haus mehr wusste. Was sie aber meinen Eltern erzählt hat, habe ich nicht erfahren. Und jetzt ist es leider zu spät; bis 2020, dem Jahr seines Todes, hätte mein Vater mir noch was zum Thema weitergeben können. Der Koffer wurde natürlich von mir zurückgegeben, nach 80 Jahren am Dachboden der Villa Kinsele.
Abb. 6: Grete Kornblum und Dante Zanellato mit der kleinen Adriana Viktoria vor ihrem Haus in Oberbozen (Sammlung Zanellato-Kraus).Abb. 7: Adriana Viktoria Zanellato, ihre Tante Ilse Kornblum und ihre Cousine Ruth vor der Lunwiese in Maria Schnee. Die beiden letzteren überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht, sie wurden im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht (Sammlung Zanellato-Kraus).Abb. 8: Luise Pattis (Sammlung Zanellato-Kraus).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Foto Fränzl. (50er Jahre). OBERBOZEN am RITTEN bei BOZEN 8838 SOPRABOLZANO m. 1222, SUL RENON presso Bolzano VILLA PATTIS [Ansichtskarte]. Sammlung A. Kobler.
Anonym. (30er Jahre). Grete Kornblum und Dante Zanellato mit der kleinen Viktoria vor ihrem Haus in Oberbozen. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.
Anonym. (Zweiter Weltkrieg). Viktoria Zanellato Kraus, ihre Tante Ilse Kornblum und ihre Cousine Ruth vor der Lunwiese in Maria Schnee. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.
Category: Ansichtskarten der Woche,Siedlungsgeschichte
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Maria Schnee und der Latemar
Abb. 1: “Maria Schnee – Oberbozen gegen den Latemar (2864 m). Dolomiten. Tirol” (Kolorierte Ansichtskarte, Anfang 20. Jahrhundert).
Vor einer Woche habe ich Bilder vom Migler (Obermigler) gezeigt. Von dort aus, Richtung Südosten, wurde das Foto als Grundlage für diese kolorierte Ansichtskarte gemacht (Abb. 1). An Hand der ersichtlichen Bauwerke schätze ich, dass es in den ersten Jahren der Rittnerbahn entstanden ist. Man sieht nämlich von links nach rechts das Hotel Oberbozen/Holzner, ziemlich verdeckt die Villa Messmer (später vergrößert zu Villa Maria, Bergfink, Gloriette), die Bäckerei, den Rittnerhof, den Gebäudekomplex Baumgartner-Prock (noch unvollendet), das Haus Kofler (später Plankl). Hinter beiden letzteren kann man das helle Dach des Hotel Hofer (vormals Unterhofer, später Post) gerade noch erahnen. Das Maria-Schnee-Ensemble Kirche-Oberhofer-Wegerhaus-Kinselehaus ist hingen vollständig hinter den hohen Bäumen des Parks versteckt. Weiter rechts erkennt man an der Dachform wie immer sehr leicht die Villa Pattis (jetzt Pan) und darunter das Wohngebäude des Doppelbauern (später Hotel Viktoria).
Die Ansichtskarte der Abbildung 2 aus der gleichen Zeit habe ich dazugenommen, weil der Ausschnitt weiter ist. Deshalb kann man rechts von der Villa Pattis die Villa Pobitzer, jetzt Malinowski erkennen und am rechten Bildrand dann die beiden von Edmund v. Zallinger erbauten Gebäude in ihrem charakteristischen an Nord-Ost-Europa erinnerden Bauweise, jetzt im Eigentium der Familien Eccel bzw. Endrizzi. Die Bezeichnung “Südtirol” wurde schon vor der Teilung Tirols zu Werbezwecken verwendet und meinte damit auch das heutige Trentino.
Abb 2: “Maria Schnee – Oberbozen geg. den Latemar (2864 m). Dolomiten (Südtirol).” (Kolorierte Ansichtskarte, Anfang 20. Jahrhundert).
Wenige Jahre darauf ist das Bild ein klein wenig anders (Abb. 3): Ganz links ist nämlich das Dach des neu errichteten Hoferbauer-Stadels zu sehen. Wie schon berichtet, ist dieser Hof, der aus dem Zusammenschluss von Unter- und Oberhofer entstand, in den Zwanzigerjahre aus dem Zentrum von Maria Schnee ausgesiedelt. Zwischen ihm und dem schon bestehenden Bäckereigebäude ist die am Schlauchturm erkennbare Feuerwehrhalle entstanden.
In den 60er-Jahren hat sich, wie in Abbildung 4 ersichtlich ist, das Bild in Details geändert: Die Feuerwehrhalle hat ein Obergeschoss erhalten; es dient der örtlichen Musikkapelle als Probelokal. Der Hoferbauer-Stadel ist nach dem Brand mit einer leicht veränderter Dachform wieder aufgebaut worden. Rechts kann man den Eislaufplatz in seiner ersten Form erkennen.
Abb. 4: “Soprabolzano m. 1225 su Renon verso il Latemar – Dolomiti Oberbozen am Ritten gegen Latemar – Dolomiten” (Ansichtskarte, 60er-Jahre).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
J.F. Amonn. (60er-Jahre). Soprabolzano m. 1225 su Renon verso il Latemar - Dolomiti Oberbozen am Ritten gegen Latemar - Dolomiten [Ansichtskarte]. Sammlung A. Kobler.