Abb. 1: Der braune, leere Lederkoffer mit den zahlreichen Aufklebern, welche eine mehrere Schiffsreisen nach Südostasien belegen.
Jahrzehnte verstaubte er (Abb. 1) auf dem Dachboden ohne groß beachtet zu werden; ein Beweis der Reisefreudigkeit der letzten Kinsele, nicht mehr, nahm ich an. Und lag falsch, sehr falsch. Denn mit dem Koffer ist eine große, aber traurige Geschichte verbunden. Schauen wir uns deshalb zunächst diesen Filmbericht an:
Abb. 2: “Schicksale jüdischer Familien”, eine wichtige und gut gemachte und Dokumentation, welche der RAI Sender Südtirol ausgestrahlt hat. Wider dem Vergessen!
Kurz nach der Sendung habe ich Frau Adriana Viktoria Zanellato-Kraus telefonisch kontaktiert, 2024 dann auch besucht. Denn wenn sie schon in der Villa Pattis, in unmittelbarer Nähe zur Villa Kinsele aufgewachsen ist, dann könnte sie ja diesbezüglich auch über Informationen oder gar Bilder verfügen, welche mir noch unbekannt sind. Dabei war auch Frau Daniela Salvucci, einer Forscherin der Freien Universität Bozen, welche zu Bronisław Malinowski in Südtirol forscht. Und tatsächlich gibt es eine Verbindung zur Villa Kinsele: Die Pension Villa Pattis (Abb. 3), geführt von Luise und Hans Pattis, war als Herberge sehr beliebt – das noch existierende Gästebuch spricht Bände – aber recht klein.
Abb. 3: “OBERBOZEN am RITTEN bei BOZEN 8838 SOPRABOLZANO m. 1222, SUL RENON presso Bolzano VILLA PATTIS” (Ansichtskarte, Nachkriegszeit, Sammlung Kobler).
Um die Nachfrage nach Zimmern zu decken, wurde die Villa Kinsele in den Jahren nach dem Krieg, aber vielleicht auch schon vorher, als Dependence verwendet. Das war mir neu. Frau Zanellato-Kraus, welche, übrigens sehr freundlich und auskunftsfreudig war, hat als Kind und Jugendliche des Öfteren u.a. die Aufgabe gehabt, ankommende Gäste zur Villa Kinsele zu begleiten. Nachdem sie von der Familie Pattis aufgenommen wurde, wird auch ein Teil ihrer Habseligkeiten aus Platzgründen im Dachboden der Villa Kinsele gelagert worden sein. Das erklärt den Verbleib des vergessenen braunen Koffers. Der Aufgabeaufkleber (Abb. 4) mit dem Namen ihres Vaters (Abb. 5) ist eindeutig. Wie mir Frau Zanellato-Kraus auch erzählte, war ihr Vater, bevor er als Soldat eingezogen wurde, Vertreter für italienische Autos in Südostasien. Dazu gibt es auch zahlreiche Fotos des noch kinderlosen Ehepaars.
Abb.4: Vor der Aufgabe des Koffers zu Beginn der Schiffsreise wurde er mit diesem beschrifteten Aufkleber versehen.
Ich kann mich erinnern, dass Frau Luise Pattis (Abb. 7), inzwischen Witwe, zu Beginn der 70er Jahre manchmahl im Sommer zu Besuch bei meinen Eltern war. Ich habe als damaliges Kind mitbekommen, dass da irgendeine Beziehung bestanden haben muss, dass sie über unser Haus mehr wusste. Was sie aber meinen Eltern erzählt hat, habe ich leider nicht erfahren. Und jetzt ist es leider zu spät; bis 2020, dem Jahr seine Todes, hätte mein Vater mir noch was zum Thema weitergeben können. Der Koffer wurde natürlich zurückgegeben.
Abb. 5: Grete Kornblum und Dante Zanellato mit der kleinen Adriana Viktoria vor ihrem Haus in Oberbozen (Sammlung Zanellato-Kraus).Abb. 6: Adriana Viktoria Zanellato, ihre Tante Ilse Kornblum und ihre Cousine Ruth vor der Lunwiese in Maria Schnee. Die beiden letzteren überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht, sie wurden im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht (Sammlung Zanellato-Kraus).Abb. 7: Luise Pattis (Sammlung Zanellato-Kraus).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Anonym. (30er Jahre). Grete Kornblum und Dante Zanellato mit der kleinen Viktoria vor ihrem Haus in Oberbozen. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.
Anonym. (Zweiter Weltkrieg). Viktoria Zannelato Kraus, ihre Tante Ilse Kornblum und ihre Cousine Ruth vor der Lunwiese in Maria Schnee. [Graphic]. Sammlung Viktoria Zanellato-Kraus.
Rudolf Alfred Höger (1877 bis 1930) war ein österreichischer Genre- und Kriegsmaler. Dass er eine bestimmte Zeit am Ritten verbracht hat, bezeugen so um die zehn Landschaftsbilder von Lengmoos über Wolfsgruben bis Oberbozen, die als Ansichtskarten den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Den Ritten als Sujet muss er nach dem Bau der Rittnerbahn entdeckt haben, sind auf mehreren Exemplaren doch schon das Oberbozner Bahnhofsgebäude und das Hotel Oberbozen abgebildet. Es kann auch durchaus sein, dass er im Auftrag eines Ansichtskartenverlegers oder der örtlichen Tourismustreibenden gearbeitet hat.
Für einige Zeit war sein Aquarell von Maria Schnee die einzige Darstellung des Ortszentrums (Abb. 2) aus jener Zeit, in der das Gebäude Baumgartner-Prock noch nicht errichtet war. Doch inwieweit kann man Realität aus dem Werk eines Schaffenden ableiten, wenn er künstlerische Freiheit genießt? Beim Bildnis vom Kirchlein Maria Schnee (Abb. 3) wurde z.B. der Doppelbauer weggelassen, wahrscheinlich um den in der Abendsonne glühenden Rosengarten dahinter besser zur Geltung zu bringen. Dafür har er diesem bedeutendem Hof in Maria Schnee ein eigenes Bild (Abb. 1) gewidmet, wo m.E. alles Wesentliche abgebildet wurde. Der große Stadel mit der typischen Rittner Dachform, zudem noch strohgedeckt, hat ihm sicherlich imponiert. Und natürlich musste die den Hof über Jahrhunderte prägende große Lärche mit auf das Bild.
Abb. 3: “Maria Schnee mit Rosengarten – R.A. Höger” (Ansichtskarte, Anfang 20. Jh.)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Höger, R. A. (Anfang 20. Jh.). Maria Schnee mit dem Rosengarten – R.A. Höger [Ansichtskarte Gemälde]. Sammlung Kobler.
Bronisław Malinowski und die Villa Kinsele
Category: Menschen,Nachbarschaft
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
In einem früheren Beitrag habe ich aufgezeigt, wie auf die Jahre des Aufschwungs der Villa Kinsele eine Periode des Niedergangs folgte. Ob der Grund dafür im mangelnden Interesse an der Sommerfrische von Seiten der Eigentümer oder – was plausibler ist – in einer Verschlechterung der finanziellen Situation zu suchen ist, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Familie Kinsele ihr Sommerhaus nicht mehr bewohnte und es ganzjährig zur Vermietung anbot (Abb. 1). Ob in all den Jahren bis zum Verkauf 1943 Mieter gefunden werden konnten und wer diese waren, wird nicht mehr zur Gänze ermittelbar sein. Von einer Familie wissen wir jedoch, dass sie das Haus bewohnte, denn die Eheleute waren die bedeutenden Wissenschaftler Bronisław Malinowski und seine erste Frau Elsie R. Masson.
Abb. 2: Das Bild zeigt die Familie Malkinovski auf dem Platzl vor der Villa Kinsele (Wayne 1995). Am rechten Bildrand sieht man den zweiten Kastanienbaum, der in den 20er- oder 30er Jahren entfernt wurde und einen kleinen Teil des Daches der Villa Amalia des Pobitzer, welches die Malinowskis im Jahre 1923 erwerben werden .
Bronisław Malinowski (geboren 1884 in Krakau, gestorben 1942 in New Haven) gilt als einer der Begründer der modernen soziokulturellen Anthropologie, seine ethnographische Methode ist bis heute ein wichtiger Bezugspunkt. Man sagt, er sei für die Anthropologie das gewesen, was Freud für die Psychoanalyse war. Während seiner Studienaufenthalte in Ozeanien lernte er seine spätere Frau, die australische Journalistin Elsie Masson (geboren 1890 in Melbourne, gestorben 1935 in Natters), kennen, die ihren Mann nicht nur tatkräftig unterstützte, sondern auch eigenständige Studien betrieb (Salvucci 2021).
Nach Aufenthalten in England, auf den Kanarischen Inseln, in Frankreich und Polen zogen die Malinowskis auf Anraten von Wiener Freunden auf den Ritten. Ausschlaggebend war nicht nur das Klima, von dem man sich positive Auswirkungen auf die tatsächlichen (Elsie) und vermeintlichen (Bronisław) gesundheitlichen Probleme erhoffte, sondern auch die Tatsache, dass Bozen und die Südtiroler Berge den inzwischen bekannten Anthropologen an Krakau bzw. die Hohe Tatra seiner Kindheit erinnerten. Zudem war Bozen finanziell deutlich günstiger als die Alternative London (Reiner 2016).
Abb. 3: Ausschnitt aus dem “Tiroler Volksblatt” vom 11.8.1923. Am Ende des Beitrags wird über den Besitzwechsel von Pobitzer zu Malinowski berichtet. Ich habe den Artikel vollständig wiedergegeben, damit man auch die Summen der anderen Transaktionen sehen kann. Die 35.000 Lire waren im Vergleich eine doch hohe Summe, was auf die Begehrlichkeit des Hauses und dessen Lage in Oberbozen hindeutet. Laut Salvucci (2023) wurden fast 19.000 Lire nochmals für die Renovierung und Adaptierung ausgegeben. Aus der stattlichen Summe lässt sich schließen, dass das Haus deutlich den Vorstellungen der neuen Eigentümer angepasst wurde.
Im Oktober 1922 mieteten sie sich “… in einem alten gemauerten Haus nahe der kleinen Dorfkirche Maria Schnee ein, wo sie den Winter 1922-23 verbrachten, wieder mit zwei Bediensteten.” (Wayne 1995). Burke und Ulrich (2023), die Enkel, geben an, dass die Familie “the Kinsele Haus” bewohnte. Da Anton und Fanny Kinsele ihr Haus in Maria Schnee 1920 an Karl und Maria Weger verkauft hatten, kann nur jenes von Cousin Robert Kinsele in Frage kommen. Schließlich hat Salvucci (in Vorbereitung) in dessen Nachlass einen Briefwechsel zwischen Bronisław Malinowski und Anton sowie Robert Kinsele gefunden, welcher die Vermietung der Wohnung im Kinselehaus zum Gegenstand hatte. Der Rechtsanwalt Anton Kinsele vertrat übrigens mehrere Jahre lang Malinowskis Interessen in Südtirol (Wayne 1995).
Abb. 4: Das Malinowskihaus heute nach der letztlich durchgeführten Renovierung des Daches, auf dem eine Photovoltaikanlage installiert wurde, von Osten aus gesehen. Im Wesentlichen ist das Haus über die Jahre unverändert geblieben. Links davon, halb verdeckt, das Eccel-Haus. Auch mit dieser Familie pflegte Elsie Masson eine gute Nachbarschaft (Salvucci 2023).
Der Ritten schien der Familie Malinowski auch für einen längeren Aufenthalt ideal zu sein, weshalb sie mit dem Erwerb der benachbarten Villa Amalia liebäugelten, die der Bozner Rechtsanwalt Benedikt Pobitzer zum Kauf angeboten hatte. Ihr Wiener Freund Paul Kuhn ermutigte sie dazu und half ihnen auch, die hohe finanzielle Hürde (Abb. 3) des Kaufs und Umbaus zu überwinden (Wayne 1995). Für die nächsten drei Jahre bewohnten Elsie und ihre drei Töchter Józefa, Wanda und die 1925 geborene Helena das Haus am Ritten ganzjährig, von 1926 bis zur Übersiedlung nach London 1929 nur im Sommer, die übrige Zeit verbrachten sie in Gries bei Bozen, wo sie zuerst die Villa Elisabeth und später die Villa Marienheim gemietet hatten. Der Gesundheitszustand der Ehefrau hatte sich weiter verschlechtert, sie litt an Multipler Sklerose. Bronisław hingegen kam nur in den großen Ferien nach Gries und Oberbozen, er arbeitete und hielt sich zuerst als Lektor, dann als Universitätsprofessor in London auf (Burke und Ulrich 2023).
Abb. 5: Die Villa von Nordosten gesehen.
Das doch stattliche Haus mitten im Grünen mit der großen Veranda und dem beeindruckenden Blick auf die Dolomiten wirkte sich befruchtend auf die Arbeit des Forscherpaares aus. Es bot den Malinowskis auch die Möglichkeit, Gäste zu empfangen. Salvucci zeigte 2023 auf, wie viele Studenten und Studienkollegen in den Oberbozner Jahren zu Gast waren und wie der Tagesablauf gestaltet war. So mancher Gast trat später erfolgreich in die Fußstapfen seiner Gastgeber. Untergebracht waren die Gäste im Widum bei der Kirche Maria Himmelfahrt und in der Pension Pattis, gleich gegenüber der Villa Malinowski.
Abb. 6: Die stattliche nach Süden geöffnete Veranda und der darüber liegende großzügige Balkon prägen das Gebäude funktional und ästhetisch. Rechts im Hintergrund die Villa Pattis.
1929 übersiedelte die Familie ganz nach London, verbrachte aber die Sommer weiterhin in Oberbozen. Ab 1934 war auch dies auf Grund der immer weiter fortschreitenden Krankheit von Elsie, die inzwischen auf den Rollstuhl angewiesen war, nicht mehr möglich, weswegen das Haus, das inzwischen als Malinowski-Villa bekannte war, an das Bozner Ehepaar Schulzinger vermietet wurde (Wayne 1995). 1935 starb die immer schwächer gewordene Elsie im Alter von nur 45 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Natters bei Innsbruck. Bronisław zog mit den Töchtern noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die USA, wo er einen Lehrstuhl an der Universität Yale angeboten bekommen hatte. Er starb unerwartet 1942 in New Haven, nachdem er 1940 seine zweite Frau, die junge britische Malerin Valetta Swann, geehelicht hatte (Salvucciet al. 2022).
Abb. 7: Annonce in der Alpenzeitung vom 7.10.1926. War das “y” am Ende des Familienamens absichtlich oder ein Fehler der Anzeigennahme? Das Verbot der deutschen Ortsnamen hatte schon gegriffen: Soprabolzano.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus beschlagnahmt (Abb. 8), nachdem Großbritannien – die Malinowskis waren inzwischen englische Staatsbürger – zum Kriegsgegner Italiens geworden war. Nach Kriegsende wurden die Besitzverhältnisse wiederhergestellt und das Haus an die Nachkommen, inzwischen im Enkelgrade, vererbt.
Abb. 8: Meldung in den “Dolomiten” vom 3. August 1940. Mittels der Presse wurde in mehreren auf das Jahr 1940 verteilten Berichten der Bevölkerung mitgeteilt, wer die von der Beschlagnahme betroffenen ausländischen Bürger waren. Unter Punkt “s” ist Bronisław Malinowski angeführt.
Die für diesen Bericht verwendete Literatur ist umfangreich. Eine wahre Fundgrube für alle, die mehr über diesen bedeutenden Kulturanthropologen wissen wollen. Sehr interessant ist auch nachzulesen, wie besonders Elsie Masson, die ja viel mehr Zeit in Südtirol zugebracht hatte als ihr Mann, ihre Umgebung aus gesellschaftlicher, historischer und politischer Perspektive bzw. aus der wissenschaftlichen Distanz und der alltäglichen Nähe, erlebt und verschriftlicht hat. Sie bekam die Entnationalisierungsaktionen der faschischtischen Regierung unmittelbar mit und hat deren Taten mehrmals auch publizistisch angeprangert (Masson 1923).
Abb. 9: 1993 ließ der Heimatpflegeverband an der Nordseite des Hauses diese vom Spazierweg aus ersichtliche Gedenktafel aus Porphyr anbringen.
Elisabeth Tauber und Dorothy Zinn, soziokulturelle Anthropologinnen an der Freien Universität Bozen, haben es als notwenig erachtet, auf die Geschichte Malinowskis und seiner Familie in Südtirol aufmerksam zu machen und gründeten 2016 das Malinowski Forum for Ethnography and Anthropology. Seitdem fördert das MFEA nicht nur die Forschung zu Malinowski und seiner Frau Elsie Masson, sondern hat sich auch von Malinowskis Anwesenheit in Südtirol anregen lassen, Gespräche über aktuelle anthropologische Theorien und Methoden zu führen. Ein weiteres Ziel des MFEA ist es, die Alpen als Forschungsregion ethnographisch wieder vermehrt in den Blick zu nehmen. Für das Malinowski-Forum fun-giert Malinowski daher weniger als inhaltlicher Bezugspunkt für die alpine Anthropologie als vielmehr als Eponym, das vom wissenschaftlichen Komitee in Zusammenarbeit mit den beiden Ko-Koordinatorinnen entwickelt wurde. Derzeit arbeitet das Malinowski-Forum an zwei Bänden zu Malinowski in den Alpen beziehungsweise zur Bedeutung der ethnographischen Methode für die Forschung in den Alpen, die 2022 erscheinen werden. Der erste Band beschäftig sich mit Malinowskis feinsinnigem Erbe in Geschichte und Ethnographie der Alpen, während der zweite Band neuere Beiträge versammelt, die die von Malinowski begründete, ethnographische Methode zur Erforschung der Alpen auf sehr unterschiedliche Weise anwenden.
Ein herzlicher Dank geht an Daniela Salvucci von der Freien Universität Bozen, welche mich bei meinen Recherchen zu Malinowski und seiner Beziehung zur Villa bzw. Familie Kinsele tatkräftig unterstützt hat.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Salvucci, D. (2021). Incorporated Genre and Gender: Elsie Masson, Her Writings, and Her Contribution to Malinowski’s Career. In E. Tauber & D. L. Zinn (Eds.), Gender and Genre in Ethnographic Writing (pp. 189–217). Springer International Publishing. DOI: 10.1007/978-3-030-71726-1_8
Abb. 1: “Maria Schnee – Oberbozen gegen den Latemar (2864 m). Dolomiten. Tirol” (Kolorierte Ansichtskarte, Anfang 20. Jahrhundert).
Vor einer Woche habe ich Bilder vom Migler (Obermigler) gezeigt. Von dort aus, Richtung Südosten, wurde das Foto als Grundlage für diese kolorierte Ansichtskarte gemacht (Abb. 1). An Hand der ersichtlichen Bauwerke schätze ich, dass es in den ersten Jahren der Rittnerbahn entstanden ist. Man sieht nämlich von links nach rechts das Hotel Oberbozen/Holzner, ziemlich verdeckt die Villa Messmer (später vergrößert zu Villa Maria, Bergfink, Gloriette), die Bäckerei, den Rittnerhof, den Gebäudekomplex Baumgartner-Prock (noch unvollendet), das Haus Kofler (später Plankl). Hinter beiden letzteren kann man das helle Dach des Hotel Hofer (vormals Unterhofer, später Post) gerade noch erahnen. Das Maria-Schnee-Ensemble Kirche-Oberhofer-Wegerhaus-Kinselehaus ist hingen vollständig hinter den hohen Bäumen des Parks versteckt. Weiter rechts erkennt man an der Dachform wie immer sehr leicht die Villa Pattis (jetzt Pan) und darunter das Wohngebäude des Doppelbauern (später Hotel Viktoria).
Wenige Jahre darauf ist das Bild ein klein wenig anders (Abb. 2): Ganz links ist nämlich das Dach des neu errichteten Hoferbauer-Stadels zu sehen. Wie schon berichtet, ist dieser Hof, der aus dem Zusammenschluss von Unter- und Oberhofer entstand, in den Zwanzigerjahre aus dem Zentrum von Maria Schnee ausgesiedelt. Zwischen ihm und dem schon bestehenden Bäckereigebäude ist die am Schlauchturm erkennbare Feuerwehrhalle entstanden.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
J.F. Amonn. (Zwischenkriegszeit). (Maria Schnee) Soprabolzano (m 1193) sul Renon. [Ansichtskarte]. Sammlung A. Kobler.
Ansichtskarte der Woche (6)
Category: Ansichtskarte der Woche
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Abb. 1: “Renon pr. Bolzano – Vista sulle Alpi Centrali” (Ansichtskarte, Zwischenkriegszeit).
Das Foto der obigen Ansichtskarte wurde gegen Nordwesten aufgenommen. Ganz im Hintergrund kann man die schneebedeckten Ötztaler Alpen erkennen, weiter vorne der Bergrücken des Saltens und in der vordersten Ebene steht der Miglerhof, eigentlich, um genauer zu sein, der Obermigler. Das Wohnhaus weist ein schindelgedecktes Walmdach auf, eine Dachform, die auf dem Ritten früher bei den Wohngebäuden der Höfe sehr häufig anzutreffen war.
Abb 2: “HALBPENSION “MIGLERHOF” 1200 m. Soprabolzano sul Renon – Oberbozen am Ritten” (Ansichtskarte, Nachkriegszeit).
Die Abbildung 2 zeigt den Obermigler nochmals. In der Zwischenzeit, wahrscheinlich in den 30er Jahren haben die Gebäude deutliche Umbauarbeiten erfahren. Die Dachgauben weisen daraufhin, dass zusätzlicher, touristisch genutzter Wohnraum benötigt wurde, die Beschriftung “Halpension Miglerhof” untermauert diese Annahme. In der Tat erinnere ich mich, dass, wenn ich als Kind und Jugendlicher im Sommer dort spazieren ging, immer viele Menschen um den Hof herum waren. Die Lage dort ist schon wegen der einmaligen Rundsicht phantastisch. Wohnhaus und Stadel haben jetzt ein Schopfwalm-, das kleinere Nebengebäude ein Satteldach.
Momentan sieht es so aus, als ob die Baulichkeiten mit Ausnahme des Nebengebäudes nicht genutzt würden. Es bleibt zu hoffen, dass irgendwann wieder das gewohnte Leben am Obermigler einkehren wird und dass die sicherlich notwendig gewordenen Sanierungsarbeiten mit Bedacht und Gespür durchgeführt werden. Zwei weitere Ansichtskarten aus den früheren Jahren lege ich der Vollständigkeit halber bei (Abb. 3 u. 4).
Abb. 3: “Migl, Partie am Ritten” (Ansichtskarte, Anfang 20. Jahrhundert).Abb. 4: “Renon pr. Bolzano – Vista sulle Alpi Centrali ” (Ansichtskarte, Zwischenkriegszeit).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Foto Fränzl. (30er Jahre). Renon pr. Bolzano – Vista sulle Alpi Centrali [Ansichtskarte].
Ansichtskarte der Woche (5)
Category: Ansichtskarte der Woche,Oberbozner Sommerfrische
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Abb 1: “Assunta del Renòn m. 1193” (Ansichtskarte, Zwischenkriegszeit).
Der Fotograf steht in der Nähe des Friedhofeingangs und fotografiert nach Nordwesten. Das Hauptmotiv ist die Kirche Maria Himmelfahrt in Oberbozen. Rechts ist noch ein Teil des Frühmesserhauses zu sehen. Sie wurde 1669 erbaut, 1791 erweitert und ist die Nachfolgekirche der weiter entfernten, auf einem markanten Hügel befindlichen Kirche St. Georg und Jakob. Maria Einsiedeln, St. Magdalena und auch Maria Schnee, letztere bis 1866 sind bzw. waren hingegen private Gotteshäuser.
Abb. 2: Innenansicht (Foto aus “Die Kirchen von Oberbozen”, 2000)
Details über diese schöne Barockkirche mitten in der Oberbozner Sommerfrischsiedlung kann man im 2000 erschienenen Kirchenführer Die Kirchen von Oberbozen nachlesen. Interessantes Detail am Rande: Die Kirche in Bozen Stadt ist auch der Himmelfahrt Marias geweiht, welche bekannterweiße im Hochsommer, am 15. August begangen wird. Haben die Sommerfrischler das deshalb gemacht, damit sie nicht für diese Tage ihr Hitzerefugium verlassen mussten? Auch das Kirchlein in Herrenkohlern, einer kleineren Sommerfrischsiedlung am gegenüber liegenden Kohlererberg hat übrigens am gleichen Tag Patrozinium. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
Abb. 3: Einer der stimmigsten Orte in Oberbozen: “Renon pr. Bolzano Motivo pr. Maria Assunta m 1176 verso le Dolomiti” (Ansichtskarte, Zwischenkriegszeit).Abb. 4: “Chiesa – Assunta. Soprabolzano sul Renon” (Ansichtskarte, Zwischenkriegszeit).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
J.F. Amonn. (Zwischenkriegszeit). Chiesa – Assunta. Soprabolzano sul Renon [Ansichtskarte]. Sammlung A. Kobler.
Spuren der Rittnerbahn
Category: Oberbozen
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Von wem waren die Grundstücke und was ist geblieben?
Die Geschichte der Bergbahn, die von 1907 bis 1966 den Bozner Waltherplatz mit dem heutigen Rittener Hauptort Klobenstein verband, ist bereits intensiv erforscht worden. Obwohl sie vor fast 60 Jahren durch eine Seilbahn und eine Straße ersetzt wurde, ist das Interesse an ihr nach wie vor groß. Die Tatsache, dass sie eine ingenieurtechnische Meisterleistung darstellt und gleichzeitig eine Technik verkörpert, die sich der Landschaft anpasst und nicht mit auffälligen Kunstbauten brachial über sie hinweggeht sowie dem weit verbreiteten Bedürfnis nach Entschleunigung entgegenkommt, weckt verständlicherweise nicht nur Interesse sondern bei Eisenbahninteressierten auch Sehnsüchte.
Abb. 1: 22. Juli 1956. Meine Eltern wurden gerade in der Kirche Maria Himmelfahrt getraut und begeben sich mit den Hochzeitsgästen zu Fuß in das Hotel Holzner. Kurz vor dem Doppelbauer (Hotel Viktoria) werden sie von einem Richtung Klobenstein fahrenden Zug überholt. Von den gezogenen Beiwägen mit ihren kennzeichnenden offenen Plattformen ist leider kein einziger übrig geblieben (Sammlung Kobler).
Dass diese Wahrnehmung zu einem guten Teil einer verklärten Erinnerung geschuldet ist, sei an dieser Stelle auch angemerkt: Jeder, der nicht als Tourist unterwegs ist, weiß es heute nämlich zu schätzen, dass gegenüber den früheren neun täglichen Fahrten zu je 55 Minuten das Rittner Hochplateau heute im 4-Minuten-Rhythmus nach nur 12 Minuten Fahrzeit erklommen wird.
Abb. 2: Eines der häufigsten Motive bei Ansichtskarten über die Rittnerbahn. Ein bergfahrender Zug oberhalb von St.Magdalena bestehend aus Schublock, einem vierachsigen Personentriebwagen und einem offenen Güterwaggon für den Warentransport. Im Hintergrund die sich in diesen Jahren stark ausdehnende Stadt (Ansichtskarte aus der Zwischenkriegszeit, “BOLZANO – Ferrovia del Renon”, Sammlung Kobler)
Als Referenzwerk über die Rittnerbahn kann man heutiger Stand sicherlich das 2007 erschienene Buch Rittnerbahn: Eisenbahn am Berg – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Klaus Demar und Mitautoren nennen. Einen sehr guten und ausführlichen Einblick in Geschichte und Gegenwart der Rittnerbahn bietet auch Wikipedia an. Dort wird zudem auf sehr viel weiterführende, auch im Netz befindliche Quellen verwiesen, dabei sehr interessante aus der Plan-, Bau- und Betriebszeit. Schon zum Zeitpunkt der Eröffnung hat die Bahn ob der Ingenieursleistung für Aufsehen gesorgt. Wie sie in der Fachpresse seinerzeit beispielgebend beschrieben wurde, kann man in Elektrische Kraftbetriebe und Bahnen (Teil 1, Teil 2), in der Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins sowie in Die Tiroler Bergbahnen nachlesen.
Abb. 3: Das Streckenprofil der Rittnerbahn (aus Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins, 1908, S. 598).
Eine Quelle, die meines Wissens noch nicht aus den Archiven geholt wurde, ist ein Edikt, das im April und im Mai 1907, also bereits gegen Ende der Arbeiten, im Boten für Tirol veröffentlicht wurde (Abb. 4 bis 6). Darin werden alle vom Trassenverlauf betroffenen Grundstücke, getrennt nach den Gemeinden Zwölfmalgreien und Ritten, und deren Eigentümer aufgelistet. Letztere werden aufgefordert, sich innerhalb von 90 Tagen beim betreffenden Gericht zwecks der Entschädigung für die erfolgte “Exprpropriation” anzumelden. Das Bemerkenswerte dieser Tabellen ist, dass eine Vielzahl von früheren Eigentumsverhältnissen in einem Dokument zu Tage tritt. Voraussetzung dafür ist, dass man über ein Mindestmaß von Orstkenntnissen verfügt und den Streckenverlauf nachvollziehen kann. Einige Namen werden dem geneigten Leser dieses Blogs schon einmal oder mehrmals begegnet sein, und der eine oder andere wird die Namen seiner Vorfahren in der Tabelle wiedererkennen.
Abb. 4: Auflistung der betroffenen Grundstücke und deren Eigentümer in der Gemeinde Ritten (Amtsblatt des Boten für Tirol vom 6.4.1907, S. 11. Das Klicken auf die Abbildung vergrößert diese.Abb. 5: Auflistung der betroffenen Grundstücke und deren Eigentümer in der Gemeinde Ritten (Amtsblatt des Boten für Tirol vom 6.4.1907, S. 12.Abb. 6: Auflistung der betroffenen Grundstücke und deren Eigentümer in der Gemeinde Zwölfmalgreien (Amtsblatt des Boten für Tirol vom 7.5.1907, S. 9.
Bald sind 120 Jahre seit dem Bau, 60 seit der Auflassung der Steilstrecke vergangen. Was ist von ihr noch sichtbar? Thomas Hainz von RAI Südtirol hat sich im Rahmen der Sendung Bergwelt mit dem obgenannten Autor Klaus Demar auf dem Weg gemacht, um zu schauen, was von der inzwischen zum Industriedenkmal gewordenen Trasse noch übrig geblieben ist. Dabei werden nicht nur alte Fotos sondern auch immer wieder aufschlussreiche Filmsequenzen aus den letzten Betriebsjahren eingespielt. Wirklich sehenswert!
«Bergwelt – Entlang der Rittner Zahnradbahn. Montag 24. Februar 2025, RAI Südtirol. Eine spannende Tour auf den Spuren der Rittner Zahnradbahn und der Aufbruch zu neuen Skitouren im Hohen Norden Europas. Darüber berichtet die Bergwelt mit Thomas Hainz. Am Beginn des 20.Jahrhunderts war sie eine Errungenschaft für den aufkommenden Tourismus in Bozen: die Rittner Zahnradbahn. Heute ist sie längst Geschichte. Aber entlang der alten Trasse kann man diesem alten Industriedenkmal noch heute nachspüren und muss dafür auch mal die markierten Pfade auf den Ritten verlassen.»
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Hainz, T., Oberschmied, U., & Edler, J. (2025). Bergwelt – Entlang der Rittner Zahnradbahn [Video recording]. berg&welt medienproduktion im Auftrag von RAI Südtirol.
Ansichtskarte der Woche (4)
Category: Ansichtskarte der Woche
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Der Photograph befindet sich in der Nähe des Oberbozner Schießstandes und hat sein Gerät Richtung Osten gerichtet. Vor ihm der Weiler St. Magdalena: rechts das Amonn-Haus, danach jenes der Grabmayr mit dem namensgebenden Kirchlein, links der Stadel des Karlerbauern. Ganz links lugt ein kleiner Teil des Glauberhause hervor. Das sonst immer die Aufnahmen dominierende Braitenberghaus ist von der Lärche im Vordergrund verdeckt. Jenes der Grabmayr ist übrigens das älteste Sommerfrischhaus Oberbozens, es wurde zwischen 1606 und 1611 von Hans Balthasar Heisserer errichtet.
Diese und andere Ansichtskarten vom Ritten sind in der Anfangszeit von der Rittnerbahn-Gesellschaft selbst herausgegeben worden. Ziel war es, den Ritten touristisch zu entwickeln und damit auch steigende Fahrgastzahlen zu generieren. Wenn es nur ging, wurden die Aufnahmen immer gegen Osten gemacht, um den beeindruckenden Schlern mit auf dem Bild zu haben.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Fränzl, L. (Anfang 20. Jh.). Rittnerbahn. Oberbozen. Villenpartie gegen den Schlern. [Ansichtskarte]. Sammlung Kobler.
Der Fund des Jahres!
Category: Siedlungsgeschichte,Werkzeuge
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Diese Ansichtskarte (Abb. 1) konnte ich online zum Ausrufepreis ersteigern, niemand sonst aus Sammlerkreisen hat sich nach über einem Monat, wo sie ausgestellt war, dafür interessiert. Jetzt bin ich überglücklich, denn seit Beginn meiner Recherchen war da so ein großer, weißer Fleck in der bildlichen Darstellung der Siedlungsgeschichte von Maria Schnee.
Abb. 1: Das Zentrum von Maria Schnee in Oberbozen, dargestellt auf einer ungereisten Ansichtskarte aus dem Verlag J.F. Amonn, welche den Stempel “Hôtel Oberbozen am Ritten bei Bozen, Tirol, 1200 m. ü. d. M.” trägt.
Schon bald hatte ich bei den Nachforschungen zum Ortsteil Maria Schnee herausbekommen, dass der Unter- wie der Oberhofer ihre Stadel mitten im späteren Dorfzentrum hatten. Die Inhalte des Grundbuchs und die Mappen des Franziszeische Kataster (Abb. 2) bezeugten dies eindeutig.
Abb. 2: Ausschnitt aus der Franziszeischen Katastermappe von 1858. Die schwarzen Pfeile zeigen auf die Wirtschaftsgebäude der beiden Höfe. Zur Orientierung: Die blau gezeichnete Parzelle 3201 rechts oben stellt den bis in die 2000er Jahre existierenden Dorfweiher dar, der Wegeverlauf ist identisch zu heute und das dunkelrot dargestellte Gebäude ganz links ist die Maria-Schnee-Kirche.
Aber in all diesen Jahren habe ich im Netz – und ich schaue mir recht systematisch alle zum Verkauf stehenden Ansichtskarten und Fotografien zum Thema Ritten auf den verschiedenen Plattformen an – nie ein Ansicht vom Zentrum gefunden, wo der Zustand vor 1907 dargestellt wird. Immer nur ist der bis heute prägende, an dieser Stelle vom Oberbozner Grund- und Bauverein errichtete Gebäudekomplex (früher Baumgartner/Prock, heute Tutti Patschenggele/Weissensteiner) erkennbar (Abb. 3). Der Wunsch war groß, biidhaft einen vor gar nicht so langer Zeit vergangenen Zustand, der über mehrere Jahrhunderte herrschte, darstellen zu können.
Abb. 3: Der Dorfkern von Maria Schnee zeigt sich 1919 schon stark verändert (Fotografie). Der Stadel des Unterhofers ganz links sieht deshalb anders aus als in Abbildung 1, da er 1913 abgebrannt ist und in veränderter Form wieder aufgebaut wurde.
Eine erste Ahnung, wie der Ort vor oder noch kurz nach dem Bau der Bahn ausgesehen haben könnte, vermittelte mir eine von R.A. Höger gestaltete Ansichtskarte (Abb. 4), welche ich vor ungefähr einem Jahr gefunden habe. Der Blick ist gegen Osten gerichtet und in der rechten Bildhälfte kann man in der Ferne das typische rote und spitze Dach des Hotel Oberbozen/Holzner erkennen, links davon hingegen das graue Dach des Bahnhofsgebäudes, es war zu Beginn kleiner als heute. Beide Gebäude sind gemäß dem Blickwinkel etwas tiefer, d.h. der Maler hat sich bei dieser Perspektive so ungefähr zwischen dem heutigen Eishockeyplatz und dem Haus der Familie Plankl befunden. Daraus kann man schließen, dass das Haus links der Rittnerhof ist und rechts ein Teil des Oberhoferstadels sichtbar gemacht wurde. Besser als nichts aber trotzdem eine wenig zufriedenstellende Situation. Erstens, weil vom vermeintlichen Oberhoferstadel nur ein kleiner Teil dargestellt war und zweitens, weil wir nicht wussten, inwieweit der Maler seine künstlerische Freiheit in Anspruch genommen hat. Doch, wie wir jetzt, aber eben erst jetzt, wissen, das Foto der Abbildung 1 ist der Beweis dafür, hat er die örtlichen Gegebneheiten schon relativ realistisch wiedergegeben.
Abb. 4: Ansichtskarte mit einem Aquarell von Rudolf Alfred Höger (1877-1930). Der Genre- und Kriegsmaler aus Mähren hat mehrere Ansichtskarten mit Rittner Motiven gestaltet.
Vorher, nachher sind natürlich sehr anregende direkte Vergleiche, weshalb ich mit unzähligen Aufnahmen in der Lunwiese der letzten Wochen versucht habe, eine möglichst passende Aufnahme der heutigen Situation zu machen (Abb. 5). Es ist aber, besonders für einen Fotografie-Laien, nicht leicht, so eine Aufnahme wirklich gut nachzustellen. Dabei war das Zoom meiner Panasonic-Kompaktkamera natürlich sehr hilfreich, die am ehesten passendste Kombination Aufnahmestandort/Brennweite ausfindig zu machen. Und weil wir schon bei den technischen Aspekten angelangt sind: Rund um WordPress sind extrem viele nützliche Erweiterungen entwickelt worden. Die Grundfunktionen werden zumeist kostenlos angeboten, für die Pro-Versionen muss man – verständlicherweise – hingegen schon ordentlich was hinlegen; dann wäre es schon gut die betreffende Seite professionell zu betreiben. Für die obige Animation habe ich das Plugin „Ultimate Before After Image Slider & Gallery – BEAF“ in der Grundversion verwendet.
Abb. 5. Durch das Ziehen am Regler kann man das Rad der Geschichte, zumindest visuell, um über 110 Jahre zurückdrehen.
Gegenüber der Katastermappe ist der Oberhoferstadel auf dem Foto in den 50 Jahren dazwischen um einige Anbauten deutlich vergrößert worden. Verglichen mit heute war das Babsi-Gebäude noch kleiner und länglicher, die ehemalige Dependence des Hotel Post, links daneben, hat ihre Form behalten, war aber früher ein an den Seiten offenes Schupfe, könnte aber auch einmal die überdachte Kegelbahn des Gasthofs Unterhofer gewesen sein. Bis vor wenigen Jahrzehnten hatte nämlich fast jeder Land- und Bergasthof eine solche. Der Unterhoferstadel ganz links hat zuerst dem Musikpavillon Platz gemacht, später hat sich die Vegetation des Hotel-Post-Parkes sich den Platz zurückgeholt. An den Teich kann ich mich selbst gut erinnern, um Mitte der 2000er Jahre wurde er leider zugeschüttet.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Höger, R. A. (Anfang 20. Jh.). Aus Ober-Bozen – R.A. Höger [Ansichtskarte Gemälde]. Sammlung Kobler.
Ansichtskarte der Woche (3)
Category: Ansichtskarte der Woche
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Maria Schnee vom Westen her, dort wo heute das Malinovskihaus steht, fotografiert, auch damit die fotogene Rosengartengruppe mit auf die Glasplatte gebannt wird. Ganz links erkennt man den Gartenpavillon im Wegerpark, nach rechts zunächst die Kirche Maria Schnee, die Villa Kinsele, das Wohngebäude des Unterhofers (später Hotel Hofer, Hotel Friedl und zuletzt Hotel Post) und ganz zum Schluss jenes des Doppelbauern (zuletzt Hotel Viktoria) mit einen kleinen Teil des Stadeldaches. Auf seiner Nordseite steht eine mächtige Lärche, welche sogar in der Literatur Hans v. Hoffensthals Eingang gefunden hat: “… zunächst den paar Häusern von Maria Schnee, Luisl’s Vaterhaus, neben dem die kleine Kirche hockte, die Höfe vom Doppelbauer und vom Hofer, dieser mit ein paar zausigen Albern, jener mit einer alten Lärche, jeder aber mit einer von moosigem Stroh bedachten Scheune. …”
Eine sehr frühe Aufnahme, mindestens ein Jahrzehnt vor der Eröffnung der Rittnerbahn, als die Welt in Oberbozen laut obigen Autor noch in Ordnung war. Als Basis meiner Zeiteinschätzung dient die Beobachtung, dass unser Haus noch nicht den Außenkamin aufweist, der notwendig wurde, als Franz Kinsele Ende der 1890er Jahre einen Kachelofen in der hinteren Kammer einbauen ließ. Ein weiteres Indiz für die vortouristische Zeit ist das weitgehende Fehlen von Zäunen. Die mit dem Bahnbau einsetzende Parzellierung der Grundstücke für den Bau der Villen hat noch nicht stattgefunden, in Maria Schnee sind die Grundstücke noch fast ausschließlich landwirtschaftlich genutzt und auf den Unterhofer, den Oberhofer und dem Doppelbauer aufgeteilt. Auf der rechten Hälfte ist eine Acker sichtbar; im Mittelgebirge dominierte nämlich im Gegensatz zu heute der Getreideanbau, das Landschaftsbild war entsprechend vielfältiger. Vergrößert man das Bild, so erkennt man vor dem Kirchlein das große, noch frei stehende Wegkreuz und einen Weg, den Beginn des heutigen Sommerfrischweges Richtung St. Magdalena und Maria Himmelfahrt.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Hoffensthal, H. von. (1914). Marion Flora. Fleischel.
Fenster in die Vergangenheit (6)
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Die Restaurierung der bemalten Decken
Abb. 1: Frau Karin Zigerle retuschiert kleine Fehlstellen.
Die vorgefundenen Deckenmalereien sind nicht überall gleich gut erhalten. Die vor etwa 150 Jahren eingezogenen zweiten Decken darunter haben die darüber liegenden Malereien an sich gut konserviert, waren aber zu diesem Zeitpunkt in ihrer Gesamtheit schon renovierungsbedürftig. Vielleicht war der damit verbundene finanzielle Aufwand neben der sich ändernden Mode der ausschlaggebende Grund für die Verhüllung, wer weiß?
Abb. 2. Mitarbieter der Firma Zingerle beim Reinigen der Balkendecke.
Am Gang hat sich die Nähe zu Küche mit ihrem früher offenen Herd sehr nachteilig ausgewirkt. Über die Jahre hat der Rauch die Bemalung mit Ruß so stark überzogen, dass sich die Deckenbemalung bei der Küchentüre uns total schwarz gezeigt hat. Überall, aber hauptsächlich im Ergeschoss mit zunehmender Nähe zur Küche haben zudem unzählige kleine Fliegenschisse die Abbildungen verschmutzt. Die organische Basis der Farben hatte die Insekten angelockt.
Abb. 3: Anfänglich glaubte niemand, dass dieses extrem verußte Teil noch zu retten sei. Das Ablösen der Schmutzschicht mit Hilfe eines speziellen Gels hat aber Wunder gewirkt.
In der vorderen Stube hingegen ist die Farbenpracht beeindruckend intakt geblieben. Schade nur, dass drei der bemalten Balken beim Einziehen der Decke an der Unterseite komplett abgehobelt wurden. In der dahinter liegenden Schlafkammer entdeckten wir die gleichen Bilder und der Konservierungsszustand war, dort wo die Decke unverändert geblieben ist, ähnlich gut. Leider ist aber nur noch die Hälfte davon erhalten geblieben. Denn als in den 1950er Jahren genau darüber ein Bad eingebaut wurde, ersetzte man die bemalten Bretter durch tiefergelegte Zwischenböden, um Platz für die Wasser- und Abwasserleitungen zu schaffen. Dementsprechend leicht fiel uns die Entscheidung, in Einklang mit der Meinung des Denkmalamtes dort mit eine Decke aus Gispkarton die Reste schonend zu verdecken.
Abb. 4: In der hinteren Kammer ist die Hälfte der Balkendecke in den 50er Jahren leider zerstört worden. Die bemalten Bretter wurden entfernt und Fehlböden eingesetzt um Platz für die Leitungen des neuen Bades zu machen.
Die vorgefunden Spuren eine Bemalung der Bretter unter der Dachbodenstiege im gleichen Stil sind ein weiteres Zeugnis für den ausgeprägten spätbarocken Wunsch nach umfassender farbiger Pracht. Nachdem dort aber der Kalk direkt auf dem Farbanstrich aufgebracht wurde, sind sie für eine Restaurierung zu sehr beschädigt. Es wäre dann wohl eher eine Rekonstruktion geworden.
Abb. 5: Sogar die Dachbodenstiege bekam an ihrer Unterseite einen üppigen barocken Farbanstrich. Leider mussten wir hier den Verputz wieder vervollständigen, die chemische Zersetzung der Pigmente ist zu sehr fortgeschritten.
Im Flur des Obergeschosses ist die Deckenmalerei über die Jahrhunderte immer sichtbar und sehr gut erhalten geblieben. Sie ist rußfrei und auch die Verschmutzung durch Fliegenexkremente ist hier deutlich geringer. Aus diesem Grund und weil dieser Bereich nie gestalterisch verändert wurde, kamen die früheren Besitzer wohl nicht in Versuchung, die Malereien zu verdecken. Diese für jeden Besucher sichtbaren Malereien machen die Villa Kinsele eindeutig der historischen Oberbozner Sommerfrische zuordenbar und sind auch ein wesentlicher Teil der denkmalpflegerischen Unterschutzstellung.
Abb. 6: Vorbeugend werden vor Beginn der eigentlichen Arbeiten die unverrückbaren Gegenstände abgedeckt. Wir befinden uns in der vorderen Stube. Links oben sieht man die Balken, die abgehobelt wurden als der Einbau der unteren Decke anstand.
Mit der Restaurierung wurde die Firma Zingerle Restaurieungen aus Percha beauftragt. Seit nunmehr zwei Wochen ist sie in der Villa Kinsele tätig. Die Hauptaufgabe besteht darin, die bemalten Balkendecken zu reinigen und kleinere Fehlstellen zu ergänzen. Dort, wo die originalen Bretter verloren gegangen sind, wird nur die Grundfarbe aufgetragen. Glücklicherweise sind diese Flächen klein und wenig einsichtig. Nicht zuletzt sind auch sie Zeugen einer Zeit, wenn auch nicht einer Epoche großen Respekts gegenüber dem Vergangenen.
Ansichtskarte der Woche (2)
Category: Ansichtskarte der Woche
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Eine kolorierte Photographie aus den Jahren der vorletzten Jahrhundertwende. Der Fotograph hat im Rücken die heutige Gelf-Villa und fotografiert Richtung Osten, ganz rechts im Vordergrund ist das Schlernmassiv zu sehen.
Die Gebäude, beginnend von rechts, sind: der Stadel des Doppelbauern, das Wohngbäude, letztlich Hotel Viktoria ist dahinter nicht sichtbar, dann die Westseite des Unterhofers (heute Hotel Post), dann, etwas näher zum Betrachter, ein Nebengebäude des Doppelbauers, in dem – so hörte ich es – das Baubüro der Rittnerbahn untergebracht war, das Kirchlein Maria Schnee (die Villa Kinsele ist hinter den damaligen Kastanienbäumen versteckt), ganz links, zuletzt, eines der beiden von Edmund von Zallinger erbauten Häuser, welche als Lungenheilanstalten gedient haben sollten.
Rechts im Bild sieht man nicht nur den Fahr- und den Fußweg, wie er auch heute noch vorhanden ist, sondern links davon auch eine weitere Trasse. Sofern das Bild nicht retuschiert wurde, müsste das der Unterbau der im Bau befindlichen Rittnerbahn sein. Darauf wurden danach die Geleise samt Schotterauflage verlegt, parallel dazu die Oberleitung errichtet. Somit kann man den Aufnahmezeitpunkt auf Sommer (reifer Getreideacker!) 1906 eingrenzen.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Anonym. (Anfang 20. Jh.). Maria Schnee in Ober-Bozen (1193) am Ritten [Ansichtskarte koloriert]. Sammlung Kobler.
Höhepunkt und Niedergang der Villa Kinsele
Category: Hausgeschichte,Menschen
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert erreicht die Ausdehnung der Kinsel’schen Besitzungen in Maria Schnee ihren Höhepunkt: Die Brüder Richard und Franz Kinsele, Söhne von Alois und Enkel von Franz Sales, lösen ihre Geschwister am Eigentum der Villa ab und erweiteren ihren Besitz an dem Platzl vor dem Haus.
Abb. 1: Ex Libris von Anton Kinsele; er liegt auf der Wiese vor dem heute noch bestehenden Pavillon im so genannten Wegerpark. Die Zeichnung stammt von seiner Cousine Eleonore (Lore) Kinsele. 1920 trennen er und seine Schwester sich von diesem Besitz.
1866 ersteigert Richard Kinsele das angebaute, ältere Sommerfrischhaus von Maria Schnee (wir heißen es immer noch Wegerhaus) und verkauft 1873 an den Bruder Franz seinen Anteil an der Villa Kinsele. Aus dieser Zeit dürfte auch die Tür stammen, welche die beiden Villen direkt verband und wir, inzwischen zugemauert, vorgefunden haben. Das Sommerrefugium, dessen Eigentümer vormals die Familien Menz, Grätzl und Kofler waren, vererbt Richard an seine beiden Kinder Anton und Franziska (Fanny). Diese, beide kinderlos, verkaufen es 1920 an die Familie Weger. Eine weitere Erweiterung erfährt die Villa Kinsele 1880, als Franz auch die untere Wiese samt Gemüsegarten erwirbt. Wann die obere Wiese dazukam, weiß ich noch nicht, 1866 scheint sie noch dem Doppelbauern gehört zu haben, siehe Hinweis in Abbildung 2.
Abb. 2: Versteigerungsedikt, veröffentlicht in der “Bozner Zeitung” vom 6.6.1866. Diese Verlautbahrung ist schon deshalb siedlungshistorisch wertvoll, weil man dadurch u.a. erfährt, wer zu diesem Zeitpunkt Eigentümer der angrenzenden Liegenschaften war.
In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, als der Anschluss des Rittens an das Verkehrsnetz immer wahrscheinlicher wurde, ließ Franz Kinsele das Haus durch den Einbau von Täfelungen und eines Kachelofens ganzjährig bewohnbar machen (ich berichtete hier). Spätestens zu diesem Zeitpunkt verschwanden die barocken Deckenmalereien in drei Räumen unter Holz und Mörtel. Nach seinem Tod im Jänner 1908 erbte sein Sohn Robert das Haus, seine Stiefmutter Aloisia von Rehorovszky hatte jedoch laut Testament ein lebenslanges Fruchtgenussrecht. Als sie 1941 starb, hatte sie ihren Stiefsohn bereits um zwei Jahre überlebt. Der Besitz ging durch Erbschaft auf die beiden Halbschwestern Johanna und Eleonore über, die aber schon seit Jahren im inzwischen von Südtirol abgetrennten Österreich lebten. Sie sahen wegen der großen Entfernung keine Verwendung mehr dafür bzw. konnten sich die Erhaltung des Gebäudes nicht leisten, weshalb sie die Villa Kinsele und die angrenzenden Grundstücke 1943 für 260.000 Lire an meine Großtante verkauften.
Abb. 3: Annonce in den “Bozner Nachrichten” vom 31.1. und 7.2.1915.
Die Familie muss in der Zwischenkriegszeit deutlich ärmer geworden sein, obwohl Robert Kinsele ein angesehener Arzt war. Nur so lassen sich die zahlreichen Hypotheken – in Summe für 55.000 Lire – erklären, die zum Zeitpunkt des Verkaufs auf dem Haus lasteten. Erste Anzeichen von Geldnot sind aber schon früher zu vermuten, denn spätestens 1915 wurde die gesamte Villa Kinsele zur Miete angeboten (Abb. 3).
Abb 4: Auszug aus dem Grundbuch mit den Hypothekarbeslastungen und dem Eintrag der Tilgung durch die Käuferin.
Die Vermietung des Hauses und die damit einhergehende Vernachlässigung der Erhaltung ist sicherlich als negative Entwicklung zu bewerten. Aber gerade dadurch kam die Villa Kinsele mit dem großen Weltgeschehen in Verbindung. In den nächsten Folgen werden wir sehen wie und warum. Es bleibt spannend oder, besser gesagt, es wird spannender.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
KG Ritten I, Einlagezahl 132 (Villa Kinsele). (1907). Grundbuch Gerichtsbezirk Bozen.
Unvermutete enthemmte Polarisierung
Category: Bozen
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Abb. 1: Der Titel der besprochenen Publikation.
Sogenannter “Beifang”, das heißt Erkenntnisse, welche von den eigentlichen Zielen abweichen, ist bei den historischen Recherchen unvermeidlich. Wenn man der Versuchung standhält, sich in der Breite zu verlieren, kann wirklich wertvolles Unvermutetes zu Tage treten. Bei meinen Nachforschungen zu Anton Kinsele fand ich letztlich in der volkskundlichen Zeitschrift “Der Schlern” einen Beitrag über die mir bis dahin unbekannten Bozner Studentenkrawalle von 1908, wo der Bozner Rechtsanwalt und Gemeindepolitiker eine unrühmliche Rolle gespielt haben soll.
“Sie [die Episode] könnte mit Schmunzeln übergangen werden, wenn sie nicht ein bestürzendes Maß von Intoleranz und Gewaltbereitschft enthüllte, das auch in gebildeten liberalen Kreisen im Österreich vor dem Ersten Weltkrieg im Allgemeinen und in der Handelsstadt Bozen im Besonderen vorhanden war, und wenn sie nicht bereits die für den Bestand der Monarchie verderbliche Verbreitung eines alldeutschen Denkens in den letzten Jahren des Vielvölkerstaates bewiese.”
Der Autor, der leider schon verstorbene Rainer Seberich, zeigt anhand verschiedener Zeitungsausschnitte, wie das politische Couleur der Schreibenden die Ereignisse unterschiedlich darstellen lässt. Sehr aufschlussreich für das damalige Politikverständnis ist auch der Bericht über die den Ereignissen folgende Landtagsdebatte. Bemerkenswert finde ich, dass damals – wir wissen, dass die Monarchie in dieser Zeit immer mehr nationalen Spannungen und auch gewalttätigen Entladungen ausgesetzt war – man auch innerhalb derselben Volksgruppen gar nicht zimperlich war. Eine unvermutete Parallele zur heutigen Zeit, in der sich die westlichen Gesellschaften immer mehr polarisieren, in den sogenannten sozialen” Netzwerken aufeinander eingedroschen wird und die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben werden? Ein Unterschied könnte sein, dass die oben genannten Auseinandersetzungen eine kleine Elite als Akteure hatten, während das heutige Internet der breiten Masse die leider allzu oft genutzte Möglichkeit gibt, sich verbal aggressiv zu verhalten, meinte der Historiker Hans Heiss, als ich ihm von diesem Fund und meiner Verwunderung erzählte.
Der sehr lesenswerte Beitrag, der übrigens die Bozner Ereignisse auch in den gesamtösterreichischen Kontext der späten Habsburgermonarchie politisch verortet, kann hier zur Gänze heruntergeladen werden. Der Verlagsanstalt Athesia sei für die Bereitstellung gedankt.
Abb. 2: Die Bozner Bürgersäle, nach Kriegsende abgerissen. Der jetzige Verdiplatz, früher Viehmarktplatz genannt, war, wie man sieht, schon einmal einladender (Bildschirmfoto aus “Schauspielorte in Bozen).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Es handelt sich um ein älteres Exemplar meiner kleinen Sammlung, das Foto könnte vor dem Bau der Rittnerbahn entstanden sein. Der Aufnahmeort dürfte ein Balkon des Doppelbauern (heute als Hotels Viktoria bekannt) sein. Der Blick geht nach Südosten zu den Dolomiten. Links erkennt man in der Ferne Teile des Rosengartenmassivs, rechts den Latemar. Der bewaldete Bergrücken beginnt links beim Wolfsgrubnersee und endet rechts mit dem Signater Kopf. Im Vordergrund ein Teil der Hoferbreiten mit einem pflügenden Ochsengespann am linken Bildrand. Etwas rechts davon, wo der helle Feldweg dem Zaun in der Mitte am nächsten ist, steht heute ungefähr die erste Stütze der Seilbahn. Die Schupfe weiter hinten existiert nicht mehr. Das Anklicken des Bildes bewirkt wie (fast) immer die Vergrößerung der Abbildung.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
J.F. Amonn. (Anfang 20. Jh.). Aussicht auf die Dolomiten [Ansichtskarte]. Sammlung Kobler.
Der Endspurt hat begonnen
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Als im Wesentlichen barocker Bau ist die Villa Kinsele einer reichen Farbigkeit verpflichtet. Auch wenn die Umbauten Anfang der siebziger Jahre, wie schon mehrfach erwähnt, wenig glücklich waren, so wurde doch damals bei der Farbgebung auf die Tradition Rücksicht genommen. Insofern waren die Bewohner schließlich auch an die dominierende weiß-rote Farbgebung der Türen, innen wie außen, gewöhnt. Allerdings wurde diesmal auch vermehrt das sogenannte “Himmelfahrtsgrau” verwendet, vor allem im Inneren der einzelnen Räume.
Abb. 1: Kurzfristig wird die Küche der Wohnung “Robert” zur Malerwerkstatt umfunktioniert. hinten rechts übrigens ein Wandkasten aus der Zeit des Haubaus mit der nooch sehr gut erhlatenen Originalbemalung.
Die Türen der getäfelten Räume blieben auf der Innenseite natürlich unbehandelt. Auf diese Weise bleibt der barocke Charakter des Hauses erhalten, aber an den getäfelten Räumen im Erdgeschoss lässt sich auch die spätere Neigung einer Besitzergeneration zur altdeutschen/neugotischen Wohnungsausstattung ablesen.
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Abb. 2: Ein Blick auf den Stand der Arbeiten am 21. Januar 2025. Noch ist nicht überall der erste Anstrich erfolgt, noch trennen Papierklebestreifen die verschiedenen Farben voneinander, auch die Beschläge sind zum Schutz abgeklebt.
Der Auftrag wurde wieder an die bewährte Firma Alois Langgartner vergeben, welche die Arbeiten in den nächsten Tagen abschließen wird. Ausständig sind dann noch die Restaurierung der Deckenmalereien sowie die Komplettierung der Einrichtung im Appartement “Johanna”.Abb. 2
Bauherrenpreis
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Auch eine Idee für Südtirol?
“Für den jahrelangen Wahnsinn, für das unerbittliche Engagement auf Auftraggeberseite wurde Wilhelm Buchhammer am Freitag mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2024 ausgezeichnet. Der seit 1967 jährlich verliehene Preis holt ausnahmsweise mal nicht die Planer und Architektinnen vor den Vorhang, sondern jene Menschen, die das Risiko eingehen und das Geld in die Hand nehmen, um ebensolche Projekte, um ebensolche Visionen zu realisieren. Der von der Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs (ZV) ausgelobte Preis ist der älteste und konsequenteste seiner Art weltweit.“
Abb. 1: Ausschnitt aus “Der Standard” vom 16.November 2024. Sollte der Beitrag nicht mehr online verfügbar sein, kann man durch das Klicken auf die Abbildung zum Bildschirmfoto desselben gelangen.
Es ist bemerkenswert, dass dieser Preis bereits seit 1967 vergeben wird. Bemerkenswert ist, dass er für alle herausragenden Bauleistungen vergeben werden kann, nicht nur für Revitalisierungen. Ein Preisgeld ist meines Wissens nicht verbunden.
“Der Bauherr:innenpreis wurde 1967 zum ersten Mal vergeben. Die in den vergangenen sechs Jahrzehnten nominierten und prämierten Projekte geben seither einen Überblick über das architektonische Schaffen in Österreich. Die – oft leidenschaftliche – Suche nach Qualitäten in Architektur, Freiraumgestaltung und städtebaulichen Lösungen ist gleich, die Ausdrucksformen sind unterschiedlich. Sie reflektieren die Einflüsse der sich verändernden Rahmenbedingungen der Planer:innen. Deutlich wird das besondere Engagement, der Mut und die Kreativität der Bauherr:innen, die diese Bauten in Auftrag gegeben haben. < Die prämierten Projekte sind nicht nur architektonisch überzeugend, sondern jedes – auf seine ganz eigene Art – auch zukunftsweisend und nachhaltig… Die prämierten Projekte sind nicht Selbstzweck, sondern liefern auf unterschiedliche Weise einen Mehrwert für die Gesellschaft, die Umwelt oder die Baukunst, kurzum für die Baukultur. Dafür danken wir und bitten um zahlreiche Nachahmer:innen.> Veronika Müller, Birgit Schiretz, Wolfgang Ritsch (Präsidium der ZV Österreich)“
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Wie ich bereits in einem früheren Beitrag angedeutet habe, hat die Erschließung des Rittner Hochplateaus durch die Zahnradbahn große bauliche Veränderungen ausgelöst. Sie wären noch viel tiefgreifender gewesen, wenn nicht der Erste Weltkrieg und seine politischen Folgen den Bautätigkeiten eine unerwartete Unterbrechung, die fast bis zur Fertigstellung der Straße im Jahre 1971 dauerte, beschert hätten.
Um das Gebiet vor allem um Maria Schnee und Klobenstein baulich zu erschließen, wurde in Bozen noch während des Bahnbaues der “Oberbozner Grund- und Bauverein” als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet (Abb.1). Für den heutigen Leser besonders interessant: Einige Mitgesellschafter waren gleichzeitig Bozner Kommunalpolitiker, allen voran Bürgermeister Julius Perathoner, die den Bahnbau voller Überzeugung politisch forcierten. Heute wäre eine solche Konstellation völlig unmöglich, die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen zu vordergründig. In den Zeitungen, auch in jenen, die das Wirken des freiheitlichen Bürgermeisters kritisch verfolgten, wurde dies aber nicht thematisiert. Ob nun die Gesellschaft gegründet wurde, um die Bebauung nicht nach dem Gutdünken einzelner Bauherren, sondern gemäß raumplanerisch sinnvollen Grundsätzen durchzuführen, oder ob doch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, oder ob es sich gar um den glücklichen Fall einer Win-Win-Situation handelte, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Sicher ist aber, dass die Bedeutung dieser Gesellschaft für den Ritten noch nicht historisch aufgearbeitet wurde und auch ihre nicht realisierten Pläne, soweit sie noch vorhanden sind, harren noch der Entdeckung. Fest steht auch – das Grundbuch spricht eine eindeutige Sprache – dass der Oberbozner Grund- und Bauverein als unangefochtener Platzhirsch auftrat. Einzig Edmund Zallinger, Grieser Kurdirektor und auch wie die vorigen genannten eifriger Bahnpromotor, war immobilienmäßig in Oberbozen tätig, aber auf einer kleineren Fläche zwischen St. Magdalena und Maria Schnee.
Abb. 1: Bozner Nachrichten vom 20. Dezember 1906.
Mit dem Erwerb der flächen- und gebäudemäßig gut ausgestatteten Bauernhöfe Ober- und Unterhofer hatte sich die Gesellschaft die Filetstücke in und um Maria Schnees gesichert. So wurde der Bahnhof Oberbozen am oberen Rand der Hoferbreiten errichtet, genauso das gleichnamige Hotel. Zum besseren Verständnis sei angefügt, dass der Unterhofer schon damals oft einfach nur mehr Hofer genannt wurde; diese Ungenauigkeit auch im schriftlichen Verkehr hat mir übrigens anfangs die Recherchen sehr erschwert. Um das Beherbergungsangebot in Oberbozen weiter zu verbessern, wurde das Wohnhaus des Unterhofers nun ganz zum Gasthof umgebaut und ein Pächter dafür gesucht (Abb. 2).
Abb.2: Die Annonce in der Bozner Zeitung vom 14. Februar 1907 zeigt uns heute, was einen Gastbetrieb damals attraktiv machte.
Die Umtriebigkeit der Gesellschafter wurde auch medial gewürdigt, wie entsprenchede Zeitungsmeldungen bezeugen (Abb. 3). Mit Davos und St. Moritz als Vorbilder hatte man tatsächlich Großes vor. Während man mit Hans Holzner als anfänglich Pächter, später Eigentümer des Hotel Oberbozen eine kontinuierliche Periode in der Rittner Tourismusgeschichte einläutete – die Familie führt inzwischen den vorbildlich geführten Betrieb in der vierten Generation – , war die Geschichte des heutigen Hotel Post weniger linear.
Abb. 3: Ausschnitt aus einem Bericht in der Bozner Zeitung über die Fortschritte beim Bau der Rittnerbahn vom 16. Februar 1907.
Wie schon beim Hotel Oberbozen 1911 verkaufte die Eigentümergesellschaft auch beim Gasthof Hofer nach einigen Jahren die Liegenschaft an den Pächter und auch hier erhielt der Betrieb den Namen desselben. Die Familie Friedl führte das Hotel bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach übernahm der Hoteldirektor Karl (Carletto) Lang den Betrieb, der in der Folge die bis heute gültige Bezeichnung Hotel Post erhielt. Ausschlaggebend für die Namensänderung dürfte das zwischenzeitlich im Hotel untergebrachte Postamt gewesen sein. Eine Poststation, wie der unbedarfte Gast meinen könnte, hat es hier aber nie gegeben, schon deshalb nicht, weil der Ort an keiner Durchzugsstraße lag.
Abb. 4: Vom Gasthof Hofer (siehe Abb. 5 im vorigen Beitrag) zum Hotel Friedl. Jetzt ist vom vorigen Bauernhof kaum mehr was zu erkennen, eine großzügige Veranda und viele Balkone prägen die Südseite, im Norden ist ein turmartiger Zubau entstanden, die spätere Dependance rechts ist aber noch Wirtschaftsgebäude. Auf Grund der ausschleißlich italienischsprachigen Beschriftung ist die Ansichtskarte der Zwischenkriegszeit zuzuordnen (Ansichtskarte Sammlung Kobler).
Um dem wachsenden Maria Schnee auch eine dörfliche Struktur zu geben, wurden in der Nähe der Kirche zwei Wohnhäuser mit Geschäftslokalen im Erdgeschoss errichtet, welche aneinandergebaut waren und somit den Beginn eines sich weiterzuentwickelnden Straßenzuges ergaben. Heute ist darin das “Tutti Patschenggele” und der “Weissensteiner” untergracht. Dafür musste aber der Stadel des Oberhofers mit seinen Nebengebäuden weichen.
Und wie ging es mit den beiden Höfen weiter? Trotz dass einiges davon verbaut wurde ist durch die Zusammenlegung der Flächen ein bemerkenswert großer Betrieb entstanden. Der Hofer, so sein Name jetzt, wurde gleich nach dem Erwerb 1907 an den Mittelberger Karl Ramoser, einem Schartnerhofsohn und Viehhändler, verpachtet.
Abb. 5: Der Nachruf über Karl Ramoser sen., erschienen in den Dolomiten vom 4. Dezember 1961.
Die Bauersleute nutzten die beiden übriggebliebenen Gebäude, d.h. sie wohnten im alten Oberhofergebäude und als Stadel wurde jener des ehemaligen Unterhofers verwendet. Nachdem das Ende des Ersten Weltkrieges der wirtschaftlichen Expansion ein jähes Ende gesetzt hatte und eine weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs nicht absehbar war, verkaufte der Oberbozner Grund- und Bodenverein 1920 den gesamten Hof an Karl Ramoser. Dieser errichtete in den 1930er Jahren oberhalb der Bäckerei Hackhofer ein großzügiges Bauernhaus und siedelte sich dort an.
Abb. 6: Ganz rechts der in den 30er Jahren neu erbaute Hofer, das Bild dürfte vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sein. Zu sehen ist noch der erste Stadel, der 1966 ein Raub der Flammen wurde (Ansichtskarte Sammlung Kobler).
Das alte Oberhofergebäude wurde später aufgestockt und zu einem Wohnhaus mit Mietwohnungen, der Villa Barbara, umgebaut. Zeitweise war im Parterre sogar die Tapeziererwerkstatt Prast untergebracht. Das benachbarte kleinere Wirtschaftsgebäude, heute zum Gasthaus Babsi erweitert, beherbergte neben einer kleinen Wohnung im Erdgeschoss zeitweise die erste Filiale der örtlichen Raiffeisenkasse.
Abb. 7: Villa Kinsele (links) und Villa Barbara (auf dem Foto leider teilweise von unserer Linde verdeckt) von Süden in den 50er Jahren. Nichts erinnert mehr an das frühere Oberhoferhaus (Foto Sammlung Kobler).Abb. 8: Die Ostseite der Villa Barbara – die Inschrift unter der Loggia ist noch erkennbar – und rechts ein Teil des Wegerhauses, 1985. Das Nebengebäude (Abb. 9) ist bereits abgerissen, das Gasthaus Babsi entsteht (Foto Sammlung Kobler).Abb. 9: Nordseite des Nebengebäudes des ehemaligen Oberhofers, Anfang der 80er Jahre. Der schwer zu findende Eingang zur ebenerdigen Raiffeisenkasse befand sich auf der Ostseite, man musste links durch den schmalen Durchgang zwischen dem Gebäude und der Dependance des Hotels Post gehen. Die Wohnung im ersten Stock wurde vermietet.
Der große Unterhoferstadel brannte 1902 und 1913 durch Blitzschlag ab, wurde aber jedes Mal wieder aufgebaut. Schließlich fiel er nach der Aussiedlung des Hofers der Spitzhacke zum Opfer. An seiner ehemaligen Nordseite stand dann jahrzehntelang der hölzerne Pavillon der Musikkapelle Oberbozen, zuerst ohne, dann mit teilweiser Überdachung. Auch der neue Hoferstadel brannte übrigens schon einmal ab, und zwar 1966, wobei die Brandursache laut Zeitungsbericht diesmal nicht festgestellt werden konnte.
Abb. 10: Das im Zuge der baulichen Entwicklung in Maria Schnee entstandene kleine Handelszentrum: die ehemals als Metzgerei, Gemischtwarenhandlung und Pension genutzten Gebäude Baumgartner-Prock. Vorne links der erste, noch nicht überdachte Musikpavillon mit den fixen Notenpulten, welcher dort errichtet wurde, wo früher der Unterhoferstadel nordseits an den Weg grenzte (Ansichtskarte, vermutlich 1950er Jahre. Auch dieses Mal ein krasser Vedutenschwindel, die im Hintergrund dargestellten Dolomiten liegen tatsächlich im Rücken des Betrachters).
Von nun an erinnerte im Zentrum von Maria Schnee nichts mehr an die vergangene bäuerliche Tätigkeit, der Wandel von ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Gebäuden zu Handel, Dienstleistung und Tourismus war vollzogen.
(Schluss)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Foto Fränzl. (Zwischenkriegszeit). OBERBOZEN am RITTEN bei Bozen – 3330a SOPRABOLZANO m. 1220 sul RENON VILLA LAURIN [Ansichtskarte]. Sammlung Kobler.
Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer (1)
Category: Nachbarschaft,Siedlungsgeschichte
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Unter Blinden ist der Einäugige König
Als ich vor nunmehr vier Jahren mit meinen hobbymäßigen Nachforschungen begann, hoffte ich sehr, auf die Aussagen älterer, besser informierter Personen zurückgreifen zu können. Für die Geschichte des Weilers Maria Schnee haben sich mir aber bisher leider keine wertvollen Gewährsleute zur Verfügung gestellt. Die von mir vorgestellten bisherigen Ergebnisse sind daher im Wesentlichen nur das Ergebnis von Recherchen in den digitalisierten Zeitungs- und Bucharchiven der Tessmann-Bibliothek sowie in den Sammlungen historischer Fotos und Ansichtskarten und natürlich im Kataster- und Grundbuch. In Gesprächen mit Einheimischen äußerten diese oft ihr Erstaunen ob meiner sicherlich nicht herausragenden Erkenntnisse, während mich ihr geringes Interesse an der Ortsgeschichte ebenso verblüffte wie enttäuschte. Wie so oft gilt auch hier: „Unter Blinden ist der Einäugige König“.
Abb. 1: Die drei zentralen Höfe des Weilers Maria Schnee um 1858 (Geobrowser Südtirol, Franziszeischer Kataster 1858, übermalt durch den Autor).
Es ist durchaus plausibel, dass das Mittelgebirge des Rittner Berges schon früh landwirtschaftlich besiedelt war, eignen sich doch die relativ flachen Hänge und die klimatisch günstige Höhenlage sehr gut für den Anbau verschiedener landwirtschaftlicher Kulturen. Insofern dürften auch die drei – ich nenne sie vorerst so – „Urhöfe“ rund um die spätere Maria-Schnee-Kirche schon lange vor der Errichtung der beiden Sommerfrischehäuser bestanden haben. Wie aber sahen diese drei Höfe mit den zum Teil vergessenen Namen (ich berichtete hier zum ersten Mal darüber) früher aus? Der Franziszeische Kataster von 1858, eine überaus wertvolle Quelle, ergänzt durch das Grundbuch von 1908, zeigt uns den Zustand vor den großen Umwälzungen durch den Zahnradbahnbau (Abb. 1).
Wie in Abb. 1 zu sehen ist, war die heutige Villa Barbara das Wohnhaus des Oberhofers, sein Stall/Stadel befand sich etwa dort, wo heute die Familie Holzner ihr „Patschengele“ betreibt. Leider habe ich bis heute kein bildliches Dokument von ihm gefunden. Das heutige Gasthaus „Babsi“ war hingegen ein zweites, damals etwas kleineres Wirtschaftsgebäude desselben Hofes.
Abb. 2: Rechts ein Teil des Oberhofer-Wohngebäudes. Das rustikale Erscheinungsbild des Bauernhauses im Vergleich zur herrschaftlichen Sommerresidenz wird besonders durch die Dacheindeckung und den Bretterzaun deutlich. (Gugler, Fotografie um 1900). Klicken Sie wie immer auf das Bild, um die Ansicht zu vergrößern.
Abb. 3: In der Mitte der Oberhoferbau mit seinem charakteristischen, dominanten Walmdach, links davon, von den Bäumen ziemlich verdeckt, die Villa Kinsele. Ganz links das Hotel Viktoria (Doppelbauer), ganz rechts das Hotel Post (Unterhofer). Ausschnitt einer Postkarte aus der Zwischenkriegszeit.Abb 4: Die Firsthöhe des Oberhofer-Wohngebäudes entsprach jener der Wegerschen Sommerbehausung, welche bis heute sich so darstellt wie auf dieser Vergrößerung einer Postkarte aus der Zwischenkriegszeit.
Die Bauersleute des Unterhofers hingegen bewohnten den Gebäudekern des heutigen Hotels Post. Auch ohne die Anbauten Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts ein stattliches Gebäude. Der große Stall ist allerdings verschwunden, an seiner Stelle steht inzwischen der hölzerne Musikpavillon, die älteren Semester unter uns werden sich noch daran erinnern. Heute dient das Gelände als kleiner Park für die Gäste des Hotels Post. Das ehemalige hölzerne Nebengebäude, das heute zum Bistro Babsi gehört, ist auf den ältesten Fotos als kleines Wirtschaftsgebäude des Hofes zu erkennen.
Abb. 5: Der Unterhofer, inzwischen als “Gasthof Hofer”auch Gastwirtschaft geworden (rechts) in der frühesten mir vorliegenden Abbildung vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die Bahntrasse darunter gut erkennbar. Das massive Wohngebäude wurde gerade zum Gasthof (Hotel Hofer) umgebaut, erkennbar an der ersten Veranda nach Süden und den zahlreichen Dachgauben. Links das Wohnhaus und der Stadel des Doppelbauern.Abb. 6: Ganz links im Vordergrund der heute verschwundene Stadel des Unterhofers und das Wohnhaus, das heutige Hotel Post. Gut erkennbar das Prockhaus und in der Mitte und rechts der Rittnerhof in seiner ursprünglichen Form. Im Vordergrund der leider zugeschüttete Dorfteich.Abb. 7: Der Unterhoferstadel in einer Luftaufnahme von 1907. Dass er hier anders aussieht als in Abbildung 6 kann daher rühren, dass er in der Zwischenzeit abgebrannt und wieder aufgebaut wurde.
Am wenigsten hat sich der Doppelbauer verändert. Zwar erfuhr das Wohngebäude immer wieder Erweiterungen und Adaptierungen, letztlich zum Hotel Viktoria, er ist aber bis heute im Wesentlich en ein Bauernhof mit Gastbetrieb geblieben (Abb. 8 bis 10).
Abb. 8: Von vorne nach hinten: Stadel, Neben- und Wohngebäude des Doppelbauernhofes um die vorletzte Jahrhundertwende (Foto, Sammlung Kinsele-Kobler).Abb. 9: Das Wohnhaus des Doppelbauern von Südwesten. Gut zu erkennen ist die mächtige Lärche, die lange Zeit das Ortsbild prägte und auch in die Literatur Eingang gefunden hat. Das Kellergeschirr im Vordergrund deutet darauf hin, dass auch hier, oberhalb der Weinbauzone, Wein gekeltert wurde, vermutlich für die Gäste des Hauses. Es gibt Hinweise darauf, dass der Doppelbauer der erste Gasthof in Maria Schnee war (Foto, Sammlung Kinsele-Kobler).Abb.10: Von links nach rechts: Kirche Maria Schnee, Villa Kinsele, Unterhofer (etwas verdeckt), Doppelbauer (Ansichtskarte um 1900).
Um zu zeigen, auf Kosten welcher Gründe die Entwicklung vom bäuerlichen Maria Schnee zum heutigen suburbanen Oberbozen stattgefunden hat, habe ich in der Abb. 10 auf der Ortofotokarte von 2023 die Grenzen der Höfe, Stand um 1900, eingezeichnet. Es ist leicht zu erkennen, dass der Doppelbauer von der baulichen Expansion kaum betroffen war, der Oberhofer hingegen massiv. Auch die beiden Wiesen rund um unsere Villa Kinsele gehörten früher zum Oberhofer.
Abb. 10: Die Aufteilung der verschiedenen Grundstücke von Maria Schnee auf die drei Höfe Oberhofer (rote Umrisse), Unterhofer (grün) und Doppelbauer (schwarz) vor dem Bahnbau. Grafische Grundlage ist der Franziszeische Grundkataster, die Umrisse wurden auf Basis der Katastralmappe 1908 erstellt.
(Fortsetzung folgt)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Wahrsch. Robert oder Eleonore Kinsele. (Anfang 20. Jhdt.). Stadel und Wohnhaus des Doppelbauer von Südwesten gesehen. [Fotografie]. Sammlung A. Kobler.
Anonym. (Anfang 20. Jh.). Ritten, Tirol: Maria Schnee mit dem Rosengarten [Ansichtskarte]. Sammlung Kobler.
Die Bahn war schuld (2)
Category: Menschen,Siedlungsgeschichte
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
… oder war es doch der Wille der Sommerfrischgesellschaft?
Zu der verkehrsmäßigen Erschließung des Rittner Hochplateus hatten die Bozner Sommerfrischler immer ein gespaltenes Verhältnis. Die Zahnradbahn zuerst, die Seilbahn danach und zuletzt die vollständige Anbindung an das Straßennetz wurden und werden natürlich auch von ihnen in den Sommermonaten genutzt – deshalb auch die Würdigung eines wesentlichen Förderers aus ihren Reihen durch die Schützenscheibe (Abb. 1) . Man wollte aber gleichzeitig weiterhin größtenteils nur unter sich bleiben; Oberbozen sollte ein ruhiges Rückzugsgebiet der dortigen Hausbesitzer bleiben, kein Ort für Touristen oder Zuzügler.
Abb1: Scheibe des Oberbozner Schießstandes: Nr. 111, Jubiläumsfest des Edmund von Zallinger-Thurn 1913. “…der Wasserleitung, Eisenbahn in’s Leben rief: Ein Hoch dem Mann!” (Braitenberg et al. 1994)
Hans von Hoffensthal, hat mit seinem – ich kann es nicht oft genug wiederholen – wunderbar melancholischen Essay “Abschied von Oberbozen” 1907 dieser Haltung ein hervorstechendes Denkmal gesetzt. Ganz so schlimm, wie es der Bozner Dichter voraussah, ist es dann, zumindest was die alte Sommerfrischesiedlung angeht, zum Glück doch nicht gekommen, die Bozner wussten sich zu wehren. Man kann diese Haltung natürlich als opportunistisch, gar als Ausdruck von Snobbismus interpretieren, aber auf diese Weise ist uns allen ein einzigartiges Ensemble mit hohem kulturellen Wert erhalten geblieben.
Anders als, um in der Nähe zu bleiben, Lengmoos und Klobenstein. Dem geübten Blick entgehen dort nicht die größtenteils sogar älteren Sommerfrischbehausungen. Sie sind aber in der Zwischenzeit von anderen Gebäuden umzingelt und in der dörflichen Siedlungsstruktur des Rittner Hauptortes aufgegangen.
Als es in den ersten Jahren nach 1900 darum ging, die “Trace”, wie man damals schrieb, konkret zu planen, galt es natürlich auch,die topografischen Gegebenheiten des Bergrückens und die technischen Möglichkeiten berücksichtigend, zu entscheiden, welche Ortsteile von der Bahn unmittelbar erschlossen werden sollten. Nachdem der erste Trassenverlauf, der über Unterinn und Klobenstein sogar das Rittnerhorn erreichen sollte, verworfen wurde, sollte die Bahn über den Rebhügel von St. Magdalena und ober der Rivelaunschlucht Oberbozen anfahren und dann bis Klobenstein weitergeführt werden. Doch wo und wie intensiv sollte Oberbozen von der neuen Infrastruktur berührt werden? 1904 hat das Aktions-Komitee zur Förderung des Rittnerbahn-Baus eine üppige Broschüre mit viel Text und schönen Illustrationen drucken lassen; aber wo genau die Haltestellen an der Strecke geplant waren, konnten oder wollten die Macher nicht einzeichnen (Abb. 2).
Abb. 2: Schematischer Trassenverlauf der geplanten Rittner Zahnradbahn (Aktions-Komitee 1904)
Nicht die gesamte Sommerfrischegesellschaft stand der Erschließung negativ gegenüber. Laut Demar (2007) forderten während den Bauverhandlungen Alois v. Mackozitz und Anton von Walther auch im Namen von anderen Oberbozner Hausbesitzern eine Haltestelle in erreichbarer Nähe. Schlussendlich endete die Zahnstange, wo also die Schublok ab- und angekuppelt wurde, zwischen Maria Himmelfahrt und St. Magdalena, etwas unterhalb der Häusergruppen. Passagiere konnten dort zwar aus- und einsteigen, die Struktur wurde aber bewusst klein gehalten. Auch wenn sie gleistechnisch 1909 erweitert wurde, ihr Name blieb “Haltestelle Himmelfahrt”, nicht Bahnhof!
In Maria Schnee, auf der Hoferbreiten, entstand dann der erste komplett ausgestattete Bahnhof der Strecke nach Bozen, mit gemauertem Gebäude, großzügiger Passagieraufnahme, Warteraum und auch einer Verladerampe samt Schuppen für Güter. Es war also geplant, dass in diesem, bis zu diesem Zeitpunkt kleinsten Ortsteil Oberbozen Größeres entstehen sollte. Es begann damit, dass in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof von der Rittnerbahngesellschaft das luxeriöse “Hotel Maria Schnee” erbaut wurde. Der Bahnhof bekam hingegen von Anfang an, klar auch an den Fahrplänen erkennbar (Abb.3), den Namen Oberbozen.
Abb. 3: aus “Der Tiroler” 1907.
Hinsichtlich der Logik nicht nachvollziehbar, aber angesichts der angestrebten touristischen und baulichen Entwicklung in diesem Ortsteil – man kann durchaus von einer Goldgräberstimmung sprechen (Abb. 4) – , versprach der Name Oberbozen mehr Ausstrahlung und damit Attraktivität. Gleichzeitig wurde die Aufmerksamkeit der Touristen vermehrt auf diesen östlichen Teil Oberbozens gelenkt, was den ruhesuchenden historischen Sommerfrischlern, die ja hauptsächlich in Maria Himmelfahrt und St. Magdalena ihre Häuser hatten, nur Recht sein konnte.
Abb. 4: aus Wolf (1907). “… 200 Landhäuser…”!
Das Hotel selbst, zuerst verpachtet, dann verkauft, wurde nach kürzester Zeit in Hotel Oberbozen umbenannt. In den zwanziger Jahren bekam es dann den noch heute gültigen Namen der zuerst Pächter- dann Eigentümerfamilie Holzner. Diesem ersten Bauboom wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges ein jähes Ende bereitet. In knapp zehn Jahren war die Gegend um das Kirchlein Maria Schnee mit hauptsächlich Villen und Beherbergungsbetrieben nicht nur zur größten Siedlung Oberbozens angewachsen, sondern war erstmals auch mit dörflichen Strukturen wie einer Bäckerei, einer Metzgerei und Geschäften ausgestattet (Abb. 5).
Abb. 5: Maria Schnee in den ersten Jahren nach der Eröffnung der Rittnerbahn. Rechts im Vordergrund das heutige Hotel Holzner, das noch ursprüngliche Bahnhofsgebäude mit dem Warenmagazin, wo heute die Remise steht. Zwölf der neunzehn im Vordergrund sichtbaren Gebäude sind zur Zeit des Bahnbaues entstanden (Postkarte Sammlung Kobler).
Nachdem die Bahn damals eine Monopolstellung für den Transport von Menschen sowie Waren hatte und demzufolge sich auch die Benennung der Bahnstationen bewusstseinsbildend auf die Menschen auswirkte, begann man immer öfter den Ortsteil, welchen man seit zweihundert Jahre Maria Schnee geheißen hat, als Oberbozen zu bezeichnen. Der Name, der ursprünglich für den ganzen westlichen Teil des Rittner Plateaus gegolten hatte, wurde umgangssprachlich jetzt also auf einen von der Ausdehnung her kleineren, aber hinsichtlich der Bedeutung immer wichtiger werdenden Teil reduziert. Die westlicher gelegenen, mehr oder weniger unverändert gebliebenen Siedlungsplätze Sankt Magdalena und Maria Himmelfahrt wurden hingegen von der Bevölkerung zunehmend unter letzerem Namen zusammengefasst. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen findet man noch althergebrachte Erwähnungen (Abb. 6), aber danach wird nur mehr zwischen Himmelfahrt – auf das Maria wird im täglichen Sprachgebrauch verzichtet – und Oberbozen unterschieden (Abb. 7).
Abb. 6: aus “Alpenländerbote”, 1933.Abb. 7: aus “Dolomiten”, 1950. Begräbnis von Peter Gostner und Josef Zwerger.
Um auf die Frage im Titel zu kommen: Das Aktionskomitee der Rittnerbahn und der Oberbozner Grund- und Bauverein – die großen “Player” bei der baulichen Entwicklung Oberbozens – ignorierten sicherlich nicht die Bedenken und Wünsche der historischen Sommerfrischlerfamilien. Edmund von Zallinger und Wilhelm von Walther bei der Rittner Bahn (Abb. 8) sowie Anton Kinsele und Anton von Walther in der Immobiliengesellschaft waren alle Mitglieder der Oberbozner Schützengesellschaft. Mit der Verlagerung der baulichen Entwicklung nach Maria Schnee/Oberbozen wurden zwei Ziele erreicht: Maria Himmelfahrt und St. Magdalena blieben mehr oder weniger ursprünglich und die Immobilienmakler konnten sich auf Maria Schnee und Umgebung konzentrieren, wo sie sich in der Grundstücksentwicklung aufgrund der einfacheren Eigentumsverhältnisse sowieso leichter taten.
Abb. 8: Die Mitglieder des Aktions-Komitees der Rittner Bahn (Aktions-Komitee 1904).
Heute erinnern sich kaum noch Leute, auch nicht Einheimische, an die alte Dreiteilung Oberbozens. Man muss oft schon von Glück reden, wenn das Kirchlein Maria Schnee selbst als solches beim Namen erkannt wird, schon schade… Schlussendlich ist diese Geschichte ein gutes Beispiel für ein universales Prinzip: die normative Kraft des Faktischen.
(Schluss)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Braitenberg, C. von, Andergassen, L., Walther, F. von, Kofler, O., & Braitenberg, C. von. (1994). Die Schützenscheiben von Oberbozen: Symbole eines ritterlichen Exercitiums (Völlig umgearbeitete und ums Doppelte erw. Neuaufl.). Edition Raetia.
Anonym. (1950, August 30). Abschied von zwei Oberboznern. Dolomiten, 6.
Die Wappenscheibe
Category: Heraldik,Menschen,Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Pünktlich mit dem jahreszeitlich bedingten Kälteeinbruch konnte der Tischler endlich auch die gerade fertigestellte Oberlichtenverglasung (Abb. 1) einsetzen. Von links nach rechts sind die Familienwappen der Familien Lanner, Kinsele, v. Menz und Kobler zu erkennen. Die erste Jahreszahl markiert das Jahr der Erbauung des Hauses in der jetzigen Form, die zweite hingegen das Ende der aktuellen Renovierungsarbeiten.
Abb. 1: Die Haustüre von innen gesehen.
Ausgehend von einer alten Aufnahme, welche sehr wahrscheinlich Franz Kinsele in der Türöffnung der Villa Kinsele abbildet und wo man sein Familienwappen, bleiverglast, darüber eindeutig erkennen kann (Abb. 2), wollte ich in Anlehnung daran die bisherigen Hauseigentümern symbolisch vergegenwärtigen.
Abb 2: Die Oberlichte in vergangen Zeiten. Wenn man genauer hinseiht, erkennt man darin bleiverglast das Kinselsche Wappen. In der Tür, Zigarre rauchend, sehr wahrscheinlich Franz Kinsele (1831 bis 1908) um 1890. (Foto Sammlung Kobler)
Für die Herstellung konnte ich Frau Alessandra Piazza aus Bozen gewinnen, welche in ihrem Atelier Vetroricerca kunstvolle Glasarbeiten durchführt. Aus der dortigen Webseite zitiere ich:
“Alessandra Piazza wuchs in Bozen auf. Im Jahr 1987 zog sie nach Bologna und schrieb sich an derDAMS-Kunst ein. Parallel zu ihrem Studium arbeitete sie in einer Restaurierungswerkstatt für antikes Glas und verliebte sich in das Material Glas. Sie wird ihr Studium 1993 mit einer Arbeit über die experimentelle Restaurierung der Glasfenster in der Basilika San Francesco in Assisi abschließen. 1997 kehrte sie nach Bozen zurück und wurde von Alessandro Cuccato eingeladen, mit einer Gruppe von Künstlern Vetroricerca – Centro sperimentale della lavorazione del vetro zu gründen. Im Jahr 1999 entwarf sie ihre ersten Schmucklinien. Unter den verschiedenen Aktivitäten in diesem Bereich möchte sie an die exklusive Linie erinnern, welche sie 2005 für den Shop des Corning Museum of Glass, NY. U.S.A. kreiert hat. Dort hat sie im selben Jahr mit Silvia Levenson, die dort als Artist in Residence wirkte, zusammengearbeitet. Im Laufe der Jahre hat sie in der Vetroricerca Glasbearbeitungstechniken unterrichtet und mit zahlreichen nationalen und internationalen Künstlern bei der Schaffung von Originalwerken zusammengearbeitet. Gleichzeitig entwickelte er eine Leidenschaft für das Design von Geschirr und entwarf zusammen mit renommierten Köchen innovative Formen, die eigens für von ihnen erfundene Gerichte konzipiert wurden. Seit 2015 widmet er sich kontinuierlich der Produktion von Auftragsarbeiten sowie der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Bildhauerei. Es gibt zahlreiche Künstler, mit denen sie zusammenarbeitet; 2019 wurde das für den Künstler Otobong Nkanga geschaffene Werk für die Biennale Arte in Venedig ausgewählt. Sie liebt es, die Berge seiner Region zu erkunden. Eine Leidenschaft, die er mit seinen beiden Söhnen, Jacopo und Leonardo, teilt. Im Jahr 2019 hat er das Projekt Impronte2000 ins Leben gerufen, mit dem sie Alpenflora und Glas in einen Dialog bringt.“
Abb 3: Frau Alessandra Piazza in ihrem Bozner Atelier.
Hat die Famile Kobler wirklich das Recht, ein Wappen zu führen?
Um es gleich vorwegzunehmen: ein legitimierender Wappenbrief liegt nicht auf und auch in der Fischnaler-Wappenkartei sind Kobler nicht zu finden. Die Tatsache, dass der den Adeligen vorbehaltene Bügelhelm statt dem Topfhelm aufscheint (Abb. 4), spricht ebenfalls nicht unbedingt für dessen Autentizität. Mein Vater hat mir vor vielen Jahren gesagt, ein befreundeter Priester habe das Wappen vor längerer Zeit gefunden, mehr konnte er mir nicht sagen. Spätestens jetzt sei auf den wertvollen Beitrag von Wilfried Beimrohr hingwiesen, der 1987 einen populärwissenschaftlichen Aufsatz zur Wappenkunde verfasst hat. Aus diesem zitiere ich den passenden Absatz:
“Wappenbüros und Wappenfirmen, die zum Teil schon im 18: Jahrhundert aufkamen und auf gewerberechtlicher Basis arbeiteten, witterten das Geschäft und begannen ihren Kunden Wappen zu verkaufen. Dabei gab es zwei Möglichkeiten, zu Geld zu kommen: Dem Kunden wurde ein Phantasiewappen angedreht mit einer ebenso phantasievoll konstruierten Herkunft des Wappens und seiner “ursprünglichen” Träger. Die elegantere Lösung war, für den zahlungswilligen Interessenten das so lange verschüttete Familienwappen auszugraben: die “Entdeckung” bestand darin, daß das Wappen einer historisch nachweisbaren Person oder Familie, die den gleichen oder einen ähnlichen Familiennamen wie der Kunde trug, als “dessen” Familienwappen wiedergefunden wurde. Derart dubiose Geschäftspraktiken, die dem Interessenten falsche Tatsachen vorspiegeln, gehören keineswegs der Vergangenheit an; noch heute bieten kommerziell geführte Wappenfirmen ihre zweifelhaften Dienste an. Auch die Methoden haben sich nicht verfeinert.“
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Die Summe dieser Hinweise hat mich in meiner skeptischen Grundhaltung bestätigt, wusste ich doch schon vorher, dass neben den Adeligen nur wenige Bürger und noch weniger Bauern, sofern mit Beamtenfunktionen betraut, ein Wappen verliehen bekamen. Doch es gibt auch noch eine nette, zudem erstaunliche Geschichte: Meine Mutter hat sich und ihrem späteren Mann zur Verlobung 1955 einen Goldring mit dem vermeintlichen Wappen der Kobler, in Lagerstein graviert, geschenkt. Anlässlich meiner Volljährigkeit hat sie dann den ihren, natürlich passend erweitert, mir weitergegeben und fortan begleitet er mich bei besonderen Anlässen (Abb 4).
Abb. 4: ein sogenannter Siegelring.
Ein dieser war ein Ball der Universität Innsbruck, den ich Ende der 80er-Jahre besuchte. Es ergab sich, dass dort oder bei einen vorhergehendem oder nachfolgendem Lokalbesuch, ein mir unbekannter Mann ungefähr gleichen Alters neben mir am Budel gesessen hat. Irgendwann sprach er mich mit der Frage an: “Bist Du auch ein Kobler?” Auf meinem natürlich sehr erstaunten Gesichtseindruck reagierend antwortete er, dass er mich am Wappenring erkannt habe. Es war Elmar Kobler, der im Pustertal aufgewachsen ist, aber wie ich Vintschger Wurzeln hat. Auch dessen Familie, mit der wir sicher nicht unmittelbar, vielleicht aber über fünf Ecken verwandt sind, – ich konnte auch mit seinen Brüdern Urban und Christian letztlich sprechen – weiß nicht genaueres über das Wappen, aber die Tatsache, dass sie das gleiche führen, macht einen doch stutzig. Ist da doch etwas mehr dahinter?
Der von mir in dieser Sache befragte Gustav Pfeifer, derzeitiger Direktor des Südtiroler Landesarchivs und sehr beschlagen in Sachen Heraldik, teilt meine angelesene Skepsis, argumentiert ähnlich wie oben Beimrohr. Nicht d’accord gingen wir damals hinsichtlich meinen Skrupeln das Wappen in jedweger Verwendungsform zu verwenden, ich wollte keine vermutliche Fälschung weiterperpetuiren. Im Auszug aus unserem Mailverhkehr, meint er:
“Ich würde jetzt nicht explizit von „Fälschung“ sprechen wollen: Um 1820 endet bei uns die Verleihung von Wappen an nichtadelige Personen/Familien. Ab dann werden bis zum Ende der Monarchie neue Wappen von obrigkeitlicher Seite nur noch im Zusammenhang mit einer Erhebung in den Adel vergeben (oder bereits geführte „gebessert“), was einen Markt für sogenannte Wappenbüros schuf, die sich das Bedürfnis nichtwappenführender Personen/Familien nach einem eigenen Wappen zunutze machten und den Markt mit ihren – aus historischer Sicht freilich in aller Regel wertlosen – Produkten bedienten. Dabei spielte man sicher mit der Unwissenheit der „Kunden“, zugleich offenbart sich die geringe Seriosität dieser Wappenbüros oft, wenn etwa selbst heraldische Grundregeln nicht beachtet wurden (wie die Geschichte mit den korrekten Helmformen).
Andererseits: Da Ihr Ring noch aus den fünfziger Jahren stammt und auch die Abbildung ein gewisses Alter hat, ist das ja an und für sich auch schon eine Art Geschichte, nur vielleicht nicht die, die damit suggeriert werden sollte.“
Diese milde Urteil aus berufener Hand, sowie die leise Hoffnung, dass vielleicht doch noch eines Tages eine Rechtfertigung ans Tageslicht treten könnte, hat in mir meine aktuelle Haltung zu diesem Wappen wachsen lassen: ich benutze es sparsam im Sinne, dass ich es nicht vervielfältige, indem ich es z.B. auf Visitenkarten, Briefpapier oder Visitenkarten verwende, und den Ring trage ich an Festtagen mehr zum ein Andenken an meine Frau Mutter als ein Zeugnis von Familiengeschichte. Meine Skepsis hinsichtlich der Historie spreche ich weiterhin bei Bedarf an. Durchringen konnte ich mich schlussendlich doch, es auf die Oberlichte setzen zu lassen, kann doch nur so die Eigentümerabfolge bildlich dargestellt werden.
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Pfeifer, G. (2023, July 10). Heraldik [Personal communication].
P.S.: Das ist übrigens der 100. veröffentlichte Beitrag!
Die Gemüse-Greatl
Category: Menschen
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Wenn dieser Name fiel, wusste jeder in Oberbozen sofort, wer gemeint war. Meiner Generation wird sie immer im Gedächtnis bleiben, war sie doch mit ihrem Gemüsestandl in der östlichen Ecke der Lunwiese, unweit des Bahnhofes Oberbozen, eine wichtige Konstante im Dorfleben. Ganz Oberbozen kaufte bei ihr ein, von frühmorgens bis spätabends nahm das Herrichten, Verkaufen und Verräumen des feilgebotenen Obstes und Gemüses sie und ihren Mann in Beschlag. Deshalb haben wir ihr auch diesen Übernamen gegeben. So mancher Sommerfrischler ließ sich die Ware sogar von ihrem Boten ins Haus bringen. Später übersiedelte ihr Geschäft in einen Neubau, immer in Bahnhofsnähe. Vor nicht allzu langer Zeit ist Margareth Pechlaner-Burger im 87. Lebensjahr verstorben. Mit ihren beiden Buben, hauptsächlich mit dem älteren, dem Thomas, habe ich immer im Sommer abends am Eishockeyplatz Fußball gespielt. Ihnen gilt mein Beileid.
Die achzehnjährige Pechlaner Greatl beglückwünscht meine Eltern zu ihrer Hochzeit am 22. Juli 1956 auf dem heutigen Riehlplatz. Sie sind gerade zu Fuß von der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt gekommen und sind dabei, das Hotel Holzner zu errreichen, wo das Hochzeitsmahl auf sie wartet (Foto Sammlung Kobler).
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Familie Burger. (2023, October 21). Todesanzeige Margareth Burger. Dolomiten, 11.
Covergirl ist unsere Villa Kinsele nicht geworden, aber…
Category: Renovierung
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
…trotzdem ist ein vielbeachteter Beitrag in der Bauen-Beilage der Wochenzeitschrift ff entstanden. Mich freut es für unseren Architekten Franz Kosta, gibt ihm diese Publikation doch die wohlverdiente mediale Sichtbarkeit. Ja, ich weiß, im Text sind auch einige Ungenauigkeiten zu finden, darauf hatte ich zu keiner Zeit Einfluss. Aber die Message, welche unterstützt durch die tollen Aufnahmen von Alexandra Clement vermittelt werden soll, kommt m.E. trotzdem gut herüber, der Artikel hat damit sein Ziel nicht verfehlt.
Die Bahn war schuld (1)
Category: Siedlungsgeschichte
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
… oder war es doch der Wille der Sommerfrischgesellschaft?
Mit dem Aufkommen des Interesses am westlichen Ausläufer des Rittnerberges durch die Bozner Patrizier – zuerst durch den Sandsteinabbau, danach durch die Möglichkeit des sommerlichen Aufenthalts – wurde dieser in der Folge Oberbozen (auch Oberbotzen, Oberpozen) genannt. Vorher bildeteten die verstreut liegenden Bauernhöfe der Gegend die St.-Jakob-Malgrei. Die namensgebende, den Heiligen Georg und Jakob geweihte, gotische Kirche auf dem schon in der Vorzeit besiedelten Hügel war lange Zeit das einzige Gotteshaus der Gegend.
“… das 4. [Viertel] ist Ober Pozen, ein sehr schons, lustiges ort von ebne wisn und larchenen Woltung; die kirh da rast bey San Jörgen; “ (Wolkenstein v. M.S., 1600)
Im Zuge der Besiedelung durch die Sommerfrischlerfamilien ab 1609, als Balthasar Heisserer am Karlerhof das erste Hitzerefugium errichten ließ, wurden von diesen auch vier Kirchen in unmittelbarer Nähe der Behausungen errichtet. Es sind dies von Westen nach Osten: Maria Einsiedeln (privat), Maria Himmelfahrt (die größte, öffentlich), Maria Magdalena (privat) und Maria Schnee (früher privat, jetzt öffentlich). Um die neu erbauten Häuser zu verorten, wurden die Namen der drei letztgenannten Kirchen verwendet. Am meisten Villen entstanden rund um die spätere Pfarrkirche Maria Himmelfahrt, etwas weniger in St.Magdalena und gar nur zwei im Ortsteil Maria Schnee.
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Abb. 1 bis 5: die historischen Kirchen Oberbozens (aus Rampl 2007).
Die Einteilung hat sich offensichtlich bewährt, wurde sie doch in den jeweiligen Landesbeschreibungen (Abb. 6) und mit dem Aufkeimen eines zaghaften Tourismus auch in den allmählich erscheinenden Fremdenführern (Abb. 7 und 8) verwendet.
Abb.6: aus Staffler 1846. Sollten in der Aufzählung ganze Höfe als Häuser gegolten haben, dann müssten laut dem franziszeischen Katastermappen von 1858 neben den beiden genannten Sommerfrischhäusern der Ober- und Unterhofer, der Doppelbauer, das Gebäude des jetzigen Rittnerhofs und der alte Ziegelstadl, jetzt Riz-Villa, gemeint sein.Abb. 7: aus Lewald A. 1838.Abb. 8: aus Wolf. 1909.
Bemerkenswerte Ergebnisse hat die Recherche im historischen Teil des Grundbuches zu Tage gebracht. Und zwar werden für den westlichen Ausläufer des Rittner Mittelgebirges nur zwei Flurnamen verwendet: Oberbozen und Maria Schnee. Zwischen 1907 und 1910, als das Grundbuch in der heute bekannten Form angelegt worden ist, gab es schon, wenn auch nur seit kurzem, die Rittnerbahn. Besonders der parallel dazu entstandene Oberbozner Grund- und Bauverein (dessen Tätigkeit wird in Zukunft ein eigener Beitrag gewidmet), hatte schon in diesen ersten Jahren des Umbruchs die bauliche Entwicklung des Ortes in beträchlichem Ausmaß vorangetrieben; vom Ortsteil mit den wenigsten Behausungen sollte er bald der an Anzahl bedeutendste werden.
Abb. 6: ausgewählte Ausschnitte aus dem historischen Teil des Grundbuchs Ritten I, 1909. Abgebildet ist jeweils das A1-Blatt, weil es u.a. die Benennung des Riedes (Ortsteil, Lage) enthält.
Alle anderen den Grundbuchskörper bildenden Parzellen der Gegend wurden mit der Verortung Oberbozen eingetragen, seien es die im Westen wie die im Osten von Maria Schnee gelegenen, z.B. steht bei allen Häusern in Maria Himmelfahrt und Sankt Magdalena aber auch bei den Höfen Wieser, Köck und Geyrer Oberbozen in der Spalte Benennung des Riedes. Die Abbildung 7 veranschaulicht zum besseren Verständnis auf der heutigen Orthophotokarte die ungefähre Abgrenzung der Bezeichnungen.
Abb. 7: Aus dem Geobrowser, Auschnitt Oberbozen, 2023. Der rote Rahmen begrenzt in groben Zügen alle jene Grund- und Bauparzellen, bei denen als Ried “Maria Schnee” angegeben wurde.
Ich kann mir diese Eigentümlichkeit damit erklären, dass schon in den Jahren rund um die Errichtung der Rittnerbahn geplant war, – die Rolle des Oberbozner Grund- und Bauvereins ist auch diesbezüglich deutlich sichtbar – die Gegend um Maria Schnee als zukünftiges Zentrum der baulichen Entwicklung schlussendlich auch namentlich hervorzuheben. Doch gekommen ist es dann doch ganz anders…
Abb. 8: Die Trasse der Rittnerbahn ist noch nicht ersichtlich, weswegen diese Ansichtskarte vor 1907 entstanden sein muss. Vor dem Bahnbau waren die Oberbozner Ortsteile Maria Himmelfahrt und St. Magdalena eine Postkarte wert, das wesentlich dünner besiedelte Maria Schnee noch nicht.
(Fortsetzung folgt)
In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:
Wolff, K. F. (1909). Führer durch Bozen-Gries: unter besonderer Berücksichtigung der vier neuen Bergbahnen und der großen Dolomitenstraße. Eigenverlag.
J.F. Amonn. (Um 19hundert). Oberbozen, 1193 m, in Tirol [Ansichtskarte]. Sammlung A. Kobler.
Grundbuch und Kataster als wichtige Quellen
Category: Werkzeuge
geschrieben von Armin Kobler | 5. April 2025
Wenn man die Bau- und Eigentumsgeschichte ab ca. 1907 erforschen will, dann sind die Grundbucheintragungen ein unerlässliches Hilfsmittel. Grafisch kann man Situationen mit Hilfe der ersten umfassenden Katasterkarte sehr übersichtlich sogar bis zur 1858 zurückverfolgen. Und das Gute dabei ist, dass man dabei ist, auch die historischen Teile der beide Institutionen zu digitalisieren, womit der Zugriff der Bürger weiter erleichtert wird.
Digital (GeoBrowser) und analog (Grundbuchfolianten) in guter Ergänzung.
Grundbuch und Kataster in Südtirol sowie in den anderen Provinzen Italiens, welche nach 1918 zu Italien geschlagen wurden, stammen noch von der österreichischen Verwaltung und wurden wohlweislich von den neuen Machthabern, begrenzt auf die obgenannte Gebiete, übernommen. Das österreichische Grundbuchssystem hat sich nach allgemeiner Meinung ab dem 12. Jahrhundert bzw. seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus dem Institut der “Landtafeln”, das in einigen Gebieten der Habsburger Monarchie – nämlich in Böhmen, Mähren und Oberschlesien – bestanden hat, entwickelt. Dort hatte sich nach und nach der Grundsatz durchgesetzt, dass Rechte an Liegenschaften nur nach erfolgter Kundmachung und zwar durch Eintragung in bestimmte Verzeichnisse (Tabulae, Tafeln) erworben werden. Die Eintragung in das Verzeichnis hatte demnach nicht nur bloße Beweiskraft, sondern auch substantielle, rechtsbegründende Wirkung: der Inhalt des Verzeichnisses konnte nicht bestritten werden und die mangelnde Kenntnis der Eintragungen des Verzeichnisses war irrelevant. (Landesverwaltung 2024)
Das Titelblatt eines Folianten des Grundbuches.
Das Kataster gibt hingegen Auskunft über die Lage und die Größe sämtlicher Grundstücke und Gebäude sowie deren Nutzung. Auf unserem Gebiet – sowie in Teilen anderer Provinzen Norditaliens, die früher ebenso zum alten Kaiserreich gehörten, wie Trient, Belluno, Trieste usw. – ist noch heute der österreichische Grundkataster in Kraft, der von Kaiser Franz I. von Österreich mit allerhöchstem Patent vom 23. Dezember 1817 zum Zweck des Grundsteuerausgleiches eingeführt wurde: “… In Erwägung der Missverhältnisse, welche bey der Umlegung der Grundsteuer nach dem bestehenden Maßstabe der Verteilung für ganze Provinzen, Kreise, Distrikte und Gemeinden, wie für einzelne Contribution hervorgehen …”. So wollte man einen geometrischen parzellenbezogenen Kataster aufbauen, gestützt auf die Vermessung und die “stabile” Schätzung. Für jede einzelne Parzelle musste mittels direkter Schätzung der ständige steuerpflichtige Wert bestimmt werden, d.h. der Nettoertrag mit Bezug auf die Jahre mit durchschnittlicher Produktivität. (Landesverwaltung 2024)
GeoBrowser MapView: Ein Ausschnitt des aktuellen Katasters von Maria Schnee/Oberbozen. Eingeblendet, siehe linke Leiste, sind die Parzellen und ihre Nummern. Wie immer zur größen Ansicht die Abbildung anklicken.
Es ist daher ausreichend, die Parzellennummer zu kennen, um mehr über die Geschichte und den gegenwärtigen Status der Liegenschaft zu erfahren und mittels der Einlagezahl alle Informationen, die die Immobilieneinheit betreffen, zu erhalten. Die Applikation GeoBrowser MapView der Südtiroler Landesverwaltung ist ein probates Hilfsmittel, das die Vorteile der Digitalisierung sehr gut ersichtlich macht. Sicherlich stand nicht die Hilfestellung für Hobbyhistorikern im Vordergrund, aber ohne ihr würde ich für meine siedlungsgeschichtlichen Nachforschungen zehn Mal mehr Zeit brauchen.
GeoBrowser MapView: Die Ansicht der Parzellen kann auch mit einer aktuellen Ortophoto-Karte (Einstellung unten links) unterlegt werden. So kann man sich besser zurechtfinden, schneller die gesuchten Parzellen ausfindig machen.
Im GeoBrowser MapView stehen vielfältige Daten zur Verfügung. Neben den Daten der Landeskartografie, sind auch Daten der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz, der Landesagentur für Bevölkerungsschutz, des Landesamts für Geologie und Baustoffprüfung, der Landesabteilungen Denkmalpflege, Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Straßendienst, Mobilität, Grundbuch und Kataster, des Landesinstituts für Statistik (ASTAT), des Landesamts für Industrie und Gruben und auch des Südtiroler Gemeindenverbandes. (Landesverwaltung 2024)
GeoBrowser MapView: Die historische Mappe von 1858 im der gleichen Örtlichkeit. Wie so oft fällt sogleich auf, wie wenig Gebäude zu der Zeit dort standen. Wenn man z.B. wissen will, wem die seinerzeit große Ackerfläche westlich der Villa Kinsele gehört hat, dann sucht man im handgeschriebenen Register, welcher Einlagezahl dieser Parzelle im Moment der Grunbdbuchseröffnung zugeordnet wurde. Die Einlagen sind numerisch in den großen Büchern geordnet, weshalb sie sich dort leicht finden lassen. In der Einlage sind die dazugehörigen Parzellen aufgelistet, mit ihren Eigentümern im zeitlichen Verlauf, mit allen angefallen Dienstbarkeiten, Hypothekarbelastungen, Löschungen derselben usw.
Von jedem mit dem Internet verbundenem Computer kann darauf zugegriffen werden, die einzelnen Schichten können aktiviert werden, wodurch der Informationsfluss nochmal intensiviert wird und zeitliche Vergleiche z.B. möglich werden. Man kann in den Karten Abstände und sogar Umfänge und Flächen von unregelmäßigen Polygonen berechnen lassen. Die Verwendung bedarf keiner Registrierung und Anmeldung, einzig der Zugriff auf die Katastermappe von 1858 setzt einen SPID-Zuganges voraus (warum gerade dies entzieht sich meiner Kenntnis).
GeoBrowser MapView: Auch die Ansicht der Katastermappe von 1858 lässt sich mit anderen Layern (=Schichten) kombinieren. Wer sich in Oberbozen ein wenig auskennt, wird leicht sehen können, dass z.B. das Gebäude der Bäckerei Hackhofer (oben, Mitte, BP 1158/1) auf der damals als 3192/2 bezeichneten Wiesenfläche noch zu entstehen hatte.
Alles, was mit den Grundstücken und Gebäuden vor der Eröffnung des Grundbuches (am Ritten 1907) passiert ist, ist hingen in der Vergängerinstitution, den Verfachbüchern zu finden. Dort wurden alle Verträge registriert, also “verfacht”. Sie liegen im Landesarchiv auf und können dort konsultiert werden. Sich in den Verfachbüchern auskennen und daraus Informnationen zu beziehen gehört dann schon zur der mir verwehrten Königsklasse in der Recherche.
Für die wertvolle Hilfe und die Geduld möchte ich Hr. Wolfgang Winkler vom Grundbuchamt Bozen herzlich danken.
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