Die Wappenscheibe

Pünktlich mit dem jahreszeitlich bedingten Kälteeinbruch konnte der Tischler endlich auch die gerade fertigestellte Oberlichtenverglasung (Abb. 1) einsetzen. Von links nach rechts sind die Familienwappen der Familien Lanner, Kinsele, v. Menz und Kobler zu erkennen. Die erste Jahreszahl markiert das Jahr der Erbauung des Hauses in der jetzigen Form, die zweite hingegen das Ende der aktuellen Renovierungsarbeiten.

Abb. 1: Die Haustüre von innen gesehen.

Ausgehend von einer alten Aufnahme, welche sehr wahrscheinlich Franz Kinsele in der Türöffnung der Villa Kinsele abbildet und wo man sein Familienwappen, bleiverglast, darüber eindeutig erkennen kann (Abb. 2), wollte ich in Anlehnung daran die bisherigen Hauseigentümern symbolisch vergegenwärtigen.

Abb 2: Die Oberlichte in vergangen Zeiten. Wenn man genauer hinseiht, erkennt man darin bleiverglast das Kinselsche Wappen. In der Tür, Zigarre rauchend, sehr wahrscheinlich Franz Kinsele (1831 bis 1908) um 1890. (Foto Sammlung Kobler)

Für die Herstellung konnte ich Frau Alessandra Piazza aus Bozen gewinnen, welche in ihrem Atelier Vetroricerca kunstvolle Glasarbeiten durchführt. Aus der dortigen Webseite zitiere ich:

Alessandra Piazza wuchs in Bozen auf. Im Jahr 1987 zog sie nach Bologna und schrieb sich an der DAMS-Kunst ein. Parallel zu ihrem Studium arbeitete sie in einer Restaurierungswerkstatt für antikes Glas und verliebte sich in das Material Glas. Sie wird ihr Studium 1993 mit einer Arbeit über die experimentelle Restaurierung der Glasfenster in der Basilika San Francesco in Assisi abschließen. 1997 kehrte sie nach Bozen zurück und wurde von Alessandro Cuccato eingeladen, mit einer Gruppe von Künstlern Vetroricerca – Centro sperimentale della lavorazione del vetro zu gründen. Im Jahr 1999 entwarf sie ihre ersten Schmucklinien. Unter den verschiedenen Aktivitäten in diesem Bereich möchte sie an die exklusive Linie erinnern, welche sie 2005 für den Shop des Corning Museum of Glass, NY. U.S.A. kreiert hat. Dort hat sie im selben Jahr mit Silvia Levenson, die dort als Artist in Residence wirkte, zusammengearbeitet. Im Laufe der Jahre hat sie in der Vetroricerca Glasbearbeitungstechniken unterrichtet und mit zahlreichen nationalen und internationalen Künstlern bei der Schaffung von Originalwerken zusammengearbeitet. Gleichzeitig entwickelte er eine Leidenschaft für das Design von Geschirr und entwarf zusammen mit renommierten Köchen innovative Formen, die eigens für von ihnen erfundene Gerichte konzipiert wurden. Seit 2015 widmet er sich kontinuierlich der Produktion von Auftragsarbeiten sowie der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Bildhauerei. Es gibt zahlreiche Künstler, mit denen sie zusammenarbeitet; 2019 wurde das für den Künstler Otobong Nkanga geschaffene Werk für die Biennale Arte in Venedig ausgewählt. Sie liebt es, die Berge seiner Region zu erkunden. Eine Leidenschaft, die er mit seinen beiden Söhnen, Jacopo und Leonardo, teilt. Im Jahr 2019 hat er das Projekt Impronte2000 ins Leben gerufen, mit dem sie Alpenflora und Glas in einen Dialog bringt.

Abb 3: Frau Alessandra Piazza in ihrem Bozner Atelier.

Hat die Famile Kobler wirklich das Recht, ein Wappen zu führen?

Um es gleich vorwegzunehmen: ein legitimierender Wappenbrief liegt nicht auf und auch in der Fischnaler-Wappenkartei sind Kobler nicht zu finden. Die Tatsache, dass der den Adeligen vorbehaltene Bügelhelm statt dem Topfhelm aufscheint (Abb. 4), spricht ebenfalls nicht unbedingt für dessen Autentizität. Mein Vater hat mir vor vielen Jahren gesagt, ein befreundeter Priester habe das Wappen vor längerer Zeit gefunden, mehr konnte er mir nicht sagen. Spätestens jetzt sei auf den wertvollen Beitrag von Wilfried Beimrohr hingwiesen, der 1987 einen populärwissenschaftlichen Aufsatz zur Wappenkunde verfasst hat. Aus diesem zitiere ich den passenden Absatz:

Wappenbüros und Wappenfirmen, die zum Teil schon im 18: Jahrhundert aufkamen und auf gewerberechtlicher Basis arbeiteten, witterten das Geschäft und begannen ihren Kunden Wappen zu verkaufen. Dabei gab es zwei Möglichkeiten, zu Geld zu kommen: Dem Kunden wurde ein Phantasiewappen angedreht mit einer ebenso phantasievoll konstruierten Herkunft des Wappens und seiner “ursprünglichen” Träger. Die elegantere Lösung war, für den zahlungswilligen Interessenten das so lange verschüttete Familienwappen auszugraben: die “Entdeckung” bestand darin, daß das Wappen einer historisch nachweisbaren Person oder Familie, die den gleichen oder einen ähnlichen Familiennamen wie der Kunde trug, als “dessen” Familienwappen wiedergefunden wurde. Derart dubiose Geschäftspraktiken, die dem Interessenten falsche Tatsachen vorspiegeln, gehören keineswegs der Vergangenheit an; noch heute bieten kommerziell geführte Wappenfirmen ihre zweifelhaften Dienste an. Auch die Methoden haben sich nicht verfeinert.

Die Summe dieser Hinweise hat mich in meiner skeptischen Grundhaltung bestätigt, wusste ich doch schon vorher, dass neben den Adeligen nur wenige Bürger und noch weniger Bauern, sofern mit Beamtenfunktionen betraut, ein Wappen verliehen bekamen. Doch es gibt auch noch eine nette, zudem erstaunliche Geschichte: Meine Mutter hat sich und ihrem späteren Mann zur Verlobung 1955 einen Goldring mit dem vermeintlichen Wappen der Kobler, in Lagerstein graviert, geschenkt. Anlässlich meiner Volljährigkeit hat sie dann den ihren, natürlich passend erweitert, mir weitergegeben und fortan begleitet er mich bei besonderen Anlässen (Abb 4).

Abb. 4: ein sogenannter Siegelring.

Ein dieser war ein Ball der Universität Innsbruck, den ich Ende der 80er-Jahre besuchte. Es ergab sich, dass dort oder bei einen vorhergehendem oder nachfolgendem Lokalbesuch, ein mir unbekannter Mann ungefähr gleichen Alters neben mir am Budel gesessen hat. Irgendwann sprach er mich mit der Frage an: “Bist Du auch ein Kobler?” Auf meinem natürlich sehr erstaunten Gesichtseindruck reagierend antwortete er, dass er mich am Wappenring erkannt habe. Es war Elmar Kobler, der im Pustertal aufgewachsen ist, aber wie ich Vintschger Wurzeln hat. Auch dessen Familie, mit der wir sicher nicht unmittelbar, vielleicht aber über fünf Ecken verwandt sind, – ich konnte auch mit seinen Brüdern Urban und Christian letztlich sprechen – weiß nicht genaueres über das Wappen, aber die Tatsache, dass sie das gleiche führen, macht einen doch stutzig. Ist da doch etwas mehr dahinter?

Der von mir in dieser Sache befragte Gustav Pfeifer, derzeitiger Direktor des Südtiroler Landesarchivs und sehr beschlagen in Sachen Heraldik, teilt meine angelesene Skepsis, argumentiert ähnlich wie oben Beimrohr. Nicht d’accord gingen wir damals hinsichtlich meinen Skrupeln das Wappen in jedweger Verwendungsform zu verwenden, ich wollte keine vermutliche Fälschung weiterperpetuiren. Im Auszug aus unserem Mailverhkehr, meint er:

“Ich würde jetzt nicht explizit von „Fälschung“ sprechen wollen: Um 1820 endet bei uns die Verleihung von Wappen an nichtadelige Personen/Familien. Ab dann werden bis zum Ende der Monarchie neue Wappen von obrigkeitlicher Seite nur noch im Zusammenhang mit einer Erhebung in den Adel vergeben (oder bereits geführte „gebessert“), was einen Markt für sogenannte Wappenbüros schuf, die sich das Bedürfnis nichtwappenführender Personen/Familien nach einem eigenen Wappen zunutze machten und den Markt mit ihren – aus historischer Sicht freilich in aller Regel wertlosen – Produkten bedienten. Dabei spielte man sicher mit der Unwissenheit der „Kunden“, zugleich offenbart sich die geringe Seriosität dieser Wappenbüros oft, wenn etwa selbst heraldische Grundregeln nicht beachtet wurden (wie die Geschichte mit den korrekten Helmformen).

Andererseits: Da Ihr Ring noch aus den fünfziger Jahren stammt und auch die Abbildung ein gewisses Alter hat, ist das ja an und für sich auch schon eine Art Geschichte, nur vielleicht nicht die, die damit suggeriert werden sollte.

Diese milde Urteil aus berufener Hand, sowie die leise Hoffnung, dass vielleicht doch noch eines Tages eine Rechtfertigung ans Tageslicht treten könnte, hat in mir meine aktuelle Haltung zu diesem Wappen wachsen lassen: ich benutze es sparsam im Sinne, dass ich es nicht vervielfältige, indem ich es z.B. auf Visitenkarten, Briefpapier oder Visitenkarten verwende, und den Ring trage ich an Festtagen mehr zum ein Andenken an meine Frau Mutter als ein Zeugnis von Familiengeschichte. Meine Skepsis hinsichtlich der Historie spreche ich weiterhin bei Bedarf an. Durchringen konnte ich mich schlussendlich doch, es auf die Oberlichte setzen zu lassen, kann doch nur so die Eigentümerabfolge bildlich dargestellt werden.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Beimrohr, Wilfried (1989). Familienwappen in Tirol. In: Tiroler Chronist, 37, 14–25.
Kobler, Elmar (2024). Mündliche Mitteilung.
Kobler, Christian (2024). Mündliche Mitteilung.
Kobler, Urban (2024). Mündliche Mitteilung.
Pfeifer, Gustav (2023, July 10). Heraldik.

P.S.: Das ist übrigens der 100. veröffentlichte Beitrag!

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