Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer (1)

Unter Blinden ist der Einäugige König

Als ich vor nunmehr vier Jahren mit meinen hobbymäßigen Nachforschungen begann, hoffte ich sehr, auf die Aussagen älterer, besser informierter Personen zurückgreifen zu können. Für die Geschichte des Weilers Maria Schnee haben sich mir aber bisher leider keine wertvollen Gewährsleute zur Verfügung gestellt. Die von mir vorgestellten bisherigen Ergebnisse sind daher im Wesentlichen nur das Ergebnis von Recherchen in den digitalisierten Zeitungs- und Bucharchiven der Tessmann-Bibliothek sowie in den Sammlungen historischer Fotos und Ansichtskarten und natürlich im Kataster- und Grundbuch. In Gesprächen mit Einheimischen äußerten diese oft ihr Erstaunen ob meiner sicherlich nicht herausragenden Erkenntnisse, während mich ihr geringes Interesse an der Ortsgeschichte ebenso verblüffte wie enttäuschte. Wie so oft gilt auch hier: „Unter Blinden ist der Einäugige König“.

Abb. 1: Die drei zentralen Höfe des Weilers Maria Schnee um 1858 (Geobrowser Südtirol, Franziszeischer Kataster 1858, übermalt durch den Autor).

Es ist durchaus plausibel, dass das Mittelgebirge des Rittner Berges schon früh landwirtschaftlich besiedelt war, eignen sich doch die relativ flachen Hänge und die klimatisch günstige Höhenlage sehr gut für den Anbau verschiedener landwirtschaftlicher Kulturen. Insofern dürften auch die drei – ich nenne sie vorerst so – „Urhöfe“ rund um die spätere Maria-Schnee-Kirche schon lange vor der Errichtung der beiden Sommerfrischehäuser bestanden haben. Wie aber sahen diese drei Höfe mit den zum Teil vergessenen Namen (ich berichtete hier zum ersten Mal darüber) früher aus? Der Franziszeische Kataster von 1858, eine überaus wertvolle Quelle, ergänzt durch das Grundbuch von 1908, zeigt uns den Zustand vor den großen Umwälzungen durch den Zahnradbahnbau (Abb. 1).

Wie in Abb. 1 zu sehen ist, war die heutige Villa Barbara das Wohnhaus des Oberhofers, sein Stall/Stadel befand sich etwa dort, wo heute die Familie Holzner ihr „Patschengele“ betreibt. Leider habe ich bis heute kein bildliches Dokument von ihm gefunden. Das heutige Gasthaus „Babsi“ war hingegen ein zweites, damals etwas kleineres Wirtschaftsgebäude desselben Hofes.

Abb. 2: Rechts ein Teil des Oberhofer-Wohngebäudes. Das rustikale Erscheinungsbild des Bauernhauses im Vergleich zur herrschaftlichen Sommerresidenz wird besonders durch die Dacheindeckung und den Bretterzaun deutlich. (Gugler, Fotografie um 1900). Klicken Sie wie immer auf das Bild, um die Ansicht zu vergrößern.
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Die Bahn war schuld (2)

… oder war es doch der Wille der Sommerfrischgesellschaft?

Zu der verkehrsmäßigen Erschließung des Rittner Hochplateus hatten die Bozner Sommerfrischler immer ein gespaltenes Verhältnis. Die Zahnradbahn zuerst, die Seilbahn danach und zuletzt die vollständige Anbindung an das Straßennetz wurden und werden natürlich auch von ihnen in den Sommermonaten genutzt – deshalb auch die Würdigung eines wesentlichen Förderers aus ihren Reihen durch die Schützenscheibe (Abb. 1) . Man wollte aber gleichzeitig weiterhin größtenteils nur unter sich bleiben; Oberbozen sollte ein ruhiges Rückzugsgebiet der dortigen Hausbesitzer bleiben, kein Ort für Touristen oder Zuzügler.

Abb1: Scheibe des Oberbozner Schießstandes: Nr. 111, Jubiläumsfest des Edmund von Zallinger-Thurn 1913. “…der Wasserleitung, Eisenbahn in’s Leben rief: Ein Hoch dem Mann!” (Braitenberg et al. 1994)

Hans von Hoffensthal, hat mit seinem – ich kann es nicht oft genug wiederholen – wunderbar melancholischen Essay “Abschied von Oberbozen” 1907 dieser Haltung ein hervorstechendes Denkmal gesetzt. Ganz so schlimm, wie es der Bozner Dichter voraussah, ist es dann, zumindest was die alte Sommerfrischesiedlung angeht, zum Glück doch nicht gekommen, die Bozner wussten sich zu wehren. Man kann diese Haltung natürlich als opportunistisch, gar als Ausdruck von Snobbismus interpretieren, aber auf diese Weise ist uns allen ein einzigartiges Ensemble mit hohem kulturellen Wert erhalten geblieben.

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Die Bahn war schuld (1)

… oder war es doch der Wille der Sommerfrischgesellschaft?

Mit dem Aufkommen des Interesses am westlichen Ausläufer des Rittnerberges durch die Bozner Patrizier – zuerst durch den Sandsteinabbau, danach durch die Möglichkeit des sommerlichen Aufenthalts – wurde dieser in der Folge Oberbozen (auch Oberbotzen, Oberpozen) genannt. Vorher bildeteten die verstreut liegenden Bauernhöfe der Gegend die St.-Jakob-Malgrei. Die namensgebende, den Heiligen Georg und Jakob geweihte, gotische Kirche auf dem schon in der Vorzeit besiedelten Hügel war lange Zeit das einzige Gotteshaus der Gegend.

“… das 4. [Viertel] ist Ober Pozen, ein sehr schons, lustiges ort von ebne wisn und larchenen Woltung; die kirh da rast bey San Jörgen; “
(Wolkenstein v. M.S., 1600)

Im Zuge der Besiedelung durch die Sommerfrischlerfamilien ab 1609, als Balthasar Heisserer am Karlerhof das erste Hitzerefugium errichten ließ, wurden von diesen auch vier Kirchen in unmittelbarer Nähe der Behausungen errichtet. Es sind dies von Westen nach Osten: Maria Einsiedeln (privat), Maria Himmelfahrt (die größte, öffentlich), Maria Magdalena (privat) und Maria Schnee (früher privat, jetzt öffentlich). Um die neu erbauten Häuser zu verorten, wurden die Namen der drei letztgenannten Kirchen verwendet. Am meisten Villen entstanden rund um die spätere Pfarrkirche Maria Himmelfahrt, etwas weniger in St.Magdalena und gar nur zwei im Ortsteil Maria Schnee.

Abb. 1 bis 5: die historischen Kirchen Oberbozens (aus Rampl 2007).

Die Einteilung hat sich offensichtlich bewährt, wurde sie doch in den jeweiligen Landesbeschreibungen (Abb. 6) und mit dem Aufkeimen eines zaghaften Tourismus auch in den allmählich erscheinenden Fremdenführern (Abb. 7 und 8) verwendet.

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Der Veduten-Schwindel

Es ist wahrlich ein Trugschluss zu meinen, früher, ja früher, hätten es die Leute mit der Wahrheit viel genauer genommen. Ein salopper Umgang mit Tatsachen oder z.B. geistigem Eigentum war anscheinend gang und gäbe. Ein typisches Beispiel für eine Ansicht, wo deutlich nachgeholfen wurde, ist diese kolorierte Postkarte. Der Schlern ist zwar richtig dargestellt, was die Blickrichtung betrifft, aber er ist von unserer oberen Wiese nicht ersichtlich, weil er viel niederer ist als hier dargestellt. Aber so ist die Postkarte halt viel interessanter. Und wenn man tatsächlich an vielen Orten des Rittens den Schlern recht eindrucksvoll zu sehen bekommt, dann muss dies eben überall dort möglich sein, auch in Maria Schnee. Wäre noch schöner!

Was ich an dieser Aufnahme zusätzlich bemerkenswert finde, ist, dass man bei diesem Blickwinkel endlich genau sehen kann, wo der zweite Rosskastanienbaum, der wahrscheinlich in den 50ern entfernt wurde, wirklich stand: genau zwischen den Fenstern der vorderen und der hinteren Stube. Dass er ordentlich Schatten gespendet hat, steht auch außer Frage. Ich hoffe schon, dass das wenigsten stimmt.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Anonym. (1900). Maria Schnee mit Schlern. Sammlung A. Kobler.

Patrozinium Maria Schnee am 5. August

Der Tradition entsprechend wurde auch heuer am 5. August das Patrozinium “Unsere Liebe Frau vom Schnee” auch bei uns in Oberbozen gefeiert. Die Teilnahme steht natürlich jedem Interessierten offen und wird zudem publik gemacht, weswegen sich auch heuer zwei Dutzend Gläubige einfanden. Was es mit dieser Art der Marienverehrung und dem Schneewunder auf sich hat, erklärt Wikipedia recht gut.

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Oberbozen oder Maria Schnee?

Wie sich die Verwendung der Ortsnamen ändert.

Beginnend mit den 50er-Jahren, beschleunigt durch die sprunghafte Vergrößerung der bebauten Ortschaft rund um die Bergstation der Seilbahn, ist es üblich geworden, diese Agglomeration Oberbozen zu nennen. Die westlich gelegene, historische Sommerfrischsiedlung wird hingegen Maria Himmelfahrt, im täglichen Sprachgebrauch überhaupt nur Himmelfahrt, genannt. Dabei ist historisch gesehen der gesamte südwestliche Ausläufer des Rittnerberges Oberbozen. Das Gebiet der Sommerfrischhäuser war in Vierteln unterteilt, welche nach den dortigen Kirchen benannt waren. Von Westen Richtung Osten Maria Einsiedeln (heute Toggenburg), Maria Himmelfahrt (Pfarrei), St. Magdalena (heute Grabmayr) und Maria Schnee (heute Pfarrei).

Über die Verwendung des Namens Maria Schnee für das heutige Oberbozen geben auch die zahlreichen Zeitungsmeldungen um der Jahrhundertwende Aufschluss. Das Hotel, von dem im Artikel der Innsbrucker Nachrichten von 1906 die Rede ist, hätte anfänglich auch Hotel Maria Schnee heißen sollen, die Haltestelle der Bahn sowieso. Der noble Beherbergungsbetrieb heißt heute Hotel Holzner. Die im letzten Satz gemachte Prophezeihung ist übrigens üppig Wirklichkeit geworden.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

(N.d.). GeoBrowser Südtirol.
Retrieved November 24, 2023, from https://maps.civis.bz.it/
Anonym (1906, February 13). Von der Rittnerbahn. In: Innsbrucker Nachrichten, p. 5.

“Villa Kinsele mit Maria-Schnee-Kirchlein”

Zuerst einmal möchte ich erklären, wieso ich das Gebäude so nenne. Unter Villa stellt man sich heute weiß Gott was für einen Luxus vor, der heute sicherlich nicht vorhanden ist. Insofern könnte man meinen, die Bezeichnung sei übertrieben. Früher aber, als ein Sommerfrischhaus den “Herrischen” vorbehalten war, strahlte es sicherlich Luxus und Begehrlichkeit aus. Ausschlaggebend war aber, dass Georg Baron Eyrl in seiner Arbeit über die Sommerfrischhäuser auf dem Ritten (Schlern 6/1925), diese immer als Villa bezeichnet.

Meines Wissens ist die Villa Kinsele das östlichste Haus der historischen Sommerfrischsiedlung , welche um den gleichnamigen Schießstand als gesellschaftlichen Mittelpunkt gruppiert ist. Auf dem abgebildeten Ausschnitt des Geobrowsers sind auch die Nummern der Grund- und Bauparzellen angeführt; letztere haben einen Punkt vor der ersten Zahl (wie immer werden die Abbildungen durch Daraufklicken vergrößert). Die Villa Kinsele hat die Bauparzellennummer (BP) 361, leicht erkennbar mit dem grauen Dach, in der Mitte des Fotos. Dazu gehören eine Grünfläche an der Südseite vor dem Gebäude, Grundparzelle (GP) 3197/2, sowie zwei Wiesen, welche das Gebäude halbkreisförmig umschließen (GP 3196 und 3197/1). Nordseitig schließt sich das Kirchlein Maria Schnee BP 360), im Eigentum der Pfarre Oberbozen, an. Das zweite Gebäude dieses Komplexes ist das nach den langjährigen Eigentümern benannte Wegerhaus (BP 359). Dazu gehörten schon immer der ehemaliger Park (GP 3194 und 3200) und der darin befindliche historische Pavillon (BP 864/2), welchen übrigens Eleonore Kinsele für ein Exlibris ihres Cousins Anton Kinsele abgezeichnet hat.

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