Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer (2)

Bäuerliche Strukturen im Wandel

Wie ich bereits in einem früheren Beitrag angedeutet habe, hat die Erschließung des Rittner Hochplateaus durch die Zahnradbahn große bauliche Veränderungen ausgelöst. Sie wären noch viel tiefgreifender gewesen, wenn nicht der Erste Weltkrieg und seine politischen Folgen den Bautätigkeiten eine unerwartete Unterbrechung, die fast bis zur Fertigstellung der Straße im Jahre 1971 dauerte, beschert hätten.

Um das Gebiet vor allem um Maria Schnee und Klobenstein baulich zu erschließen, wurde in Bozen noch während des Bahnbaues der “Oberbozner Grund- und Bauverein” als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet (Abb.1). Für den heutigen Leser besonders interessant: Einige Mitgesellschafter waren gleichzeitig Bozner Kommunalpolitiker, allen voran Bürgermeister Julius Perathoner, die den Bahnbau voller Überzeugung politisch forcierten. Heute wäre eine solche Konstellation völlig unmöglich, die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen zu vordergründig. In den Zeitungen, auch in jenen, die das Wirken des freiheitlichen Bürgermeisters kritisch verfolgten, wurde dies aber nicht thematisiert. Ob nun die Gesellschaft gegründet wurde, um die Bebauung nicht nach dem Gutdünken einzelner Bauherren, sondern gemäß raumplanerisch sinnvollen Grundsätzen durchzuführen, oder ob doch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, oder ob es sich gar um den glücklichen Fall einer Win-Win-Situation handelte, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Sicher ist aber, dass die Bedeutung dieser Gesellschaft für den Ritten noch nicht historisch aufgearbeitet wurde und auch ihre nicht realisierten Pläne, soweit sie noch vorhanden sind, harren noch der Entdeckung. Fest steht auch – das Grundbuch spricht eine eindeutige Sprache – dass der Oberbozner Grund- und Bauverein als unangefochtener Platzhirsch auftrat. Einzig Edmund Zallinger, Grieser Kurdirektor und auch wie die vorigen genannten eifriger Bahnpromotor, war immobilienmäßig in Oberbozen tätig, aber auf einer kleineren Fläche zwischen St. Magdalena und Maria Schnee.

Abb. 1: Bozner Nachrichten vom 20. Dezember 1906.
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Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer (1)

Unter Blinden ist der Einäugige König

Als ich vor nunmehr vier Jahren mit meinen hobbymäßigen Nachforschungen begann, hoffte ich sehr, auf die Aussagen älterer, besser informierter Personen zurückgreifen zu können. Für die Geschichte des Weilers Maria Schnee haben sich mir aber bisher leider keine wertvollen Gewährsleute zur Verfügung gestellt. Die von mir vorgestellten bisherigen Ergebnisse sind daher im Wesentlichen nur das Ergebnis von Recherchen in den digitalisierten Zeitungs- und Bucharchiven der Tessmann-Bibliothek sowie in den Sammlungen historischer Fotos und Ansichtskarten und natürlich im Kataster- und Grundbuch. In Gesprächen mit Einheimischen äußerten diese oft ihr Erstaunen ob meiner sicherlich nicht herausragenden Erkenntnisse, während mich ihr geringes Interesse an der Ortsgeschichte ebenso verblüffte wie enttäuschte. Wie so oft gilt auch hier: „Unter Blinden ist der Einäugige König“.

Abb. 1: Die drei zentralen Höfe des Weilers Maria Schnee um 1858 (Geobrowser Südtirol, Franziszeischer Kataster 1858, übermalt durch den Autor).

Es ist durchaus plausibel, dass das Mittelgebirge des Rittner Berges schon früh landwirtschaftlich besiedelt war, eignen sich doch die relativ flachen Hänge und die klimatisch günstige Höhenlage sehr gut für den Anbau verschiedener landwirtschaftlicher Kulturen. Insofern dürften auch die drei – ich nenne sie vorerst so – „Urhöfe“ rund um die spätere Maria-Schnee-Kirche schon lange vor der Errichtung der beiden Sommerfrischehäuser bestanden haben. Wie aber sahen diese drei Höfe mit den zum Teil vergessenen Namen (ich berichtete hier zum ersten Mal darüber) früher aus? Der Franziszeische Kataster von 1858, eine überaus wertvolle Quelle, ergänzt durch das Grundbuch von 1908, zeigt uns den Zustand vor den großen Umwälzungen durch den Zahnradbahnbau (Abb. 1).

Wie in Abb. 1 zu sehen ist, war die heutige Villa Barbara das Wohnhaus des Oberhofers, sein Stall/Stadel befand sich etwa dort, wo heute die Familie Holzner ihr „Patschengele“ betreibt. Leider habe ich bis heute kein bildliches Dokument von ihm gefunden. Das heutige Gasthaus „Babsi“ war hingegen ein zweites, damals etwas kleineres Wirtschaftsgebäude desselben Hofes.

Abb. 2: Rechts ein Teil des Oberhofer-Wohngebäudes. Das rustikale Erscheinungsbild des Bauernhauses im Vergleich zur herrschaftlichen Sommerresidenz wird besonders durch die Dacheindeckung und den Bretterzaun deutlich. (Gugler, Fotografie um 1900). Klicken Sie wie immer auf das Bild, um die Ansicht zu vergrößern.
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Hofer, Oberhofer, Unterhofer, Doppelbauer?

Der Versuch, die Höfe endlich eindeutig zu bestimmen.

Auszug aus dem Franziszeischer Kataster um 1860.

Auch wenn die Villa Kinsele im Mitttelpunkt der Häusergeschichte bleibt, ist es naheliegend, auch die Geschichte der umgebenden Gebäude etwas zu beleuchten. Besonders, wenn unser Sommerfrischhaus mit diesen zusammengebaut ist. Vielleicht finden wir noch den Grund heraus, warum hier – anders als in Oberbozen sonst üblich – zwei Sommerfrischhäuser an ein nachweislich älteres Bauernhaus angebaut sind; vielleicht bleibt es aber auch ein Geheimnis. Von den drei Höfen, welche den Kern Maria Schnees bilden, hat nur mehr einer eine zudem teilweise landwirtschaftliche Funktion. Einer wurde in ein Hotel umgewandelt und einer in Wohnungen, später zusätzlich zu einem Gasthaus umgebaut.

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Richard Kinsele (2), der vielfältig Interessierte

… und gut Vernetzte.

Die Heirat Richard Kinseles 1860 mit Franziska Kapeller (1835 bis 1891) war sicherlich hinsichtlich mehrerer Aspekte ein guter Zug, war sie doch die Tochter des Bozner Bürgermeisters Anton Kapeller, welcher von 1851 bis 1861 im Amt war. Wenn man der deutlich liberal eingestellten “Inn-Zeitung” vom 26. Oktober 1864 Glauben schenken kann, hat Richaed Kinsele konkrete Ambitionen hinsichtlich des Bürgermeistesessels gehabt. Die geschilderte Vorgangsweise klingt recht gefinkelt und das Ränkespiel zeigt deutliche Parallelen zur heutigen Politik auf (früher war eben nicht alles besser, nur so nebenbei bemerkt). Kapeller hätte also 1864 wieder kandidieren sollen und Richard Kinsele wäre ihm als Sekretär beigestellt worden. Nachdem der Bürgermeister aber wegen seines fortgeschrittenen Alters immer mehr auf die Hilfe Kinseles angewiesen gewesen wäre, würde Letzterer immer mehr zum De-facto-Regierenden und das nächste Mal als logischer Nachfolger gewählt werden.

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