Es soll ein uraltes menschliches Bedürfnis sein, seinen Zeitgenossen, aber besonders der Nachwelt, mitzuteilen, dass man sich an einem bestimmten Ort aufgehalten hat. „Hic fui“, was lateinisch ist und nichts anderes bedeutet als „Ich war hier“, wurde zusammen mit dem eigenen Namen seit dem Altertum in Holz, Stein und Mauern geritzt. Der Filmbeitrag „GRAFFITI – ich war hier“ (Abb. 1) von Ulli Verano und Hans Peter Karbon zeigt anschaulich, wie, wann und wo sich die Besucher der einzelnen Orte verewigen wollten.
Abb.1: GRAFFITI – “ich war hier”, Karbon Videoproduktion im Auftrag von RAI Südtirol (2020).
So ein Zeichen des Beweises, hier gewesen zu sein, noch dazu ein ausführliches, haben wir auch in der Villa Kinsele im Laufe der Restaurierungsarbeiten entdeckt. 1891 hat sich Rosa Defrancesco aus Panchià, einem Dorf im Fleimstal, mit Bleistift auf einer Wand in der hinteren Stube verewigt (Abb. 2).
Abb. 2: Der Auffindungsort des Graffitis. Hinter der zeitweilig entfernten Täfelung der hinteren Stube kam es zutage, eingegrenzt auf dem Foto durch das farbige Oval.Abb.3: Linke Hälfte der Inschrift.Abb.4: Rechte Hälfte der Inschrift.
Defrancesco Rosa di Panchià L’anno 1891 Addio viscere del cuor mio
Addio per sempre Albergo avventurato Soave asilo di gioia e di amor Teco abbandono la pace del cuor
Defrancesco Rosa aus Panchià Im Jahre 1891 Lebewohl, Seele meines Herzens
Lebewohl für immer Glücklicher Ort Süße Zuflucht der Freude und Liebe Mit dir verlasse ich auch den Frieden meines Herzens.
Die Entzifferung der Inschrift beruht auf den Bemühungen der Historikerin Daiana Boller, welche für mich auch in den digitalen Kirchenbüchern des Trentino nach der Person gesucht hat und dort auch fündig geworden ist (Abb. 5), ihr sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Abb 5: Auszug aus dem digitalen Kirchenbuch der Pfarre Panchià – San Valentino.
Rosa Defrancesco war also zum Zeitpunkt ihrer grafischen Verewigung 24 Jahre alt. Sie hat 1895 geheiratet und ist 1943 in ihrem Geburtsort auch gestorben. Daiana Boller hat zudem einen Kontakt mit einer Großenkelin aufnehmen können. Laut den Erzählungen ihrer Mutter war Rosa eine Schneiderin, die auch öfters in Gufidaun bei Klausen gewesen sein soll, um der dort lebenden Schwester zu helfen.
Der Text besteht aus Teilen des Gedichts „Addio“, das der toskanische Dichter, Satiriker und Politiker Giuseppe Giusti (1809–1850) im Jahr 1832 schrieb. Das Graffiti ist auch hinsichtlich der Geschichte der Einrichtung von Bedeutung. Die Täfelung, hinter der der Spruch für so lange Zeit verschwunden ist, konnte demnach erst nach 1891 eingebaut worden sein. Entweder hat Rosa Defrancesco, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit als Hausangestellte – mit Hang zur Poesie – in der Villa Kinsele aufgehalten hat, ihr „HF” hinter einem Bild oder Kasten für die Hausherren versteckt zurückgelassen – oder, was weniger wahrscheinlich ist, – unmittelbar vor der Montage der Täfelung. Kann man die Textauswahl so interpretieren, dass sie an diesem von ihr geliebten Ort nicht mehr bleiben durfte?
Jedenfalls ist es ein interessantes Zeugnis der damals häufigen innertirolischen Arbeitsmigration. Dass ein deutschnationales Haus eine Welschtirolerin einstellte, die sich zudem auf Italienisch im Haus verewigt hat, ist einer der im praktischen Leben häufig anzutreffenden Widersprüche. Das Graffiti wurde im Zuge der Hausrestaurierung selbstverständlich nicht übermalt. Es harrt, wie schon zuvor 130 Jahren lang, seiner Wiederentdeckung hinter der neu montierten, alten Täfelung.
Abb. 6: Die hintere Stube heute; das Graffiti befindet sich hinter der Holztäfelung, rechts neben der Tür zur vorderen Stube, auf der Höhe der Bettoberkante (Foto: Alexandra Clement 2024, in “Bozner Seligkeit”).
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