Die acht Bozner Seligkeiten (2)

am Beispiel der Familie Kinsele

“Um eigene Trauben
Und eigenen Wein für den Hausgebrauch
Zu haben, muss man zweitens auch
In Gries oder in den Zwölfmalgreien
Mit einem Höfl begütert sein.”

Der Gscheibte Turm (Burgreste Troyenstein) wie immer im Mittelpunkt und links darüber der Egghof. Darstellung wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Um die Deckung des obgenannten Eigenbedarfes mussten sich die Kinseles wahrlich keine Sorgen machen, so üppig waren ihre Weingartenflächen in Bozen, Zwölfmalgreien und Gries schon in der Gründergeneration. Als Franz Xaver Kinsele, der auch immer wieder als Franz von Sales Kinsele bezeichnet wird, 1812 stirbt, hinterlässt er u.a.:

in der Gemeinde Zwölfmalgreien:
“Die Baurecht und Gerechtigkeit eines Weingutts, nebst darin stehenden kleinen Hitls von 3 alten Graben im Dorfe ober Botzen gelegen…”

in der Gemeinde Gries:
“Die Baurecht eines Weinbau nebst einen darin befindlichen kleinen Häusl1Das “Riesenhäusl”, früher Fagen 300, jetzt Luigi-Cadorna-Str. 17. so mit No 941 bezeichnet ist von 11 alten Grabern groß in der Leeg am Fagen liegend,…”
“Die Baurecht eines Wiesmads, und Weinbaues im Neufeld nebst einen unter den Weg liegenden kleinen Wiesels mit Obstbäumen besetzt und darin befindlichen Muhr Grube von 9 1⁄2 Graber groß,…”

Dort als bedeutenste Immobilie den Egghof:
“Die Baurecht & Gerechtigkeit des gantzen Hofs der Egghof genant ober Troyenstein in der Fraction Gries, Gemeinde Botzen2Gries wurde erst 1849 eine selbständige Gemeinde, war bis dort Teil des Magistratbezirkes Bozen. liegend, so da besteht in einer wohl erbauthen Feuer und Futterbehaußung mit Stuben, Küchen, Kämern, Torgl, und Keller, dann 2 Stallungen, Heudillen, Wasch und Brandtweinküchen, wie auch einen abgesonderten kalten Keller, ferners bey 35 Graber, 150 Klafter Weinbauleuthen, /: wovon aber ein Theil durch Überschwemung vor einigen Jahren verschütet wurde:/ in verschiedenen Abtheillungen dies und jenseits des gemeinen Fahrwegs nach Guntschna, sambt 185 Klafter großes Wiesel beym Unterstein Weingütl am Fagenbach liegend, auf welchen Wiesl den Insasen von Guntschna die Streu Niederlage zu gestatten ist; endlich bey 21 Morgen Berg mit etwas Eich und Kastanien Bäumen, auch Staude besetzt, worin sich vorgemeldter kalter Keller befündet; rücksichtlich der grenzen u Grundherrschaft sehe man in dem unten datierten Kaufs Urkund nach. Dann die Baurecht einer luteigenen, und des Grundzins halber freyen Stücks Erdreichs Wiesmad auf der weiten Wiesen neben den Schafstall bey 2 1⁄2 alte, oder 4 neue Tagmad, 6 Klafter groß; in Betreff der Gräntzen, wenn schon Nachbarn derselben geblieben sind, giebt der nembliche Kaufs Brief Aufschluß; ferners ein luteigenes Pran Mooß im Neufeld diesseits der Etsch, Grieser Revier 2/5 Tagmad groß mit Vorbehalt der gräntzen,…”

Links oben wieder der Egghof, um 1900, mit Zinnen und Turm zu einem schlossartigen Gebäude umgebaut.

Schon 1858 wird er an Karl Pischl aus Gries verkauft. Der trennt sich schon 1875 wieder von der Immobilie, als Agent wirkt ausgerechnet Richard Kinsele, der Enkel des Franz Xaver Kinsele. Da muss mindestens Wehmut, wenn nicht Bitternis dabei gewesen sein. Ob der in der Annonce angeführte Trojensteinerhof mitsamt dem Gscheibten Turm schon von den Kinseles erworben wurde oder erst von Karl Pischl entzieht sich noch meiner Kenntnis.

Vor einiger Zeit habe ich mich gefragt, woher der geadelte Josef von Kinsele seinen Zusatz “zu Eckberg” hat. Auf Grund der letzten Erkenntnisse kann ich mir schon vorstellen, dass auf den Egghof Bezug genommen wurde.

Annonce im Südtiroler Volksblatt vom 2.10.1875.

Auch wenn es keine Weingärten sind, sollten bei der Gelegenheit zur Vervollständigung noch die anderen landwirtschaftlich genutzten Flächen der frühren Bozner Kinseles angeführt werden:

“Ein Stück Neufeld außer gries in der ersten Tafel nach der Mappe N. 12, 13, u 14 ,…”
“Zwei Streu Möser jeder von 2 Tagmad, welche in dem bey den Acten des ehemaligen Stadt und Landgerichtes Botzen liegende Versteigerungs Edikt von 23 März 1801 enthalten, und mit N. 2 & 3 bezeichnet sind, am Neufelde, …”


und schlussendlich in Völs:
“Dazu die Behaußung zu unter Völs die Thurn Behaußung No 184 mit Gewölben, Torgl, Dresch Stadel, Garten und was dazu gehört…”
“Endlich lauth original privat Urkunde No 10 de 3 April 1809 erwarb der Verlebte die Grundherrschaft auf den Hof und die Metzmühle zu Telzeg3Völsegg? in Völs…”

Der heutige Egghof, nach dem Wiedererhalt des ländlichen Charakters Ende der 1960er Jahre, von der Bozner Talfermauer aus gesehen, November 2023. Foto: A.Kobler.

Auf wieviel kann man also in Summe die Rebflächen der ersten Bozner Kinsele schätzen? Ein alter Bozner Weingarten-Graber entspricht ca. 577 m2. Zählt man alles zusammen, auch den Weingarten, welche sich beim später dazugekommen Stadthaus in der Dominicanerstraße befand, kommt man auf über 3,5 Hektar, also eine Fläche welche, einmal den Eigenbedarf gedeckt, einiges an Traubengeld abwerfen konnte.

Danke Matthias Gasser für die Verortung des Egghofes und andere nützliche Hinweise zum Thema!

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen:

Hoeniger, Karl Theodor (1933). Altbozner Bilderbuch – Hundert Abbildungen und vierzig Aufsätze zur Stadtgeschichte. Bozen: Alois Auer & Co.
(1778). Taxation Und Beschreibung Der Herren Joseph Andre Lannerischen Sommerfrisch Behaußung zu Oberpozen und darin Befindlichen Mobillien.
Tiefenbrunner, Heinz (2008). Häusergeschichte der Marktgemeinde Gries bei Bozen. Bozen: Athesia.
Pieschel, C. (1875, October 2). Verkauf Egghof. In: Südtiroler Volksbote.
Gasser, Matthias (2023). Schriftliche Mitteilung.
Anonym (1910, Ca). Gries bei Bozen 1905, Gscheibter Turm.
Retrieved November 5, 2023, from https://josefauer.com/gries-bei-bozen-1905-gescheibter-turm/
Anonym (n.d.). Gscheibte Turm.
Retrieved November 5, 2023, from https://www.comune.bolzano.it/GalleryDetail.jws?src=51338_Torre_Druso___Gscheibte_Turm.jpg
Holzknecht, Thomas (2023). Schriftliche Mitteilung.




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