Ist so die Villa Kinsele entstanden?

Die ältesten Verträge bringen Licht ins Dunkel

Richard Niedermair aus St. Lorenzen, der mich bei den Recherchen tatkräftig unterstützt, hat im Verfachbuch des seinerzeit für Oberbozen zuständigen Gerichts Stein am Ritten einen wichtigen Kaufvertrag gefunden und transkribiert. Die Inhalte beanworten gleich mehrere Fragen: Seit wann gibt es am Standort der heutigen Villa Kinsele eine Sommerfrischbehausung? Wem gehörte sie? Welchen Hintergrund haben einige bisher unerklärlich gebliebenen Funde? Warum ist sie am Oberhofer angebaut und nicht wie fast alle anderen Sommerfrischhäuser aus der Zeit freistehend?

Das zugemauerte Fenster unter der Stiege (1).

Im Verfachbuch Stein am Ritten 1726, folio 570, ist der Kauf zwischen “Herr Andreen Laners aus Bozen und Mathias Prackhwieser Oberhofer und seiner Ehewirtin [Ursula] Lintnerin” festgehalten. Der Eigentümerwechsel betrifft “… Oberpozen die daselbs bei d behausung nit Unlengsten hiezue Erpauten zwo Camern sambt all d ybrigen Umb- unnd Ingepeyen, Item kheller, Kichele, dillen re Stallele und dgleichen und zwar Specialiter alles ds Jenige was Unter den Obdach sollichen Neu Gepey sich befindet, wie auch ain darbey ligendes Stuckh Ertreich khreitle garthen.

D.h., in der heutigen Sprache ausgedrückt, Andre Lanner kauft von den Oberhofer-Eheleuten 1726 ein vor kurzem angebautes Gebäude. Es ist laut der Beschreibung aber kleiner als die spätere Villa, wie sie Franz Sales Kinsele 1779 ersteigern wird. Ich nehme an, dass dieses “Neu Gepey” nur den Teil ostwärts vom heutigen Gang beinhaltet hat. In dieser Form hat das Haus den Ansprüchen Lanners nicht genügt, er hat es in der Folge – wann wissen wir (noch) nicht – Richtung Westen erweitert.

Grundriss des Ergeschosses. Alles deutet datauf hin, dass der westlich vom Gang befindliche Bereich in einem zweiten Moment dazu gekommen ist.

Was begründet diese Hypothese? Als der Wandschrank unter der Stiege für die Restaurierung ausgebaut wurde, kam unerwartet ein zugemauertes Fenster, auf dem Grundriss “1”, zutage. Diese Mauer begrenzte also ursprünglich das Gebäude nach Außen. Warum die Küchentüre (2) über eine Oberlichte verfügt, war uns auch ein Rätsel. Das Ablösen der Farbanstriche darauf war dann aber aufschlussreich: man konnte jetzt ehemalige Aussparungen an den horizontalen Teilen des Rahmens erkennen. Da waren Eisengitter befestigt, das war einmal Teil einer Außentür!

Am oberen und unteren Rahmen der Oberlichte kann man die Stellen erkennen, an denen die Eisengitter befestigt waren (2). An dieser Stelle war einmal eine Haustüre.

Damit dem Wandschrank (3) in der Speis mit seinen original Barockdekormalerei die doch intensiven Maurerarbeiten gut übersteht, wurde auch er zu Beginn vorsichtshalber ausgebaut. Dahinter kam ein Holzträger zum Vorschein, der auf ein früheres Fenster hindeutet. Tatsächlich war das Oberhofergebäude früher schmäler, ein Fenster dort zu haben war durchaus möglich und sinnvoll.

Auch hier ein zugemauertes Fenster, dies Mal in der Speis, dessen Aussparung später als Ort für einen Wandschrank genutzt wurde (3).

Bis zuletzt verstanden wir auch nicht wirklich, warum in der Kammer im oberen Stock (4) die Bodenbretter nicht eine durchgehende Länge aufweisen, sondern an der Ostseite über die ganze Wandlänge verlängert wurden. Walter Alber hat sogleich einen ehemaligen Stiegenaufgang vermutet. Aber wofür soll es einen zweiten gebraucht haben? Für einen getrennten Dienstbotenaufgang z.B. war das Haus doch zu wenig herrschaftlich. Also doch keine Treppe? Jetzt wissen wir es, dort verlief im Ursprungsgebäude die Stiege, welche das Obergeschoss erschlossen hat. Recht breit war sie nicht, vielleicht war sie auch nur aus Holz.

Die kurzen Bretter des Riemenbodens in der nordseitig gelegenen Kammer (4).

Mit dem Zimmerer Urban Pechlaner haben wir uns letztlich den Dachstuhl ein wenig genauer angeschaut. Er hat dort aber keinen Hinweis auf eine Hauserweiterung vorgefunden. Er meint, dass das Dach des ersten Gebäudes wahrscheinlich anders ausgerichtet war und der Dachstuhl deshalb im Laufe der Vergrößerungsarbeiten gänzlich erneuert wurde.

Was uns jetzt noch fehlt, ist das Jahr der Hauserweiterung, die dem Gebäude die heutige, charakterisierende L-Form gegeben hat. Sie muss gemäß der Aktenlage zwischen 1726 und 1779 erfolgt sein, wobei ich mutmaße, dass sie bald einmal nach dem Erwerb des Oberhofer-Nebengebäude stattgefunden haben muss. Warum dies? Weil in der 1778 anlässlich des Konkurses durchgeführten Schätzung Klüfte in den Mauern und Wassereintritt durch schadhaftes Dach als wertmindernd verzeichnet wurden. Dies lässt doch ein bestimmtes Mindestalter vermuten.

Jedenfalls wurde mit diesem Aktenfund und seiner Auswertung ein großer Schritt nach vorne hinsichtlich der Baugeschichte gemacht. Ob das zweite Sommerfrischhaus im Verbund einen ähnlichen Ursprung aufzuweisen hat? Wir werden zusammen versuchen auch dies zu ergründen.

In diesem Beitrag verwendete Literatur- und Bildquellen

Transkription: Richard Niedermair (1726, August 28). Verfachbuch Stein am Ritten 1726, folio 570.
Transkription: Richard Niedermair (1778, June 22). Lanner Konkurs 1779 (Merc. Mag. Signatur: 3.280 Fasz 32).

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